Die Rausschmeisser von Genf

Die Wochenzeitung vom 15.10.2009

Rechtsrutsch-Die Hetze gegen GrenzgängerInnen führte die Genfer Bürgerbewegung zum Erfolg. Dabei ärgern sich die meisten GenferInnen vor allem über den grenzüberschreitenden Autoverkehr.

Helen Brügger

Er werde Genfs Strassen «innert 45 Tagen von Bettlern leeren», falls er Regierungsrat werde, verspricht Eric Stauffer. Der 45-jährige Geschäftsmann und Präsident des Mouvement Citoyens Genevois (MCG) ist der grosse Sieger bei den Genfer Wahlen ins Kantonsparlament; er hat sich bereits als Kandidat für die Regierungsratswahlen vom 15. November gemeldet.

Die Genfer Bürgerbewegung, die vor vier Jahren als Abspaltung der SVP gegründet wurde und sich zunächst als «Blocherbewegung» (Mouvement blocherien genevois) bezeichnete, kommt im neuen Parlament auf siebzehn Sitze, fast doppelt so viele wie die SVP. Gemeinsam erhalten die beiden Parteien fast einen Viertel der abgegebenen Stimmen.

Kommen sehen hat diesen Sieg kaum jemand. Alle glaubten, die gehässigen Phrasen des MCG gegen die «Grenzgängerinvasion» habe in einem Kanton, dessen Wirtschaft ohne die Arbeit der «frontaliers» zusammenbrechen würde, keine Chance. Ein gefährlicher Irrtum, denn der enge Stadtstaat war schon in der Vergangenheit in Krisenzeiten anfällig für faschistische, rechtsnationalistische und rechtspopulistische Stimmenfängerei. So in den dreissiger Jahren, als die faschistische Union natio nale unter dem Westentaschendiktator Georges Oltramare in der Calvin-Stadt wütete. Dann wieder in den achtziger Jahren, als die Bewegung Vigilance mit fremdenfeindlichen Parolen auf Anhieb das Protestpotenzial ausschöpfte. Dieses schätzen SoziologInnen auf 15 bis 25 Prozent. Schon bei den nächsten Wahlen fiel die Bewegung wieder auf null zurück.

Fast ein Drittel Polizisten

Jetzt ist es das MCG mit seiner Kampagne gegen die Grenzgänger: Genfs Arbeitsplätze sollen in erster Linie für GenferInnen reserviert bleiben. Das Rezept nennt sich «nationale Präferenz» und ist direkt vom französischen Front National importiert – wenn es um die Le-Pen-Partei geht, hat man beim MCG offenbar nichts gegen grenzüberschreitende Ideen. Dem MCG zu Hilfe kommt die von der Partei gegründete sogenannte Gewerkschaft SEGE (Syndicat des employés genevois). Hand in Hand ziehen sie gegen die «antigenferische Diskriminierung» und für die «Verteidigung der Genfer gegen die Grenzgänger» ins Feld; Frauen sind jedes Mal nicht mitgemeint, sie stellen auch nur zwei der siebzehn neuen MCG-GrossrätInnen.

Doch weiter im O-Ton: Die hiesigen Gewerkschaften seien «Marionetten», die an den Fäden der französischen Gewerkschaften zappelten und nichts gegen das «orchestrierte Mobbing» französischer Kader gegen Genfer Büezer unternähmen, hetzt die Partei. Ihr zweites grosses Thema ist die angebliche Unsicherheit in Genfs Stras sen – fast ein Drittel der siebzehn MCG-Abgeordneten sind Polizisten. Als drittes Thema schliesslich muss das Projekt einer neuen Eisenbahnverbindung zum französischen Grenzort Annemasse herhalten, über das in den nächsten Wochen abgestimmt wird.

Auf diesen Zug ver suchte auch die SVP in letzter Minute noch auf zuspringen: Die neue Ver kehrs verbindung nach Frankreich diene nur dazu, das «Pack aus Anne masse» nach Genf zu bringen, schrieb sie in einem Grossinserat in der Lokalzeitung. «Wir alle sind Pack aus Annemasse», war dann das Thema einer Protestkundgebung, mit der die Linke Gegensteuer zu geben versuchte. Zu spät: Die SP rutschte auf einen his torischen Tiefpunkt ab, die Linke links der SP, angetreten mit zwei verschiedenen Listen, blieb unter der Hürde von sieben Prozent und ist im neuen Parlament nicht vertreten. Der Anführer einer der beiden Listen, der dissidente Sozialdemokrat Christian Grobet, hat ebenfalls mit den Ressentiments gegen die GrenzgängerInnnen gespielt und muss sich nun den Vorwurf gefallen lassen, der Kampagne des MCG in Arbeiterquartieren Gehör verschafft zu haben.

Stau als Ärgernis

Der Kampf von SVP und MCG gegen die neue Eisenbahnverbindung sagt mehr über die beiden Parteien aus als viele Worte. Denn die Linie zwischen dem Genfer Bahnhof und dem Grenzort Annemasse wird das schweizerische mit dem französischen Eisenbahnnetz verbinden und ist somit das Herzstück des französisch-genferischen Wirtschaftsraums zwischen See, Jura und Alpen. Soll sich die Agglomeration in Zukunft harmonisch entwickeln können, braucht es dringend öffentliche Verkehrsverbindungen. Denn Genf erstickt im Privatverkehr und im Stau. Doch wer ist dar an schuld?

Sind es die Politikerinnen, die nicht rechtzeitig die Weichen für den öffentlichen Verkehr gestellt haben? Die Planer, die viel zu spät grenzüberschreitende wirtschaftliche Perspektiven entwickelt haben? Nichts da, die GrenzgängerInnen sind schuld, sagt das MCG. Auffällig ist der Durchbruch der Partei in mittelständischen Gemeinden entlang der französischen Grenze und in den städtischen Quartieren, die von den grossen, von Frankreich her kommenden Verkehrsachsen durchquert werden.

Und das linke Protestpotenzial?

Hätte sie wirklich das Wohl der Bevölkerung im Auge, müsste die Genfer Bürgerbewegung an vorderster Front für die Eisenbahnverbindung kämpfen. Doch mit solch subtilen Widersprüchen hält man sich bei der Partei natürlich nicht auf. Genauso wenig stört es sie offensichtlich, wenn eines ihrer Mitglieder, Bäcker von Beruf, in seinem Betrieb 24 Leute beschäftigt, von denen 20 Grenzgänger sind.

Das MCG ist in den vergangenen Jahren vor allem durch die Tiraden von Eric Stauffer im Grossen Rat aufgefallen, wegen deren der Rausschmeisser von Genf auch schon mal selbst aus der Sitzung weggewiesen wurde. Im Rat stimmten seine Abgeordneten in sozia len Fragen vereinzelt mit der Linken, mehrheitlich aber stramm bürgerlich. Der Wahlspruch der Bewegung lautet: «Weder links noch rechts, Genf zuerst!» Doch Rhetorik und Symbolik sind rechtsextrem, das Wahlplakat ziert ein Besen, mit dem Genfs Strassen gesäubert werden sollen.

Selbstkritisch anerkennt die SP, dass sie das linke Protestpotenzial vernachlässigt habe, weist aber auch auf die Verantwortung der bürgerlichen Parteien hin: Diese hätten ihre Kampagne auf das Thema der Unsicherheit ausgerichtet und damit den Boden für die extreme Rechte vorbereitet, sagt etwa Grossrätin Anne Emery-Torracinta.