Nicolas Rimoldi und der Rechtsextremismus: Eine Chronologie

2019 noch Nachwuchs-Polittalent im Jungfreisinn, 2023 vernetzt mit Rechtsextremen aus ganz Europa: das ist Nicolas Rimoldi. Radikalisiert durch die Pandemie, watet er durchs Milieu der Verschwörungsideologie, bis ihn schliesslich einer der bekanntesten Rechtsextremisten Europas entdeckt und gezielt aufbaut, um den politischen Diskurs in der Schweiz zu beeinflussen.

«Ich glaube nicht, dass er physisch gefährlich ist. Aber in seinem Umfeld tummeln sich zahlreiche wirklich gefährliche Rechtsradikale, die sich offensichtlich von seinen markigen Worten aufputschen lassen.»1 Diese Aussage eines ehemaligen Parteikollegen aus dem Jungfreisinn über Nicolas Rimoldi, stammt aus dem Jahr 2021. Damals hat Rimoldi gerade seinen Verein Mass-Voll gegründet, welchen er ab jetzt massgeblich dominiert. Seit Beginn der Pandemie hat Rimoldi keine Berührungsängste mit Verschwörungserzählungen und rechtem Gedankengut. Später lernt er einflussreiche Rechtsextremist*innen kennen und kommt immer mehr in Kontakt mit deren Netzwerk. Schliesslich fängt er an, sich in diesen Kreisen zu bewegen. Die Chronologie seiner Radikalisierung wird im Folgenden aufgezeigt.

Vor der Pandemie politisiert Rimoldi als relativ gewöhnliches Mitglied im Jungfreisinn mit guten Karriereaussichten. Er lehnt, einigermassen glaubhaft, Extremismus jeder Couleur ab und verteidigt einen radikalen Liberalismus. Noch im Juli 2020 twittert er unter dem Hashtag #TeamMaske und trägt diese auch dort, wo es gar nicht vorgeschrieben ist. Die staatlich verordnete Maskenpflicht und andere gesetzliche Vorgaben bezüglich Corona lehnt er jedoch schon damals ab und radikalisiert sich ab der zweiten Hälfte des Jahres 2020 zusehends. Im Februar 2021 gründet er Mass-Voll, um gegen die Corona-Massnahmen aktiv zu werden und im September 2021 kommt es schliesslich zum Bruch mit seiner Partei. Rimoldi kehrt dem Jungfreisinn den Rücken.

Schon seit der Gründung im Jahr 2021 sind bei Mass-Voll Aktivist*innen mit rechtsextremem Gedankengut mit dabei: So schwadroniert Olivier Chanson, «Zuständiger Multimedia» bei Mass-Voll und SVP-Politiker, vom sogenannten Bevölkerungsaustausch2. Ein anderes Mitglied spricht in einem Interview vom «Schuldtrauma der westlichen Welt»3. Der Verein versucht sich am Anfang aus der verschwörungsideologischen- und rechtsextremen Ecke herauszunehmen, eine glaubhafte Distanzierung von solchen Inhalten gibt es jedoch nicht. Joyce Küng, damals «Leitung Content-Team», trifft sich mit dem bekannten Rechtsextremen Ignaz Bearth.4 Später schreibt sie für die Weltwoche. Anderen Mitgliedern gefallen auf den Sozialen Medien Inhalte der Jungen Tat oder der Helvetischen Bewegung. Ende Jahr 2022 besucht auch Rimoldi selbst Ignaz Bearth, welcher mittlerweile in Ungarn wohnt.

Rimoldis Lehrer

Die Radikalisierung von Mass-Voll nimmt jedoch erst im Jahr 2023 mit Martin Sellner, Rechtsextremist und Anführer der Identitären Bewegung, ihren Lauf. Sellner lebt in Österreich und ist der ideologische Einflüsterer diverser Schweizer Rechtsextremist*innen wie der Jungen Tat, aber auch Politiker*innen wie JSVP-Strategiechefin Sarah Regez oder SVP-Mann Olivier Chanson. Sellner ist der Mann, der das Konzept der «Remigration» im deutschsprachigen Raum massgeblich prägt. Sein Buch zur Thematik wird massenhaft verkauft. Es geht dabei um die Ausschaffung aller «kulturell, ökonomisch, politisch und religiös nicht assimilierbarer [sic] Ausländer*innen».5 Sellner und sein Gefolge wollen die allermeisten Menschen mit migrantischem Hintergrund aus Europa deportieren. In der Vergangenheit hatte Sellner Verbindungen zum rechtsextremen Massenmörder Brenton Tarrant und klebte Hakenkreuze an Synagogen.6 Wie sich zeigt, hat Sellner nun auch Rimoldi an die Hand genommen und führt ihn die letzten Schritte in den Rechtsextremismus.

Am 15. Mai 2023 wird Rimoldi das erste Mal von Sellner erwähnt: «Rimoldi mischt die Politik in der Schweiz auf! Folgt ihm auch auf Telegram!»7 Ein paar Tage später, am 21. Mai 2023, schreibt er weiter: Ihm sei es gelungen, ein Interview mit dem Schweizer Aktivisten zu organisieren, da er im Rahmen einer Veranstaltung sowieso in der Schweiz sei. Die Veranstaltung ist die, an der auch Strategiechefin der SVP, Sarah Regez, teilnimmt. Das angekündigte Interview wird wenig später veröffentlicht.

Am 08. Juni 2023, also nur etwa zwei Wochen danach, verwendet Rimoldi schliesslich das erste Mal das Wort «Remigration». Und nun kommt der Ball ins Rollen:

Chronologie einer Vernetzung zwischen Rimolid, Sellner und der Jungen Tat
Chronologie einer Vernetzung zwischen Rimolid, Sellner und der Jungen Tat

«Stolzmonat», «Remigrationsdemo» und «Hitlers Geburtstag»

Am 17. Juni 2023 nominiert Sellner Rimlodi für die Aktion «Stolzmonat», bei der die Nominierten angehalten sind, «eine Aktion zu setzen […] oder an eine patriotischen [sic] Organisation zu spenden»8. Noch am selben Tag folgt Rimoldi der Aktion und teilt ein Video von sich, wie er mit der Schweizer Fahne durch die Berge wandert.9 Die Aktion «Stolzmonat» wurde von rechten Aktivist*innen als Angriff auf den «Pride-Month» ins Leben gerufen.

Am 29. Juli 2023 nehmen Rimoldi und weitere Mitglieder von Mass-Voll Seite an Seite mit Rechtsextremist*innen aus ganz Europa an der «Remigrationsdemo» der Identitären Bewegung in Wien teil. Rimoldi hält dort eine Rede, in der er den Menschen zuruft: «Denn es liegt in euren Händen, und nur in den Euren, Europa zu retten. Aber wir sind nun mal die letzte Generation für Remigration.»10 Diese Worte hat er nicht selbst erfunden. Es ist genau das Szenario, welches Sellner in seinem Buch aufzeigt: Die letzte Chance den «Bevölkerungsaustausch» zu stoppen sei jetzt.

Später trifft sich Rimoldi denn auch mit Martin Sellner zum Austausch. Und auf dem Heimweg macht Mass-Voll schliesslich einen Abstecher nach Braunau, dem Geburtsort Hitlers.

«Remigration als Wahlprogramm»

Ein paar Tage nach dem Aufenthalt in Wien, am 30. Juli 2023, verwendet nach Rimoldi nun auch Mass-Voll das erste Mal das Wort «Remigration» in den Sozialen Medien. Und auch das kurz darauf veröffentlichte Wahlprogramm fordert diese nun explizit: «Wir sichern unsere Grenzen, schaffen die Härtefallklausel ab und verfolgen eine konsequente Remigration.»11 Rimoldi twittert am 3. August 2023: «Wer Remigration will, wählt @mass_voll in den Nationalrat.».12 Sellner hat sein Ziel erreicht.

Seit Rimoldi in Kontakt mit Martin Sellner steht, nutzen sowohl er, wie auch Mass-Voll, dessen politischen Begriffe und Konzepte. Martin Sellner gelingt es offensichtlich, die Strategie zur Verbreitung seines Gedankenguts durch diverse Akteur*innen wie SVP-Politiker*innen13, Rechtsextreme oder eben Aktivist*innen wie Mass-Voll in die Schweiz zu tragen. Er gibt den Rechten und Rechtsextremen hierzulande damit ein Mittel in die Hand, wie sie rechtsextreme Begriffe normalisieren und damit den Diskurs verändern können.

Das Ganze gipfelt darin, dass Mass-Voll im März 2024 sogar Kleider mit dem Wort «Remigration» herstellt und zum Kauf anbietet. Werbung dafür macht: Martin Sellner.

Martin Sellner posiert mit dem Remigration T-Shirt von Massvoll
Martin Sellner posiert mit dem Remigration T-Shirt von Massvoll

Die Junge Tat und die europaweite Vernetzung

Auch europaweit versucht Mass-Voll sich nun mit anderen Rechtsextremen zu vereinigen. Am 26. August 2023 nimmt Rimoldi an einer Konferenz in Ungarn teil, wo sich Politiker*innen und Aktivist*innen aus rechtsextremen Parteien und Organisationen aus Schweden, Bulgarien, Niederlande, Tschechien und Ungarn treffen. Rimoldi ruft in seiner Rede: «We are facing the annihilation of our nations, our values, our traditions and our culture. […] The hour is late, my friends. But it is not too late to stop the globalists.»14 In der gemeinsam unterzeichneten Erklärung steht unter anderem:

«2. We are […] deeply opposed to the industrially and criminally organised mass     immigration which our societies cannot sustain […]. Both legal and illegal immigration  must be stopped.
3. We are in favour of traditional family structures, and of the protection of children, and    opposed to wokeism and LGBTQIA+ so-called values which are corrosive to national    cohesion and common sense.»

Die Budapest Deklaration für ein freies Europa der Nationen gezeichnet von mehreren rechtsextremen Organisationen
Die Budapest Deklaration für ein freies Europa der Nationen gezeichnet von mehreren rechtsextremen Organisationen

Zurück in der Schweiz. Am 19. Juli 2023 schreibt Tobias Lingg, Anführer der Jungen Tat, auf Twitter: «Vor allem aber denke ich das [sic] durch Rimoldi ein grosses Personenpotential offen für uns wird.»15
Ab August 2023 beginnen Rimoldi und die Anführer der Jungen Tat auf den Sozialen Medien zu interagieren.

Im September 2023 macht Rimoldi eine Aktion zusammen mit der Jungen Tat für die Aktionsgruppe «Sichere Grenzen», welche ebenfalls von der Jungen Tat geführt wird. Der Appell: Die westliche Zivilisation stehe vor dem Untergang, es müsse etwas geschehen.
In diversen Gesprächen loben die Mitglieder der Jungen Tat Rimoldis Arbeit und Entwicklung.

Am 16. März 2024 nimmt Rimoldi an der Veranstaltung der Jungen Tat teil, wo Martin Sellner einen Vortrag halten soll, jedoch verhaftet wird.

Am 12. April 2024 reist Rimoldi für eine weitere Konferenz namens «New leaders of Europe» nach Bulgarien. Dort treffen sich erneut rechtsextremistische und nationalistische Vertreter*innen aus Europa. Mit Griechenland, Moldawien, der Slowakei und Serbien sind neue Länder dazu gekommen.16 Hier hält er wiederum eine Rede. Diesmal setzt er die EU, UNO, WHO etc. mit dem Kommunismus gleich und folgert: «The nation state, evolved over centuries and built on shared values of what it means to be a truly functioning community, is being eroded. It’s ability to govern itself is being stripped away and handed to the globalist collective. A collective that will cram down its idea of „one size fits all“, regardless of the damage it causes, mirroring the failings of the Soviet Union I mentioned at the beginning.»17

Ist das relevant?

Mass-Voll ist referendumsfähig und in der Lage, einen Abstimmungs- oder Wahlkampf zu finanzieren. Im Moment bedienen ihre Themen noch Nebenschauplätze. Doch das ändert sich nun langsam. Rimoldi merkt, dass er mit seinem Pandemie-Fokus politisch und persönlich nicht weiter kommt. Er ist aber ein Karrieremensch und so wendet er Mass-Voll langsam anderen Inhalten zu. «Remigration» ist einer davon. Unterdessen pflegt Rimoldi mit seinem Verein Mass-Voll noch das Image des «Bürgerrechtlers», der für die Freiheit kämpft. Obwohl er spätestens seit dem Jahr 2023 als Rechtsextremist bezeichnet werden kann, hat dies die Öffentlichkeit noch nicht erreicht. Solange die Medien Rimoldi aber als harmlosen, etwas verirrten Aktivisten darstellen, wird ihm ermöglicht, rechtsextreme Begriffe in den Diskurs zu tragen und diese zu normalisieren.

Mass-Voll hat jedoch zurzeit in der politischen Landschaft der Schweiz keine grosse Bedeutung. Die Fluktuation seiner Mitglieder ist erheblich und mittlerweile führt Rimoldi den Verein fast allein. Mit seiner narzisstischen Art zerstreitet er sich mit fast allen. Seine Weggefährt*innen trennen sich meist nach kurzer Zeit von ihm, weil sie merken, dass Rimoldi keine Widerrede duldet und die Bühne für sich allein beansprucht. Allianzen mit anderen politischen Gruppen sind meist von kurzer Dauer. Rhetorisch scheint er vordergründig zwar stark und ist in der Lage, Menschen für kurze Zeit zu begeistern. Doch hört man ihm länger zu, oder ist fähig, den Pathos in seinen Worten auszublenden, merkt man schnell, dass seine Phrasen inhaltsleer und stumpf sind.

Dazu kommt, dass Rimoldi nicht vertrauenswürdig ist: Keine Person des öffentlichen politischen Lebens in der Schweiz wurde wohl so oft der Lüge überführt wie er. Seine Meinung ändert er nach belieben, wodurch er inkonsequent handelt. Wie ein ehemaliger politischer Weggefährte aus Luzern sagt: «Seine Meinungen sind eigentlich irrelevant. Er orientiert sich danach, was am meisten Aufmerksamkeit generiert.»18

Quellen

  1. https://www.republik.ch/2021/09/17/nicolas-a-rimoldi-gefaellt-das ↩︎
  2. https://www.megafon.ch/aktuelles/sachliche-fassade-duenn-aufgetragen/ ↩︎
  3. https://youtu.be/XNUDdjamhd8 ↩︎
  4. https://www.megafon.ch/aktuelles/sachliche-fassade-duenn-aufgetragen/ ↩︎
  5. https://www.kopp-verlag.de/a/remigration%3A-ein-vorschlag ↩︎
  6. https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Sellner#Positionen ↩︎
  7. https://t.me/martinsellnerIB/16927 ↩︎
  8. https://t.me/martinsellnerIB/17263 ↩︎
  9. https://www.youtube.com/shorts/MgHaC0viQtM ↩︎
  10. https://www.youtube.com/shorts/VuIe7lSyuZA ↩︎
  11. https://www.mass-voll.ch/wp-content/uploads/2023/08/Massvoll_Wahlprogramm_August.pdf ↩︎
  12. https://twitter.com/narimoldi/status/1687147129276440597 ↩︎
  13. https://www.antifa.ch/die-svp-und-die-remigration/ ↩︎
  14. https://www.mass-voll.ch/wp-content/uploads/2023/09/230826-Rimoldi-Rede-im-ungarischen-Parlament-in-Budapest.pdf ↩︎
  15. https://twitter.com/vorstadtaktivi1/status/1681628591400812545 ↩︎
  16. https://www.novinite.com/articles/225498/Sofia+Summit%3A+European+Nationalist+Parties+Converge+for+%22Revival%22+Conference ↩︎
  17. https://www.mass-voll.ch/wp-content/uploads/2024/04/240412-Rimoldi-Rede-in-Sofia-Bulgarien-Konferenz-New-Leaders-of-Europe.pdf ↩︎
  18. https://www.republik.ch/2021/09/17/nicolas-a-rimoldi-gefaellt-das ↩︎