Vorgeschichte – eine Chronologie
Im August 2007 fand in der grossen Halle der Reitschule in Bern das 2. „Antifascist Festival“ statt. Vor Ort waren bis zu 1500 Besuchende. Mitten in dieser Menschenmenge platzierte ein Neonazi unbemerkt einen Sprengsatz in einem Rucksack. Da sich in diesem unter anderem Benzin befand und eine Flasche leckte, wurden Besuchende durch den Geruch auf den Rucksack aufmerksam. Schlussendlich beförderte das anwesende Sicherheitspersonal den Rucksack durch einen Seitenausgang ins Freie. Sekunden später zündete der Sprengsatz und ging in einem riesigen Feuerball auf. Wie durch ein Wunder kamen keine Menschen zu Schaden und nur durch Zufall und Glück konnte verhindert werden, dass es Schwerverletzte oder gar Tote zu beklagen gab. Der Angriff richtete sich gegen eine ganze Bewegung. Die Ermittlungsbehörden tappten danach lange Zeit im Dunkeln und konnten keine(n) Täter*in ausfindig machen.
Am Morgen nach der Tat postete der User „Eidgenosse88“ im Internetforum der Neonaziorganisation Blood & Honour einen Link auf das Communiqué der Festivalorganisator*innen mit dem Kommentar „Das versüsst einem den Sonntag Morgen“ (Fehler im Original). Dies noch bevor der Vorfall in den Medien behandelt wurde. Antifaschist*innen machten bereits früh darauf aufmerksam und vermuteten einen Zusammenhang. Bloss, die Behörden sahen dies anders und stellten die Ermittlungen letztendlich ein.
Anderthalb Jahre nach dem Anschlag beantragte der damals 21-jährige Neonazi Kim Sury (*21.4 1989) einen Waffenerwerbsschein bei der Kantonspolizei Bern. Als deshalb beim Nachrichtendienst des Bundes Informationen über Sury eingefordert wurden, war schnell klar, dass es sich beim Gesuchsteller um einen organisierten Neonazi handelt, welcher bereits Waffen besass. Folglich lehnte die KaPo das Gesuch ab und führte stattdessen im März 2010 eine Hausdurchsuchung bei Sury durch. Dort fand die Polizei ein grosses Arsenal an (Schuss-)Waffen, Betäubungsmitteln sowie Material zum Bombenbau. Kim Sury wurde während des Verfahrens DNA entnommen und mit der Polizeidatenbank abgeglichen. Die DNA stimmte mit jener überein, welche 2007 an den Resten des Sprengsatzes bei der Reitschule gefunden wurde.
Im November 2010 führte die KaPo eine erneute Hausdurchsuchung bei Sury durch und fand noch mehr belastendes Material, welches ihn mit dem Bombenanschlag in Verbindung bringt. Sury wurde aber nie in Untersuchungshaft genommen. Im Jahr 2012 wurde der Fall an die Bundesanwaltschaft übergeben. Doch auch dies änderte nichts am dilettantischen und ignoranten Vorgehen seitens der involvierten Ermittlungsbehörden. Absurderweise wurde das Verfahren 2013 bezüglich des Sprengstoffdelikts gegen Sury „mangels klarer Beweise“ gar eingestellt. Als die Bundesanwaltschaft folgend auch alle Beweisanträge der Privatkläger*innen aus der Reitschule ablehnte, wenden sich diese an das Bundesstrafgericht in Bellinzona und verlagten eine gerichtliche Verhandlung des Falles. (Quelle: WOZ Nr. 16/2014 vom 17.04.2014)
Das Bundesstrafgericht folgte nach 9(!) Jahren schlussendlich allen vorgebrachten Indizien und verurteilte Sury im April 2016 zu vier Jahren unbedingter Freiheitsstrafe wegen des Anschlages. Ein Jahr später wurde das Urteil durch das Bundesgericht bestätigt. Für den Anschlag und weitere Vergehen verbüsste Sury zwischen 2018 und 2023 seine Haftstrafe.Â
Kaliohm
Ebendieser Kim Sury legt seit mehr als zehn Jahren als Psytrance-DJ auf und produziert selbst Musik. Bis 2017 nannte er sich „Omnom“ oder „DJ Omnom“, seit 2017 tritt er unter dem Künstlernamen „Kaliohm“ in Erscheinung. Auftritte hat er vorwiegend in der Schweiz an diversen Goa/Psytrance-Festivals, wie beispielsweise beim „Reisefieber Festival“ im Berner Jura sowie diversen Partys. Er ist zudem fester Bestandteil der lokalen Szene. Nebenbei ist er Mitbetreiber des Psytrance-Labels „Unalome Records“. Es ist davon auszugehen, dass Sury wärend seiner Gefängnisaufenthalte weiterhin Musik produzieren konnte.Â
Sury legt auch regelmässig auf Bühnen von linksalternativ geprägten Orten auf. So spielte er vergangenen Oktober kurz nach der Wiedereröffnung in der Coupole in Biel. Die Veranstaltung wurde zuvor mit den Worten „Mit Kaliohm […] haben wir weitere erfahrene Acts dabei, denen wir die Chessu-Bühne mit gutem Gewissen anvertrauen können“ beworben. Ob es im Sinne eines AJZ sein kann, Menschen auftreten zu lassen, welche eine ähnliche Institution mit Brandsätzen angegriffen haben, sei dahingestellt.
Auch wenn es aktuell kaum mehr Hinweise auf Aktivitäten in der rechten Szene gibt, ist völlig unklar, ob und inwiefern Sury sich von rechts(radikalem) Gedankengut und Freundschaften losgesagt hat. In all den Jahren verpasste er es, seine Vergangenheit glaubhaft zu bedauern. Nie gab es Anzeichen für eine Aufarbeitung der begangenen Tat(en), welche über das Pro-Domo-Bagatellisieren gegenüber den Ermittlungsbehörden hinausgingen. Seit Jahren wohnt Sury im Bieler Mett-Quartier und bewegt sich unbehelligt und erschreckend nahe um eine Szene, welche er vor eingen Jahren noch „ausrotten“ wollte. In der Goa/Psy-Szene scheint er sich in einem Umfeld wiederzufinden, welches seine Vergangenheit wenig kritisch betrachtet, nicht viel davon weiss oder sie bewusst ignoriert. Wem und wo er seine Vergangenheit besser verschweigt oder Teile der Wahrheit auslässt, scheint Sury jedoch durchaus klar zu sein. So bevorzugt er auf diversen Plattformen, wie Facebook oder Soundcloud, den Namen „Kim Gabriel“.
Nach einem (verhinderten) Bombenanschlag, bei dem Menschen schwer verletzt oder getötet werden sollten, sowie einer Laufbahn als aktiver Teil der militanten Neonaziszene (B&H/C18), scheinen halbherzige Eingeständnisse gelinde gesagt lächerlich. Kim Sury versuchte Antifaschist*innen zu töten und hatte damit beinahe Erfolg. Egal wie lange diese Zeit zurückliegt, Sury machte es sich, insbesondere als Person, welche öffentlich auftritt, schon viel zu lange viel zu einfach und zeigte nie Reue. Bedauerlicherweise kam er damit jahrelang relativ gut durch. Es ist keine Schande, sich täuschen zu lassen oder die Lebensgeschichte einer Person nicht zu kennen – eine Schande ist es hingegen, zu wissen, was geschah, und dies wissentlich zu ignorieren. Wer diesen Text liest, weiss nun, wer sich hinter „Omnom“, „Kim Gabriel“ und „Kaliohm“ verbirgt. Überlegt daher künftig, wen ihr zu eurem Freundeskreis zählt und wen ihr auf eueren Bühnen auftreten lasst. Überlegt euch auch, ob euch Aussagen wie „Musik verbindet doch alle“ oder „Das ist ja schon lange her“ wirklich ausreichen, um Zweifel beiseite zu wischen. Wir sagen nein, das reicht bei Weitem nicht.