Angriff auf Tanzhaus-Veranstaltung. Neonazis sind vorbestraft

Der Bund. Rechtsextreme protestierten gegen eine Vorlesestunde für Kinder über Geschlechteridentitäten. Den Mitgliedern der Gruppe drohen nun unbedingte Strafen.

Die Bilder waren unheimlich. Mitten während der «Drag Story Time», einer Vorlesestunde für Kinder zwischen drei und zehn Jahren zum Thema Geschlechteridentitäten, standen Leute im Publikum auf, gingen auf die Bühne und versuchten ein Transparent zu entrollen. Gleichzeitig blockierte eine Gruppe von etwa neun Personen den Weg vor dem Zürcher Tanzhaus, in dem die Veranstaltung stattfand. Sie waren maskiert, zündeten Rauchfackeln und schrien Parolen mit einem Megafon. 

«Familie statt Gender-Ideologie», stand auf dem Transparent, das sie draussen entrollten. «Unsere Gäste wurden massiv gestört und erschreckt», hält das Tanzhaus in einer Stellungnahme fest. Nach dem Schock riefen sie die Polizei – zu spät. Als diese eintraf, war von den Angreifern niemand mehr vor Ort, wie es bei der Stadtpolizei Zürich heisst. Die Verantwortlichen des Tanzhauses reichten Strafanzeige ein.

Mitglieder der Gruppe sind polizeibekannt

Es dürfte nicht schwer sein, die Täter ausfindig zu machen. Die rechtsextremistische Gruppe Junge Tat, die sich zum Angriff bekannte, fiel in den vergangenen Monaten mehrfach durch ihre Aktionen auf. Die meisten Mitglieder der Gruppe sind polizeibekannt, einige sogar vorbestraft. 

Eine wichtige Figur der Gruppe ist Manuel C. 2020 machte der damals 19-jährige Student der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK) auf sich aufmerksam, weil er dort rechtsextremes Gedankengut verbreitete und mutmasslich mehrere Onlinevorlesungen mit Nazi-Parolen störte. Wegen Hinweisen auf illegalen Waffenbesitz führte die Polizei im Sommer 2020 bei ihm eine Hausdurchsuchung durch – und wurde fündig. Mehrere Schusswaffen seien bei ihm sichergestellt worden, meldete die Polizei.

Damals waren C. und seine Mitstreiter vornehmlich im Raum Winterthur noch unter dem Namen Eisenjugend aktiv. Sie träumten vom Rassenkrieg und verurteilten die «Dekadenz» in den Städten: «Die Juden, die Schwarzen und die Bürokratie würden bei einem Bürgerkrieg sehr schnell den Tod sterben, den sie reichlich verdient haben», hiess es in den Propagandaschriften.

Nach einem Hackerangriff auf eine jüdische Kulturveranstaltung im Januar 2021 erhielt C. wieder Besuch von der Polizei. Er und fünf weitere Mitstreiter wurden verhaftet.

Einer der führenden Köpfe hinter der Winterthurer Neonazi-Zelle Eisenjugend.

Einer der führenden Köpfe hinter der Winterthurer Neonazi-Zelle Eisenjugend.

Quelle: Videostill eines Eisenjugend-Propagandafilms

Später wurden sie wegen Rassendiskriminierung, Vergehen gegen das Waffengesetz und Sachbeschädigung zu bedingten Geldstrafen verurteilt. 3600 Franken betrug die bedingte Geldstrafe für C., ausserdem musste er 13’000 Franken Verfahrenskosten übernehmen. An die Stelle der Eisenjugend trat nach der Verurteilung eine neue Gruppierung: die Junge Tat. Laut «Tages-Anzeiger» ist C. in der Vereinigung aktiv, war auf verschiedenen Videos der Gruppe zu erkennen und produziert diese auch. Die Junge Tat fiel in den vergangenen Monaten durch inszenierte Propagandaauftritte auf, etwa am 1. Mai in Zürich. Auch vor dem Verlagshaus von Tamedia fand eine Aktion statt.

Anführer C. zu bedingter Geldstrafe verurteilt

Führte die Kantonspolizei nach dem Vorfall vor dem Zürcher Tanzhaus am neuen Wohnort von C. in Hagenbuch ZH eine Hausdurchsuchung durch? Man ermittle noch und könne keine Details bekannt geben, heisst es auf Anfrage. Bei einer erneuten Verurteilung – zum Beispiel wegen Hausfriedensbruch, Drohung oder Schreckung der Öffentlichkeit – müssen die vorbestraften Mitglieder mit höheren sowie unbedingten Strafen rechnen.

Die Gruppe selber macht unbekümmert weiter. Für heute Sonntag ist eine Wanderung im Kanton St. Gallen angesagt. Weitere Angriffe auf Veranstaltungen, die dem rechtsextremen Weltbild der Gruppe widersprechen, sind vorprogrammiert. 

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) beobachtet die Gruppe seit längerer Zeit. Das Gewaltpotenzial der Szene sei seit 2020 insgesamt gestiegen, heisst es. «Es ist wahrscheinlich, dass der Wille zur Auseinandersetzung stärker geworden ist und dass somit gewaltsame Vorfälle wahrscheinlicher geworden sind», schreibt der NDB in seiner aktuellen Lagebeurteilung.