Der Nazi vom linken Radio

Der Bund

RABE / Berns alternatives Radio ist «baff»: Eben noch akkreditierter Journalist im Bundeshaus, entpuppt sich Praktikant Mulas als Nazi.

rg. «Wir sind völlig baff, wir haben nichts geahnt», sagte LukasVogelsang, administrativer Leiter beim linken, alternativen

BernerLokalsender Radio RaBe aufAnfrage zum «Bund»-Bericht vongestern, wonach David Mulas die rechtsradikale «Nationale Partei Schweiz» (NPS) gegründet hat. Mulas arbeitete in den letzten Wochen als freier Mitarbeiter(Praktikant) für dieInfo-Abteilung – und «machte denJob gut», wie Vogelsang sagte.Der 24-Jährige war in derMärzsession gar akkreditierterRaBe-Reporter im Bundeshaus undhatte etwa auch Bundesrätin RuthDreifuss einmal eine Fragegestellt. Integer habe er gewirkt, sich stets ansRedaktionsstatut gehalten, so Daniel Zieli, Infoleiter. Undjetzt dies: ein bekennenderRechtsextremist. Im RaBe ist Mulas nun Geschichte.

«. . .ansonsten künftig illegal»
Gegenüber der NachrichtenagenturSDA hat Mulas gestern den«Bund»-Bericht über seineParteigründung bestätigt – undgehörig eins draufgegeben: DieBundespolizei sei besser beraten,die NPS zu tolerieren, «ansonstenwir künftig im illegalen Bereichpolitisieren». Die NPS strebe einMandat im Nationalrat an undplane Initiativen in der StadtBern, so etwa «gegen Drögeler aufder Gasse» oder «gegenStrassenmusikanten, besondersgegen solche aus dem Osten».Das Bundesamt für Polizeiwesen(BAP) war über die Gründung derNPS im Bilde. Man werde dieAktivitäten der Partei genaubeobachten, sagte BAP-SprecherinDanièle Bersier. Eingeschrittenwerde, wenn «gewalttätige oderextreme Aktionen» geschehensollten.


Zum braunen Frontenfrühling imrot-grünen Bern

° RUDOLF GAFNER

Nazis und Faschisten sehn wirsich in Bern formiern, und denAnfängen zu wehren, dafür istsschon zu spät. Im April 1999bereits warnte die politischePolizei: Skinheads in Bern, soviele wie noch nie;Rechtsradikale, rekrutierend,organisierend und vernetzend wienie zuvor. 1999 schon galt derRaum Bern als einHauptaktionsfeld einerjungrechten Mittelland-Achse, undseither ist das rechtsextremePotenzial in und um Bern lautPolizei nochmals «enormgestiegen». Von den schweizweitauf 500 geschätzten Aktiven sind120 im Kanton Bern.

Unselige Spirale der Eskalation
Eine neue Rechte schlägt zu – mitverbaler Gewalt, etwa mit«Auschwitz-Gesängen» imWankdorfstadion, und mittätlicher Gewalt: Dreimal wurden1999 Hausbesetzungen angegriffen(Bern, Zollikofen,Ostermundigen), dutzendfach gabsPöbeleien in Bern und Umgebung.Seit November bläst die linke«Antifaschistische Aktion»(Antifa) zur Abwehroffensive«Alle gegen Rechts». Wiederholtstellten sich Antifas, etwa imBahnhof, «Nazis» entgegen, diePolizei stand zwischen «sehrgereizten» Fronten. Und am 22.Januar brachte Antifa diebeeindruckende Menge von über 800Demonstrierenden für den«AntifaschistischenAbendspaziergang» auf dieStrasse. Ohne Polizei wärs wohlzu blutigen Zusammenstössengekommen: 250 rechte Militantewollten den Umzug angreifen, 100mutmassliche Störer wurdenabgeführt. Neue Gewalt vonRechten folgte: Am«Barstreet-Festival» vom Februarrandalierten 30 Skinheads undAngetrunkene, schlugen Fensterein, wollten die Festhallestürmen (vier Verletzte). Und ander Fasnacht im März gingenrechte Trupps mit Fäusten undPfefferspray auf Linkenhatz undtrafen dabei Unbeteiligte (dreiVerletzte). Soweit zu letztenVorfällen allein in der Stadt,weitere wurden in Berner Vorortenbekannt.

Längst nicht jeder rauffreudigejunge Provokateur, der da als«Patriot», «Neofaschist» oder«Aarier» (Arier von der Aare)auftritt, ist politisch ernst zunehmen. Im Gegenteil, vielepolitisch völlig unbedarfte,mithin blutjunge «Bubis» tummelnsich da. Jedoch, hinter «rechten»Jugend-Subkulturen agierenpolitisch Bewusste. BernerSkinhead-Führer stehen in Kontaktmit international vernetztenVerbindungen wie den«Hammerskins» oder «Blood &Honour», organisierten NS-Ultras.Berns «Nationale Offensive»vernetzt Berner ihrerseits mitauswärtigen Szenen. Und quasi alsDoyens der Berner Rechtsradikalenim Hintergrund fungieren ältere,nicht (mehr) gewaltbereite,sondern sich als «Denker»versuchende «völkischeNationalisten», deren Zirkel«Avalon» gute Drähte nicht nuretwa zur «Nationalen InitiativeSchweiz» spinnt, sondern auch zuausländischen Kameraden. Derdeutsche Republikaner FranzSchönhuber war bereits«Avalon»-Gast in Bern, derfranzösische NationalfrontistJean-Marie Le Pen soll diesesJahr ins Bernerland kommen.

Neue Phase: «Relevante Partei»
All diese Berner Gruppen rechtsder parlamentarischen Rechtensind jedoch bisher politisch kaumin Erscheinung getreten, einzig«Avalon»-Chef Roger Wüthrich hates bisher gewagt, offenaufzutreten. Seit gestern jedochist dies anders (siehe Kasten):«Neofaschist» David Mulas, ein24-jähriger Berner, ist aus demDunkel der Anonymitätherausgetreten, als Gründer undChef einer «Nationalen ParteiSchweiz» (NPS), die er als«relevante Partei» aufbauen will.Zur Schwesterpartei vonDeutschlands National-Demokraten(NPD) will er die NPS machen; alserster Coup sollte diesen Samstagein Kongress mit 200 Gästen inBern stattfinden, doch der Anlassplatzte.
Mit diesem «Outing» eines «echtenNazi», wie ernst oder spinnerters auch meinen mag, hat Bernsrechte Szene eine neue Qualitäterreicht – und auch andere brauneKameraden kommen auf denGeschmack: Noch sei nicht dieZeit gekommen, offen aufzutreten,lässt der Chef der «NationalenOffensive» wissen, «doch der Tagkommt, wo ich dies tun werde!»Nicht, dass nun ein Marsch aufRathaus oder Erlacherhofanstünde, keineswegs – es sindimmer noch sehr randständigeSplittergruppen, die zwar fürpotenzielle Opfer rechterAttacken (Linke, Ausländer . . .)gefährlich sein können,gefährlich sind, nicht aber fürdie Sicherheit der Stadt,geschweige denn des Staats. Aber,und dies ist neu: BernerFaschisten undNationalsozialisten scheuen Lichtnicht mehr, sie bekennen Farbe,gehen in die Offensive – währendandrerseits ihre Gegner vonAntifa nach wie vor in Anonymitätverharren, angeblich aus Furchtvor den Nazis.
Antifas «Antifaschismus» istzweifelhaft, denn ein Teil ihresautonomen Umfelds fällt mitdumpfem «Schlagt die Faschisten,wo ihr sie trefft»-Gebahrenmitunter ebenfalls rechtfaschistoid auf. Doch ist esAntifa zu danken, dass der rechteAuftrieb in und um Bern von deretablierten Politik endlichwenigstens zur Kenntnis genommenwird. Bisher war nämlichVerdrängung angesagt, wurdenVorfälle oft erst aufMedienanfrage bekannt. AlsCVP-Stadtrat Arnold Bertschy 1999anfragte, ob es Drähte zwischenExtremisten und Etablierten gebe,antwortete der Gemeinderat solapidar wie unwahr: «KeineFeststellungen». In diesemFebruar dann, unter Mediendruckim Gefolge des Antifa-Marschs,der das allseitige Schweigendurchbrochen hatte, liess sichdie Polizei zur «heiklen Frage»immerhin so viel entlocken: «Esbestehen Verbindungen – aufunterschiedlichen Ebenen.»

Etablierte Politik angesprochen
Verdrängen geht nicht mehr – unddas ist gut so, denn Verdrängenzeitigt fatale Folgen. Beimbraunen «Frontenfrühling» in derrot-grünen Stadt und ihrem Umlandhandelt es sich ja nicht zuletztum ein Warnsignal keimenderJugendunruhe – und schon einmalhat man solche Signale ignoriert:Vor genau 20 Jahren, alsJugendunrast noch gemeinhin denStempel «links» bekam, musstenerst Pflastersteine Scheibenklirren lassen, bis der tiefsitzende Frust unzufriedener«Bewegter» überhaupt erstwahrgenommen wurde. Und heute ist«Rechts»-sein mit Bomberjacke undHakenkreuz ja auch deshalb «inMode», weil solches letzteProvokationen sind, mit denen«die Gesellschaft» noch wirklichnachhaltig provoziert werdenkann. Die so provozieren, stelleneine kleine Minderheit der Jugenddar – noch. Aber wer weiss . . .1979 war auch von braver Jugenddie Rede, und 1980 brannte es.Man kann es, man sollte es jaauch mal so betrachten. Es stehenda doch letztlichgesellschaftliche Probleme zurDebatte, und diesen alleinpolizeilich-repressiv zubegegnen, hiesse den Kopf in denSand stecken. Der in Bernschwelende Bandenkleinkrieg«rechter» gegen «linke»Subkulturen verlangt nachinterdisziplinären Antworten:Schul- und Fürsorgedirektion sindhier ebenso gefordert. Städte imAusland, so etwa in DeutschlandsOsten, haben darin bereits vielErfahrung, die angezapft werdenkönnte, zum Beispiel für Bern.

Nur ja kein billiges Politgezänk!
Hinzu kommt der politischeDiskurs, der Not tut – zumBeispiel über die Verbindungenzwischen Extremisten undEtablierten. Bald wird das Themaim Stadtparlament zu reden geben- und es ist sehr zu hoffen, dasssich die Parteien, trotz demWahlkampf, ehrlich und ernsthaftdamit befassen. Vorwürfe müssensich die «Sozialpatrioten» vonBerns Schweizer Demokraten oderdie «Blocheristen» von der SVPgefallen lassen. Denn wer, wieBernhard Hess (sd), gernverbal-brachialeBürgerwehr-Agitation verbreitet,gar selber mithin in Nazijargonverfällt, und wer, wie ThomasFuchs (jsvp), schon selber einmalam TV zu sehen war, wie er mitFaust statt Mund gegen Linkeausholt . . . der darf sich nichtwundern, wenn solche Saat böseErnte einbringt. Und die Mitte,ja auch die SP, sollte nichtbloss billig mit dem Finger aufFuchs oder Hess zeigen. Auch siehaben Erfahrung mit(Ex-)Mitgliedern, die zu scharfenRechten wurden; die FDP hatte1998 ihre Affäre um den BelperS., die SP Bern die ihrige umeinen Herrn Huber.