gesuchte öffentliche Plattform bieten? Würde die breite Öffentlichkeit ohne

AP

solche Prozesse je von der raren Spezies der Negationisten Kenntnis nehmen?

Sie selbst nennen sich „Revisionisten“. Der Begriff Negationisten istpräziser. Sie negieren mit abenteuerlichen Konstruktionen das besterforschteVerbrechen der Geschichte. Sie klauben aus Quellen Widersprüche zusammen,etwa zur Anzahl der Ermordeten. Und ziehen den zynischen Schluss, angesichtssolcher Widersprüche könne der Holocaust gar nicht stattgefunden haben.

Die international vernetzte Miniszene, die diese Geschichts(um)schreibunghartnäckig betreibt, hat ein Motiv: Wer nationalsozialistisches Gedankengutwieder salonfähig machen will, muss den millionenfachen Mord, den dasNaziregime verübte, wegleugnen. Gelänge dies, hätten Nazis und Antisemitenwieder bessere Karten.

Trotz einer massiven Präsenz im Internet bleiben die Negationisten einerbärmliches Häufchen: bezüglich der Inhalte und der Zahl ihrer Jünger.Natürlich bleiben ein paar Bildschirmhocker und Liebhaber „nonkonformer“Theorien hängen. Aber politisch kommen die Leugner nicht vom Fleck. Erstrecht nicht, seit aufgeregte Medienberichte über irgendeinennegationistischen Winkel im Netz zum Glück wieder aus der Mode gekommensind.

So spekulierte die Szene auf ein Provinzgericht, das ein Beweisverfahrenanordnet zur Frage, ob der Holocaust stattgefunden habe. Jürgen Graf hoffte1994 „auf eine Annahme des Maulkorbgesetzes“ und kündigte an: „EinigeRevisionisten würden gleich einen Prozess provozieren, bei dem eine Reihehochkarätiger Techniker und Naturwissenschafter die Unmöglichkeit derHolocaustgeschichte nachweisen würde.“ Vor einem schweizerischen Gerichtwird es eine solche Auslegeordnung nicht geben. Das Bundesgericht hat denentscheidenden Pflock bereits im Februar 1995, unmittelbar nachIn-Kraft-Treten des ARG, eingeschlagen. Im Ehrverletzungsverfahren der“braunen Mariette“ Paschoud aus Lausanne gegen das „Bieler Tagblatt“ hieltendie Bundesrichter klipp und klar fest: „Die Forderung nach einem einzigenBeweis für die Existenz von Gaskammern im Dritten Reich ist angesichts dervorhandenen zahlreichen Beweise absurd.“

„Für uns Revisionisten ist nicht das In-Kraft-Treten des ARG dasentscheidende Datum, sondern das Paschoud-Urteil- weil das BundesgerichtOffenkundigkeit annimmt“, kommentierte damals der heute 82-jährigeHolocaustleugner Arthur Vogt aus Erlenbach: „Jede Forderung der Verteidigungnach Sachbeweisen für die Judenvergasungen oder nach der Ladung vonrevisionistischen Experten, welche die technische Unmöglichkeit derbehaupteten Massenvergasungen und -verbrennungen darlegen sollen, wird wohlnach deutschem und französischem Muster abgelehnt werden.“

Vogts Einschätzung war und ist richtig. Und vor allem ist die von ihmkritisierte Position des Bundesgerichts richtig. Es war also abzusehen, dassauch im Fall Amaudruz kein Beweisverfahren zum Holocaust angeordnet würde.Ebenso wenig braucht es Beweisverfahren zur Gesinnung der Täter. Im FallAmaudruz versuchten die Kläger durch Aufbietung von Zeugen, das offenkundigepolitische Profil des offen delinquierenden Faschisten nachzuweisen. Dabeiist es nicht die Aufgabe eines ARG-Verfahrens, dem Täter politisch denProzess zu machen – und damit den Gerichtssaal zur politischen Bühne. DasGericht hat abzuklären, ob das strafbare Delikt (Rassendiskriminierung)begangen wurde oder nicht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und bitteetwas zügiger als erst nach fünf Jahren.

In diesen Tagen werden ein paar Leserbriefe lamentieren, in der freienSchweiz gelte die freie Meinungsäusserung nichts mehr. Diese Kritikverabsolutiert das Recht auf freie Meinungsäusserung und verdrängt, dasskein Menschenrecht ein anderes aushebeln darf. Es gibt kein Menschenrechtauf Menschenhetze.

Die Irvings und Amaudruz‘ dürften zwar am Londoner Hyde Park Corner allessagen, aber eben nicht in der übrigen Welt. Negationisten (wie auch dieVerfechter einer grenzenlosen Freiheit im Internet) wollen die ganze Weltzum rechtsfreien Hyde Park Corner erklären. Sie berufen sich auf einMenschenrecht, um andere Menschenrechte mit Füssen zu treten. Hyde ParkCorners gibt es auch in der Schweiz. Das ARG gilt im Prinzip im ganzen Land.Jedoch kaum im Internet und überhaupt nicht in den Mehrzweckhallen vonGemeinden, in denen Nazi-Skinbands ungestraft zu Mord und Totschlag anMinderheiten aufrufen und ältere Buben wie junge Männer auf Feindbildertrimmen. Beim Internet fehlt es weniger am Willen der Behörden als amgangbaren Weg. Bei rechtsextremen Partys fehlt auch der Wille. Konzerthallensind seit fünf Jahren rechtsfreie Räume, eben Hyde Park Corners.

* Der Journalist Jürg Frischknecht, langjähriger Beobachter derrechtsextremen Szene, veröffentlichte 1998 zusammen mit Peter Niggli dasBuch „Rechte Seilschaften“ (Rotpunktverlag Zürich).