Wie sich die «Junge Tat» als rechtsextreme Kraft positionieren will – Europol warnt vor neuartiger Kommunikationsstrategie

Neue Zürcher Zeitung. Sie hat weniger als zwei Dutzend Mitglieder und beunruhigt Fachleute dennoch: Die rechtsextreme «Junge Tat» drängt seit Monaten aggressiv in die Öffentlichkeit. Mit aufsehenerregenden Aktionen versucht sie, an gesellschaftliche Debatten anzudocken.

Mitte November sorgte in Basel der brutale Mord an einem Taxifahrer für Entsetzen. Das Verbrechen gab dem Image der gefährlichsten Stadt der Schweiz wieder einmal Auftrieb. Seit Jahren gibt das Thema zu reden, häufig garniert mit dem Hinweis auf die rot-grüne Regierung und die angeblich lasche Ausländerpolitik. So erstaunte es nicht, dass zwei Tage später sechs junge, vermummte Männer auf das Dach des Bahnhofs stiegen und ein riesiges Transparent mit der Aufschrift «Kriminelle abschieben» entrollten.

Zufall? Die Guerilla-Aktion passt jedenfalls perfekt zu der Gruppe, die dahintersteckt: eine kleine rechtsextreme Clique, die mit Social-Media-tauglichen Inszenierungen aggressiv in die Öffentlichkeit drängt. Die «Junge Tat», wie sich die Organisation nennt, vermeidet allzu direkte Bezüge zu den Nationalsozialisten und greift stattdessen Themen auf, die Gesellschaft und Politik ohnehin beschäftigen. Doch sie verfolgt eine nicht minder rassistische Ideologie. In Zürich hat die «Junge Tat» zuletzt Mitte Oktober für Aufsehen gesorgt, als sie eine Vorlesestunde für Kinder störte, in der eine Dragqueen über Geschlechteridentitäten sprach.

Offene Bewunderung für Hitler

Die «Junge Tat» gehört zu den Gruppierungen der neuen Rechten, die die alten Nazi-Parteien in den letzten Jahren abzulösen begannen. Lange war die Pnos (Partei National Orientierter Schweizer) die bekannteste rechtsextreme Partei, die sich offen an der national-völkischen Gesinnung der Nationalsozialisten orientierte. Doch Anfang 2022 gab sie nach Jahren in komatösem Zustand ihre Auflösung bekannt. Verschwunden ist damit nur eine Aktionsform, nicht aber die Ideologie, wie Dirk Baier vom Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) gegenüber der NZZ erklärt.

Mit dem Niedergang der Pnos wurde das Feld im rechtsextremen Lager frei für einen Generationenwechsel. Die zentralen Figuren in der «Jungen Tat» sind M. C. und T. L. – beide erst nach der Jahrtausendwende geboren. Und beide sind wegen ihrer hetzerischen Tätigkeit bereits vorbestraft: 2020 loggten sie sich zusammen mit weiteren Mitstreitern in Zoom-Vorlesungen der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) ein und platzierten rassistische sowie antisemitische Sprüche und manifestierten ihre offene Bewunderung für Hitler.

In einem Videofilm der «Eisenjugend Schweiz» posierte M. C. zur gleichen Zeit mit einer Kalaschnikow. Und schon damals drängte der Winterthurer mit rassistischen Aufklebern in den öffentlichen Raum vor. In dieser Phase testete M. C. mit einigen Mitstreitern das Potenzial rechtsextremer Parolen vorerst noch auf eher grobschlächtige Weise aus, mit Folgen: M. C., der an der ZHdK studiert hatte, wird nicht nur verurteilt, er fliegt wegen seiner Aktionen auch von der Schule. All das bezeichnen M. C. und T. L. heute als «jugendlichen Leichtsinn».

Corona verleiht der Bewegung Schub

An der Gesinnung änderte sich freilich nichts. Aus der «Eisenjugend» und der «Nationalistischen Jugend Schweiz» ging die «Junge Tat» hervor, die wegen der Corona-Pandemie kräftig Schub erhielt: Die Gruppierung besuchte die Massnahmen-Demos und drängte sich immer offensiver in den Vordergrund. «Dass das möglich war und dass man sie gewähren liess, hat die Szene zweifellos bestärkt», erklärte der Freiburger Historiker Damir Skenderovic, der auf die Geschichte der Migration und des Rechtsextremismus spezialisiert ist, kürzlich gegenüber der NZZ.

Statt auf alte Naziparolen zurückzugreifen, versucht sie, an die gesellschaftspolitischen Debatten «anzudocken», wie es Dirk Baier formuliert. So ist es nicht zufällig, dass die «Junge Tat» auf dem Banner am Basler Bahnhof ein weisses Schaf abbildete, das von einem schwarzen Schaf weggeschubst wird. Mit diesem Motiv hatte die SVP vor fünfzehn Jahren für die Ausschaffungsinitiative geworben. In Zürich aber, wo die «Junge Tat» die Gender-Debatte aufnahm, verlangte die SVP prompt, dass die Vorlesestunden der Dragqueens nicht stattfinden – genauso, wie es die «Junge Tat» gefordert hatte.

Ihr Facelifting von einer aggressiven, offen rassistischen hin zu einer scheinbar harmlosen, zeitgeistigen Kraft im rechten Lager thematisiert die «Junge Tat» sogar selbst. In einem Video, das kürzlich auf verschiedenen Plattformen veröffentlicht wurde, treten M. C. und T. L. offen auf. Sie nennen sich jetzt «Aktionskollektiv», sehen sich selbst als «Aktivisten». Sie geben sich betont locker und treten optisch auf wie Hipster aus dem urbanen Milieu. M. C. bezeichnet seine Zeit in der neonazistischen «Eisenjugend Schweiz» lapidar als «falschen Start». T. L. betitelt ebenfalls neonazistische Gruppierungen, wie die «Nationale Jugend Schweiz», als «verwerfliche Zusammenschlüsse». Es sei um Sport und jugendlichen Leichtsinn gegangen, heisst es im Video.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Im Video geben sich die Akteure der «Jungen Tat» belesen und inszenieren sich als nüchterne Analytiker. Sie sind die Opfer, die missverstandenen «Aktivisten», die bloss den Finger auf die wunden Punkte legen. Doch bei genauerer Betrachtung ist die rechtsextreme Ideologie unübersehbar. Prominent wird beispielsweise schon in den ersten Minuten ein Werk des in rechtsextremen Kreisen verehrten österreichischen Publizisten Martin Semlitsch in Szene gesetzt, der unter dem Pseudonym Martin Lichtmesz publiziert. Titel des Buches: «Ethnopluralismus».

Mit diesem Schlagwort versuchen rechtsextreme Gruppierungen europaweit, ihre Ideologie in die breite Gesellschaft zu tragen. Sie vermeiden dabei Wörter wie «Rasse» und sprechen lieber über «Kulturen», «Ethnien» oder «Völker». Sie unterlassen es, einzelne Völker als «minderwertig» oder «überlegen» zu betiteln, und versuchen damit, eine Distanz zum Nationalsozialismus herzustellen. Doch im Kern strebt der Ethnopluralismus, entgegen der eigentlichen Bedeutung des Wortes, strenge Homogenität an. Jedes Volk sei wertvoll, so das Narrativ – allerdings nur für sich allein und an seinem angestammten Platz auf der Welt.

Den Ethnopluralismus koppeln Rechtsextreme europaweit mit dem Verschwörungsmythos des «grossen Austausches». Also dem Mythos, wonach die weisse Bevölkerung in Nordamerika und Europa durch andere Bevölkerungsgruppen nach Plan ausgetauscht werden soll. Auch M. C. spricht in dem Video wörtlich vom Bevölkerungsaustausch. «Es bleibt unsere Heimat – Europa verteidigen», heisst es passend dazu auf dem T-Shirt, das M. C. in dem Video trägt. Und das Symbol, das die «Junge Tat» als Erkennungszeichen gewählt hat und das im Video mehrfach gezeigt wird, hat direkte Bezüge zu den Nationalsozialisten: Es ist an die sogenannte «Tyr-Rune» angelehnt. Die Absolventen der Reichsführerschulen trugen es am linken Arm, direkt oberhalb der Hakenkreuz-Binde.

Unter zwei Dutzend Mitglieder

Doch wie gross ist die Gefahr, die von Gruppierungen wie der «Jungen Tat» ausgeht? Der Luzerner Journalist Hans Stutz, der die rechtsextreme Szene seit Jahrzehnten beobachtet, erklärt gegenüber der NZZ, die Zahl der Aktivisten sei bis anhin sehr klein, wohl unter zwei Dutzend. Dazu kämen Sympathisanten im Umfeld. Aber anders als bei Rechtsextremen früherer Ausprägung, beispielsweise den Nazi-Skins, fehle eine subkulturelle Szene, die sich bei Konzerten oder an symbolträchtigen Veranstaltungen wie der 1.-August-Bundesfeier auf dem Rütli zusammenfinde und offen für rechtsextreme Ansichten sei.

Es sei deshalb noch völlig offen, welche Dynamik die «Junge Tat» in naher Zukunft entwickle. Stutz sieht allerdings die Gefahr, dass Gruppierungen wie die «Junge Tat» den Diskurs beeinflussten. Die meisten Leute könnten einer rechtsextremen Ideologie wenig abgewinnen, doch viele teilten gewisse rechtsbürgerliche Ansichten oder traditionelle Werte. Es ist deshalb auch aus seiner Sicht bezeichnend, dass die «Junge Tat» in gegenwärtige Debatten eingreift, indem sie gegen «kriminelle Ausländer» demonstriert oder eine Dragqueen-Lesung angreift.

Ähnlich beurteilt es Skenderovic: «Sie hoffen, dass die Diskussion ins Extreme kippt und ihre diskriminierenden Ideen auf breiten Widerhall stossen», erklärte er im Interview mit der NZZ. Die Grösse der Gruppierungen sei zwar überschaubar, doch im Internetzeitalter sei es fast wichtiger, wie viele Menschen erreicht werden könnten. Laut einem Bericht von Europol verfolge die Gruppe in den sozialen Netzwerken eine Kommunikationsstrategie, die in der rechtsextremen Szene bis anhin einmalig sei. «Deshalb warne ich davor, diese Gruppen zu verharmlosen», so Skenderovic.

Die Angst vor einsamen Wölfen

Die Aussagen des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) deuten darauf hin, dass genau dies passiert: Die Befürchtung, bei einem Outing als gewalttätige Rechtsextremistin oder gewalttätiger Rechtsextremist mit persönlichen Konsequenzen wie Arbeitsplatzverlust rechnen zu müssen, sei jedenfalls bei diversen Exponentinnen und Exponenten gesunken, heisst es im jüngsten Lagebericht. Dies dürfte laut NDB die Motivation erhöhen, öffentliche Aktionen durchzuführen und damit auch neue mögliche Mitglieder anzuziehen. Zur «Jungen Tat» will sich der NDB auf Anfrage der NZZ nicht weiter äussern.

Dirk Baier warnt vor einer weiteren Gefahr. Die Mitglieder der «Jungen Tat» seien derzeit selbst zwar kaum gewaltbereit – auch deshalb, weil dies zu offensichtlich mit dem angestrebten Saubermann-Image kontrastiere. Doch rechtsextreme Gewalttaten würden häufig von Einzeltätern ausgeführt, die sich im Internet durch rechtsextremes Gedankengut inspirieren liessen und sich schliesslich radikalisierten. Auch in NDB-Kreisen ist die Angst vor solchen einsamen Wölfen besonders gross.

Die rechtsextremen Nazi-Skins früherer Prägung versuchten ihr Bedrohungspotenzial mit ihrem martialischen Auftreten zur Schau zu stellen, um Schrecken zu verbreiten. Die «Junge Tat» geht genau umgekehrt vor und unterscheidet sich äusserlich kaum von der breiten Bevölkerung. Doch genau darin liegt ihre Gefahr.