Spurensuche in der Grauzone

Der Bund

Verbindungen zwischen Extremisten und Etablierten in Bern: SD-Nationalrat Bernhard Hess und andere Fälle von «Berührungspunkten»

Der Fall von SD-Nationalrat Bernhard Hess – als «Benno» per Du mit dem Ideologen der rechtsradikalen PNOS (siehe Seite 1) – wirft, einmal mehr, die Frage nach Drähten von Extremisten zu Etablierten in Bern auf. Verbindungen gibts, rechts, aber auch links. – Blick in den Nebel einer Grauzone.

rudolf gafner

Am Anfang dieser Geschichte war eine Anfrage in Berns Stadtrat: Arnold Bertschy (cvp) wollte wissen, ob Extremisten Drähte zu Etablierten unterhielten. Das war 1999, als in Bern die rechtsextreme Szene im Kommen war und die linksautonome Antifa gegenmobilisierte. «Keine Feststellungen», antwortete der Gemeinderat knapp. Bertschy war unzufrieden, er hätte «mehr erwartet». Zu Recht, denn wie sich später zeigte, war die Antwort so lapidar wie letztlich unwahr – liess sich der Leiter der Staatsschutzabteilung der Stadtpolizei, Fritz Schlüchter, doch vom «Bund» die Aussage abringen, wonach in der Tat «Verbindungen bestehen», und zwar «auf unterschiedlichen Ebenen», wie er es gerade wieder erlebt habe an einem Infoabend von Rechtsradikalen – Thema: Himmlers Waffen-SS. Mehr hat Schlüchter seitdem nicht verraten, so auch jetzt nicht, da die Sache erneut aktuell ist. Es sei ihm «zu heiss», diese Frage sei «heikel».

«Verbindungen teils gut sichtbar»

Heiss und heikel – Jürg Bühler, Vizechef des Dienstes für Analyse und Prävention im Bundesamt für Polizei (BAG), erläutert, weshalb. «Berührungspunkte gibt es schon, aber eher auf persönlicher Ebene.» Solange aber Extremisten etablierte Parteien nicht «strukturell unterwanderten», sei die Frage für die Polizei «tabu»: Seit der Fichenaffäre sei der Staatsschutz-Auftrag klar limitiert auf die Beobachtung militanten Extremismus, «da gehören Parteien nicht dazu». Drähte gebe es zwar, bis hin zu teils «relativ gut sichtbaren Verbindungen» (siehe Kasten) – doch dem nachzugehen, sei jetzt eher Sache der Presse denn der Polizei, so der Staatsschützer.

In der Tat sind Ende der 90er-Jahre immer wieder Fälle bekannt geworden – wobei keineswegs nur Rechtsparteien wie Schweizer Demokraten oder Freiheitspartei ins Gerede kamen: Die FDP etwa hatte ihren Fall Fischbacher in St. Gallen, auch die FDP Bern ist seit dem Fall S. in Belp befleckt. Aufsehen gab es jedoch vorab um die SVP mit Fällen wie Indlekofer in Basel oder Junod in Genf – ja so sehr häuften sich die SVP-Schlagzeilen, dass Bundesrat Adolf Ogi 1999 forderte, die Partei systematisch nach Rassisten und Neonazis zu durchforsten. Als wenig später in Uri erstmals ein Nazi-Skinhead als Funktionär einer etablierten Partei (SVP-Ortssekretär) aufflog, berichtete in Bern die Polit-Polizei erstmals von deutlichem «Zusammenspiel rechter Ideologen und militanter Aktivisten» . . .

Ultrarechte in bürgerlichen Sälen

. . . Und dies nicht zuletzt wegen der Umtriebe zweier Berner: Roger Wüthrich aus Worblaufen, bekennender Nationalsozialist, Chef des völkisch-heidnischen Zirkels Avalon und so etwas wie Berns Gauleiter, reist im Lande herum und gibt politische Schulung für Skinheads – und Ahmed Huber aus Muri, der als Islamist den Bund mit Rechtsextremisten probt, feiert seinerseits Nazi-Skinheads als «die neuen 68er». Ab und zu tauchen Huber und Wüthrich in Kreisen etablierter Berner Politik auf: Wie viel wirklich dran ist an den «Kontakten» zu SVP- und FDP-, ja sogar SP-Leuten, mit denen Avalon-Chef Wüthrich prahlt, bleibe dahingestellt. Tatsache ist, dass er – der die Wiking-Jugend Schweiz gründete und heute Skinheads preist, da nur sie Linken «physischen Widerstand» entgegensetzen würden – allenthalben auch schon an Anlässen von «Bern aktiv» zu sehen war, jener rechtsbürgerlichen Vereinigung, die präsidiert wird von SVP-Grossrat Thomas Fuchs (. . . der im Übrigen auch schon einmal am Fernsehen zu sehen war, wie er mit Faust statt Wort gegen linke Aktivisten ausholte).

Und Fakt ist auch, dass Ahmed Huber (einst Mitglied der SP Bern, 1994 hinausgeworfen) nicht bloss vor rechten Glatzköpfen, sondern auch schon einmal vor dem betulichen «Bürgerlichen Forum Bern» gegen «Satan USA», «zionistische Mafia» und «intellektuelle Schweine» brandreden konnte. Aus solchen Vorkommnissen aber gleich qualifizierte Verbindungen ableiten zu wollen, wäre nicht zulässig.

«Sozialpatriot» Bernhard Hess . . .

Etwas anders liegt der Fall Hess: Keiner aus der etablierten Berner Politik fällt derart oft weit rechts auf wie Bernhard Hess, Nationalrat sowie alt Stadt- und alt Grossrat der Schweizer Demokraten (SD). Dass Hess im Januar 2000 Skinheads für einen SD-Stand angeheuert und den Berner Jungfaschisten M. von der «Nationalen Partei Schweiz» (NPS) «für SD-Propagandaarbeit eingesetzt» haben soll, sind Antifa-Behauptungen, unbelegte und bestrittene. Dahingestellt sei ebenso, was es hier letztlich zur Sache tut, dass Hess schon als Schüler seinen Lehrer «irritierte», weil er über NS-Deutschland «alles gewusst» habe, und dass Hess? Vater, einst Faschist, in den 70er-Jahren für eine rechtsradikale Schrift korrespondierte, sich für Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess und einen NS-Gefangenen in Italien eingesetzt hatte (wie «Berner Zeitung» und «Facts» 1999 und 2000 berichteten – und Bernhard Hess als «sippenhaftähnliche» Vorhaltungen empört zurückweist).

Fakt ist, dass in SD-Zusammenhängen, so etwa beim Podium zu den bilateralen Verträgen im Bümplizer «Ochsen» Anfang 2000, auch schon jugendliche Glatzenträger aufgefallen sind. Tatsache ist auch, dass Hess nicht nur mit brachialer Agitation Stimmung machte (als er etwa mit Bürgerwehr-Selbstjustiz gegen Berns Drogenszene drohte), sondern auch schon offen in Nazi-Jargon verfiel – als er den seiner Ansicht nach zu hohen Ausländeranteil in Bern West als «Umvolkung» verdammte. «Umvolkung» lautete im Dritten Reich ein Begriff für SS-Programme zur «Eindeutschung» von Osteuropäern in die «arische Herrenrasse». Mit diesem seit 1945 tabuisierten Begriff hatte vor Hess bereits Österreichs Rechtsaussen Jörg Haider operiert und damit einen Skandal ausgelöst. Dass Hess Haider gerne kopiert, zeigte bereits der Wahlkampf von 1996 mit der von Haider plump abgekupferten SD-Kampagne «Bern West zuerst».

Fakt ist sodann, dass Hess, wenn der Abend lang ist, seine Ideologie des «Sozialpatriotismus» auch ?mal übersetzt mit «sozialem Nationalismus» und «Volksgemeinschaft» – letztes auch einschlägiges NS-Vokabular. Vor allem aber tut relevant zur Sache, dass Hess eingestandenermassen Bekanntschaften unter rechtsradikalen Insidern hat. Dass er Roger Wüthrich und Ahmed Huber persönlich kennt, hat Hess vor drei Jahren schon eingeräumt, sich aber zugleich von Avalon und «diesen Chaoten» empört distanziert.

. . . und seine Drähte nach rechts

Und jetzt also Bernhard Schaub. Als Berner Antifa-Autonome am 9. August den «Parteitag» der «Partei National Orientierter Schweizer» (PNOS) in Walkringen sprengten, klauten Vermummte aus dem Auto des als PNOS-Ideologen geltenden Schaub Unterlagen. Das Material beweise «engen Kontakt» zu Hess, teilte Antifa im Communiqué mit. Gestern nun lag das PNOS-Material kopiert beim «Bund» in der Post – und in der Tat taucht Hess dreimal auf: Im Adressenverzeichnis sowie im Notizbuch Schaubs, wo von einem «Brief Benno Hess» die Rede ist und sich ein Vermerk mit rätselhafter Angabe einer Uhrzeit findet: «Bernhard Hess(. . .) 09-12.00».

Wieder ein Mosaikstein – und wieder räumt Hess ein und distanziert sich: «Ja, ich kenne Schaub», sei als Benno sogar «Duzis mit ihm geworden». Ja, der PNOS-Ideologe habe ihm, dem SD-Politiker, «Briefe geschickt», in der er «als Intellektueller» Ideologiefragen behandle, sagte Hess gestern in einem ersten Telefongespräch – in einem zweiten sprach er nur von «einem einzigen und relativ sauber abgefassten Brief». Er lasse sich indes nun nicht in die Pfanne hauen, sich nicht «die Faschismuskeule über die Rübe ziehen», so Hess: Er sei «Schweizer Patriot», stehe für Freiheit, Demokratie und Volksrechte, lehne Nationalsozialismus als «verbrecherische Ideologie» ab, habe nie den Holocaust geleugnet und sich nie «zu Judenfragen» vernehmen lassen. Und dann ruft Hess an, ihm sei noch etwas eingefallen: Er sei immer für «strikten Gewaltverzicht» eingetreten, betont er, der einst offen mit Bürgerwehrmilitanz geliebäugelt hatte, im dritten Telefonat.

Von NA, SD und den «D-Rechten»

Roger Wüthrich hatte vor fast 20 Jahren, als er bereits mit deutschen Altnazis «NS-Idealismus» aufleben liess, in Hess? Reihen angefangen – der Nationalen Aktion für Volk und Heimat (NA). Die Nähe von NA-Exponenten und -Äusserungen zur extremen Rechten war zeitweise so offenkundig, dass 1987 etwa auch das Bundesgericht Ähnlichkeiten zu NS-Lehren bestätigte. Das führte dann massgeblich zum Neustart der NA als Schweizer Demokraten, und seither sind die SD peinlichst darauf bedacht, nur ja keine braunen Flecken abzubekommen.

«D-Rechte» seien Extremisten, «Bewunderer des Nationalsozialismus», SD-intern genannt worden – «D» wie «Deutschland», sagt Hess, «und wenn sich einer mit kürzeren Haaren bei uns meldete, kam die Partei immer gleich auf die Sätze.» Andrerseits dürfe «ehrlicherweise» auch erwähnt sein, dass den SD an Integration gelegen seien, «denn das Aufziehen einer Partei rechts der SD wollen wir nicht», sagt Hess. Dass etwa Hess Schaub kennt, geht zurück auf 1992, als Schaub im Aargau eine neue SD-Sektion gründen wollte. Und diese gewisse Ambivalenz von Nähe und Distanz in der Haltung drückt sich in einer weiteren Hess?schen Überlegung aus – was die jungen Glatzköpfe betrifft: «Vielleicht würde man solche Jungen gescheiter in die Jungen SD integrieren statt sie den Ultrarechten zu überlassen.» Bei den JSD könnten sie dann «Demokratie lernen», anstatt weiter rechts abzustürzen.

Ausgrenzen? Integrieren? Bei den Jungen SD könnten Skinheads ja immerhin «Demokratie lernen», sinniert SD-Nationalrat Hess.key

Blick nach links: «Oft ists Blauäugigkeit»

Ohne Neonazis und Linksradikale gleichzusetzen, tut zum Erkenntnisgewinn in Sachen «Verbindungen Extremisten/Etablierte» auch ein Blick nach links Not: Auch hier stellen die Staatsschützer Bezüge fest, «teils relativ gut sichtbare Verbindungen», wie Jürg Bühler vom Bundesamt für Polizei sagt (siehe Haupttext). Gezeigt habe sich dies bei den Mobilisationen zum Weltwirtschaftsforum, als es dem «Revolutionären Aufbau Zürich» geglückt sei, das Oltner Bündnis «relativ klar zu unterwandern», worauf sich SP und Grüne absetzten.

Auf die Frage, ob solche «Unterwanderung» durch Radikale auch bei Berns Anti-WTO-Koordination stattfinde, antwortet Bühler süffisant mit der Gegenfrage, ob es denn nötig sei, diese zu unterwandern, fehle dieser doch «breite Abstützung». Im Übrigen sei zu beachten, dass, wenn es auf linker Seite zu Verbindungen von Militanten zu Etablierten komme, «oft auch Blauäugigkeit» im Spiel sei.

Eine Aussage, bei der einem der Eklat von 2001 in der bernischen reformierten Landeskirche in den Sinn kommt, als eine Kirchenstelle mit der Anti-WTO-Koordination eine Kampagne führte, worauf die Kirchenoberen eingriffen. Sie wollten wissen, mit wem ihre Leute da kooperierten – und über Internet-Links «sahen wir: Wir kommen hier in Bereiche, in die wir als Kirche nicht kommen können», wie es Synodalrätin Elisabeth Bäumlin sagte. Was sie nur andeutete, sprach Synodalratspräsident Samuel Lutz offen aus: Die Kirchenstelle hätte «auch mit Organisationen zusammengearbeitet, die bereit wären zu Gewalt».

Beim Suchen von Berührungspunkten zwischen militanter ausserparlamentarischer Linker und etablierter Linker in Bern stolpern wir oft über einen Namen: Daniele Jenni, Anwalt, Stadtrat der Grünen Partei. Er ist sozusagen Hausanwalt der Berner Autonomen, ist aktuell juristische Anlaufstelle für G-8-Globalisierungsgegner, hat auch schon die autonome Antifa («Antifaschistische Aktion») zu Gesprächen mit der Polizei begleitet. Nach der eskalierten WEF-«Nachdemo» im Januar trat Jenni für die Demokratischen Juristen an der Medienkonferenz der Anti-WTO-Koordination auf, machte «sehr berechtigte Wut» auf die Polizei geltend. Jennis prominentester Kunde aus autonomen Kreisen ist der Berner Anarchist Anton «Fashion» bzw. «Giovanni» Schumacher, den er auch letzten März verteidigt hat, als «Fashion» wegen einer Davos-Aktion in Landquart GR drei Monate Gefängnis unbedingt erhielt. Mit Schumacher und dem «Büro gegen finstere Zeiten» hatte Jenni 1996 das Referendum gegen das neue bernische Polizeigesetz ergriffen, beide kennen sich schon seit den frühen 80ern, als der grüne Politiker und die Identifikationsfigur von Berns Jugendunruhen für die Demokratische Alternative kandidierten.

«Ja, ich kenne Schumacher und ich verteidige Leute. Aber es wäre reichlich . . . nein: höchst übertrieben, zu sagen, dass ich mich auf den verschlungenen Pfaden der autonomen Szene gut auskennen würde», sagt Jenni. Manchmal, so von Antifa, werde er halt eben «angegangen, zu Verhandlungen mitzukommen». Er lasse sich als Anwalt dann «brauchen – im besten Sinne des Wortes». Und als Politiker? Lässt er sich quasi als parlamentarischen Arm von Autonomen brauchen? «Das», sagt Jenni, «kann man so nicht sagen.» (rg)