Berns Leid mit der Kreid

Der Bund

Nachschau zu Antifa und Demo-Kreide heute Abend im Stadtrat

? RUDOLF GAFNER

«Die Berner Polizei hat den Schutz des Eigentums total vernachlässigt, um seitens der Demonstrationsteilnehmer keine Ausschreitungen zu provozieren», sagt CVP-Stadtrat Daniel Kast, dessen Motion heute Abend im Rat behandelt wird. Der Vorstoss betrifft die neue Erscheinung an Demonstrationen, Parolen mit Kreide an Wände zu kritzeln, statt mit Sprühfarbe zu sprayen. Der neue Trend in Szenekreisen auf Kurt Wasserfallens Vergleich von Demo-Randalierern mit Terroristen anspielend ironisch «al-Kraida» genannt trat erstmals massiv am «4. Antifaschistischen Abendspaziergang» vom März 2003 auf. Nachdem im Vorjahr heftiges Sprayen zu einem Polizeieinsatz geführt hatte, unterbanden die Veranstalter dieses Jahr jegliches Sprayen auf dass aber gleichwohl «die Stadt bunt» werde, verteilten Antifas Strassenkreide.

Die Polizei sahs zunächst recht gelassen, da die in politisch brenzliger Atmosphäre vorbereitete Demonstration sonst «ruhig» verlaufen sei; es gebe «kaum Sachbeschädigung» zu beklagen, Kreide sei ja eher leicht fortzuputzen. Das aber sahen Berns Innenstadt-Organisationen, Leiste, Gewerbetreibende und bürgerliche Politiker so auch die CVP mit ihrer aktuellen Motion gänzlich anders:Der Trend sei «Besorgnis erregend», Kreidekritzeln sei «massive Sachbeschädigung», der «Schaden beträchtlich», die Polizei dürfe «bei künftigen Demos keine Toleranz walten lassen».

Polizei und Regierung handelten

Die Polizei ging über die Bücher und leitete eine Kehrtwende ein: Einerseits hatte sie «die Sandstein-Problematik» zu wenig bedacht, wie es Stapo-Sprecherin Franziska Frey gestern auf Anfrage formulierte: die Kreide war nicht so leicht zu entfernen. Anderseits war die Polizei «sich der rechtlichen Situation zu wenig bewusst», wie Infochef Franz Märki schon bei früherer Gelegenheit einräumte: Kreidekritzeln fällt unter Sachbeschädigung, ist bei Demonstrationen von Amts wegen zu verfolgen. Dies will die Stapo tun: «Wir haben das Ziel, das künftig zu verhindern», so Frey gestern, «Kreideln wird grundsätzlich gleich behandelt wie Sprayen.»

Motionär Kast wirds gern hören, doch der Groll darüber bleibt, dass das Entfernen «einmal mehr» den Ladenbetreibern und Hausbesitzern überlassen wurde. Und er findet, wenn die Stadt schon nicht bereit sei, Opferhilfe für Demo-Geschädigte zu leisten (wie es die FDP gefordert hatte), solle sie immerhin per Umfrage die Schäden erheben lassen und die Kosten «zumindest teilweise zurückerstatten».

Der Gemeinderat hält entgegen, Kast renne insoweit offene Türen ein, als die Exekutive «von sich aus gehandelt», «Zeichen gesetzt» habe mit dem Angebot an Private, die Kreidegraffitis auf Stadtkosten entfernen zu lassen. Wie die Regierung in ihrer Antwort auf die CVP-Motion nun bilanziert, haben 154 Eigentümer davon Gebrauch gemacht, was die Stadt rund 20’000 Franken kostete. Extra eine Umfrage zu machen, finde der Gemeinderat indes «nicht zweckdienlich».

Die Säuberungsaktion fand im Mai statt, als die Krieg-in-Irak-Demowelle und die Kreidemode verebbte. Heute, da das Parlament das Thema aufarbeitet, ist, was vor wenigen Monaten viele Gemüter erhitzte und die Polizei arg auf Trab brachte, schon wieder kein Thema mehr, fürs Erste immerhin. Für die Stapo jedenfalls ist das Leid mit der Kreid, kaum hat sie ihm den Kampf angesagt, laut Frey bereits wieder «kein Schwerpunktthema» mehr.