Rassisten bald in der Mehrheit?

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Fremdenfeindlichkeit ist selbst unter Linken kein Tabu mehr und spaltet jetzt die Bürgerlichen. Im Abstimmungskampf um die erleichterte Einbürgerung kann sich niemand dem heissen Thema entziehen: Die weltoffene Schweiz ist im Dilemma.

Schwarze Hände greifen nach dem roten Pass – und bald schon könnten Muslime die Bevölkerungsmehrheit stellen: Mit solchen Bildern und Behauptungen polemisieren SVP-nahe Kreise gegen die Abstimmungsvorlagen zur erleichterten Einbürgerung. Wenn dunkelhäutige Fremde locker den Schweizer Pass holen können, droht Ungemach. Passt der Bürger nicht auf, wird er bald islamistisch überstimmt.

Das ist falsch. Die rabiate Propaganda stösst selbst Bürgerlichen ernsthaft auf. Hinter der Auseinandersetzung zeichnet sich mehr ab als die übliche Rhetorik vor einer Volksabstimmung. So sieht FDP-Präsident Rolf Schweiger die politische Kultur der Schweiz gefährdet. Im «SonntagsBlick» kritisierte er die «Hasstiraden der SVP» und deren «Scharfmacherei» – ja, Schweiger sichtete in den rassistelnden Inseraten und Plakaten einen Extremismus, der «unschweizerisch» sei.

Tags darauf doppelte Arbeitgeber-Direktor Peter Hasler nach: «Stoppt die Fertigmacher der SVP», forderte er in einem offenen Brief. Er verglich das ausländerfeindliche Klima mit der Atmosphäre der Dreissigerjahre – nicht etwa in der Schweiz, sondern in Deutschland. «Ich möchte nicht eines Tages in der Haut von Menschen stecken, die zu lange den Mund nicht aufgemacht haben», schrieb er. «Auch in totalitären Diktaturen», erklärt der Arbeitgeber-Direktor seinen Vorstoss, «hat alles mit Verunglimpfungen und fremdenfeindlichen Parolen begonnen.» Bis zur «physischen Vernichtung von Gegnern und Fremden» sei es «zwar noch ein weiter Weg, aber die SVP schafft dafür ein Klima».

Ein neues Klima? Schleichend hat sich die Debatte um Immigration und Integration verschärft. Was noch Mitte der Neunzigerjahre weit gehend tabu war, abgetan als «Stammtischgerede», steht nun im Mittelpunkt der politischen Diskussion. Die vielen fremdsprachigen Kinder in den Schulen; die Ausländermehrheit in den Gefängnissen; die Raser aus Südosteuropa; Muslime, denen Europas Grundwerte fremd sind; Schwarze, die den Drogenhandel kontrollieren: Sie nennt man offen beim Namen. Soziale Probleme kategorisch auf die Immigration zurückzuführen und dabei gezielt einzelne Volksgruppen verantwortlich zu machen – das ist im Jahr 2004 so salonfähig wie seit den Schwarzenbach-Abstimmungen der frühen Siebzigerjahre nicht mehr.

Der Klimawandel zeigt sich auch in der Politik. Die Rechte, seit den Parlamentswahlen erstarkt, setzt die zuvor angekündigte Ausländerpolitik um. Unter der Ägide von Christoph Blocher soll das Asylrecht verschärft werden, der Bundesrat hat das restriktive Paket gegen heftigen SP-Widerstand durchgewinkt. Moritz Leuenbergers Verkehrsdepartement will Autotäter nach Nationalität erfassen. Kommunalpolitiker fordern ein Kopftuchverbot in den Schulen. Und SVP-Fraktionschef Caspar Baader verkündet: «Unsere Fraktion wird in der kommenden Session voraussichtlich Anträge zur Lockerung oder gar Aufhebung des Antirassismus-Gesetzes einreichen.» Dieses Gesetz, seit knapp zehn Jahren in Kraft, galt bislang als Manifest einer offenen Gesellschaft, die Menschen anderer Kulturen vor Übergriffen schützt, auch vor verbalen. Nun steht es wieder zur Debatte.

Schweizer Vorstadt-Ghettos

Die Klage über «Ausländer» ist weit herum akzeptiert. «Es gibt zwei Trends, die auseinander driften», sagt Georg Kreis, Präsident der Antirassismus-Kommission. «Eine zunehmende Enthemmung der Fremdenfeindlichkeit bis hin zum schamlosen Rassismus.» Auf der anderen Seite «eine grössere Selbstverständlichkeit und einen offeneren Umgang mit dem Fremden».

Einerseits eine Schweiz also, die sich Weltoffenheit angewöhnt hat, die stolz ist auf Fussballspieler mit Namen wie Yakin und Cabanas, die den Tamilen von nebenan ebenso als helvetische Selbstverständlichkeit akzeptiert wie den Herrn hinter dem Kebabstand. Anderseits verschärft sich Ausgrenzung an den Rändern. In einzelnen Stadtquartieren und Vorstädten hat sich der hohe Ausländeranteil zu Ghettos verfestigt: Emmen LU, Spreitenbach AG, Birsfelden BL, Bern-Bethlehem, Schlieren ZH, Renens VD. Zwar bemühen sich Schweizer und Fremde um Verständigung, oft mit viel Aufwand. Doch beidseits verhindern Schranken die Annäherung. Statt Miteinander herrscht ein Nebeneinander der Ressentiments.

Was das heisst, zeigt eine der wenigen Erhebungen in diesem Bereich. Die Sozialwissenschaftlerin Rosita Fibbi vom Forum für Migrationsstudien in Neuenburg testete die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Fiktive junge Schweizer und Ausländer meldeten sich auf Stelleninserate für handwerkliche Berufe wie Bäcker und Mechaniker: Sie unterzeichneten ihre Bewerbungen mit «Peter Zimmermann» oder dem kosovarischen Namen «Afrim Berisha». Das Ergebnis: Auf hundert Einladungen zu Vorstellungsgesprächen für Peter Zimmermann kamen vierzig für Afrim Berisha.

Der Staat hat Rassismus, im Gegensatz zur Fremdenfeindlichkeit, als Unrecht erkannt. Die Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes definiert es in perfektem Amtsdeutsch: «Jede Praxis, die Menschen auf Grund physiognomischer Merkmale oder ethnischer Herkunft oder kultureller Merkmale oder religiöser Zugehörigkeit Rechte vorenthält, sie ungerecht oder intolerant behandelt, demütigt, beleidigt etc.» Um den Tatbestand zu bekämpfen, gibt das Amt jährlich 3,4 Millionen Franken aus. Im Zeichen des guten Willens ist eine kleine Antirassismus-Industrie entstanden, mit Integrations-Beauftragten in fast allen Kantonen und unzähligen Gemeinden, bei Polizeistellen und Sportverbänden; von Organen wie der Arbeitsgemeinschaft für Integrations-Fragen in Sankt Gallen über die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus bis zur Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes.

Fachleute sind bei ihrer täglichen Arbeit nicht nur mit krassen Übergriffen konfrontiert. Häufiger beschäftigen sie sich mit dem «kleinem Rassismus», mit den alltäglichen Reibereien, die auf Vorurteilen beruhen. Einer von ihnen ist Hasan Kanber, Integrations-Beauftragter des Nordwestschweizer Fussballverbands. Kanber stammt aus der Türkei und findet, dass sich beide Seiten, Schweizer und Ausländer, «aufeinander zu- bewegen müssen». Doch in der Praxis nützen solche Worte selten: «Wenn in einer Mannschaft das Gerücht umgeht, ein Schiedsrichter sympathisiere aus ethnischen Gründen mit dem Gegner, gibts Konflikt», sagt er. Kanber selbst ist Musterbasler. Er redet ein «Baaseldytsch», als sei er im «Daig» zur Welt gekommen, und kandidiert im Oktober auf der SP-Liste für den Grossen Rat.

«Wir wollen haben Käse»

Argwohn allenthalben. Da sitzt etwa an einem Spätsommerabend eine fröhliche Runde an der Aare in Bern; zwei Schwarze nähern sich, instinktiv greift einer der Schweizer nach seiner Tasche – sicherheitshalber. Oder da bestellen drei ältere Männer im Speisewagen des Intercity von Bern nach Zürich beim dunkelhäutigen Kellner: «Wir wollen haben Käse. Und Wein, verstanden?» Der Angesprochene bezeugt sein Verständnis in astreinem «Züritüütsch».

Alltagssache Vorurteile. Sie verschaffen Orientierung in einer undurchsichtigen Welt, sie zeigen einem, wohin man gehört. Wir hier, da die anderen – alles klar. Klar aufgeteilt ist etwa die Jugendszene der Agglomerationsgemeinde Allschwil BL – null Mix zwischen Schweizern und Multikulti. Jugendliche aus fremden Kulturkreisen frequentieren fast ausschliesslich das Jugend- und Freizeithaus. Im Betonblock am Rand der Gemeinde fühlen sie sich zu Hause, hier haben sie eine Nische, in der sie sich unbelästigt fühlen. Sie hören an einem Mittwochabend Techno, nicht zu laut, ein TV-Apparat überträgt ein Fussballspiel der Champions League. Einige der Jungs – Mädchen sind nicht anwesend – hängen herum, andere spielen Pool-Billard, zwei vergnügen sich mit Tischfussball. Die Jugendhausbesucher würden niemals das Rocklokal «ZicZac» besuchen: Dort sind die Schweizer. «Das gibt nur Stress», sagt der Türke Ersin Karagec, 17, «dort hats viel Polizei, Skins und Rechtsextreme.» Also bleibt er lieber im Jugendhaus, wo er seinen Frieden hat. Ausser am Wochenende, dann gibts manchmal Zoff: «Wenn Ausländer unsere Mädchen anmachen», sagt Ersin. Welche Ausländer gemeint sind, will er nicht so genau ausführen.

Beim Besuch im «ZicZac» finden sich weder Polizisten noch Skinheads. Allschwils anderes Jugendlokal pflegt den Rock-’n‘-Roll-Groove der Fifties, an den Wänden hängen alte Elektrogitarren und Vinylplatten. Hier treffen sich die Mitglieder der Fasnachts-Wagenclique «Herregässler» zum Stamm. Sie machen wie ihre Eltern seit Jahren mit an der Allschwiler Fasnacht. Die «Herregässler» sind angepasste Jugendliche, zwei von ihnen betätigen sich politisch in der CVP. Ins Jugendhaus aber würden sie niemals gehen – dort seien diejenigen, «die sich vollkrass und cool finden», wie der 20-jährige Musikstudent Dominik sagt.

Problem mit den Kokain-Dealern

Ein bekanntes Phänomen. Die Attitüde «Coolness à la Hip Hop», häufig von Ausländern zur Schau gestellt, kann erfahrungsgemäss Männer als aggressiver erscheinen lassen, als sie es sind. Ausländer seien in ihrer Fasnachts-Clique nicht explizit ausgeschlossen, sagen die «Herregässler», aber sie sei halt vor allem eine Sache der Einheimischen – und damit der Ur-Allschwiler. Solche Grenzen sind kaum überwindbar.

«In der Schweiz geht es um latenten Rassismus, eine unterschwellige Geringschätzung, die viel mit Unwissenheit zu tun hat», sagt Lilo Roost Vischer, wissenschaftliche Koordinatorin des Zentrums für Afrikastudien der Universität Basel. Sie vermittelt in einem Schweizer Pilotprojekt zwischen der Basler Polizei und der afrikanischen Gemeinschaft.

Die Zahl der schwarzen Kokain-Strassendealer hat in Basel seit gut zwei Jahren zugenommen, mit der Migration aus westafrikanischen Ländern. «Der Frust der Polizei ist verständlich», sagt die Ethnologin. Denn diese stehe zwischen verunsicherten Anwohnern und Rechtspopulisten einerseits sowie Menschenrechtsorganisationen anderseits. Die einen erheben den Vorwurf, die Polizei unternehme nichts, die andern beschuldigen sie, sich rassistisch zu verhalten. Korrekte Kontrollen unter Wahrung eines minimalen gegenseitigen Respekts gälten hingegen für beide Parteien als unproblematisch.

Es ist laut Roost Vischer «eine neue Masche, dass den Polizisten und anderen Vertretern von Institutionen schnell einmal Rassismus vorgeworfen wird, was deren Arbeit erschwert». Ähnliche Mühen kennt die Zürcher Kantonspolizei: «Personen aus anderen Kulturkreisen oder anderen Kontinenten berei- ten unseren Leuten zunehmend Schwierigkeiten, indem sie sich beispielsweise Kontrollen widersetzen, die sie als Schikane empfinden. Trotz solch erschwerten Bedingungen muss die Polizei gleichwohl mit Augenmass und verhältnismässig reagieren», sagt der Kaposprecher Marcel Strebel.

Den Vorwurf des Rassismus zogen auch die Gewerbetreibenden der Sankt-Galler Grenzgemeinde Buchs auf sich. Sie empfanden die Asylbewerber als Zumutung, die mehr oder weniger offen mit Drogen handelten. Die Gewerbler störten die Dealer mit «friedlichen Auftritten an neuralgischen Punkten», wie sie an einer Pressekonferenz vor Jahresfrist erklärten. «Seither hat sich die Situation verbessert», sagt Walter Meier, Geschäftsführer eines Buchser Optikergeschäfts. Denn die Polizei führe nun konsequenter Kontrollen durch, im Einzelfall spielen Polizisten gar Drogenkäufer, um Dealer zu überführen. Die Selbsthilfeaktion ist allerdings vorübergehend eingestellt, «und schon glauben Einzelne, dass es wieder schlimmer wird», sagt Meier.

Asylbewerber erscheinen vielen Bürgern als asozial. Solche Vorstellungen gehören zum Zusammenleben, mögen sie noch so schmerzlich sein. Zu diesem Befund kommt US-Forscherin Susan T. Fiske von der Princeton University. «Menschen ordnen andere Menschen ein, als Freunde oder als Konkurrenten.» Fiske und ihr Team ermittelten in Befragungen Stereotype von gesellschaftlichen Gruppierungen und Nationalitäten. Sie fanden heraus, dass Fremdbilder im abendländischen Kulturkreis nahezu allgemein gültig sind. So wird die zwischenmenschliche Wärme der Italiener als hoch, ihre «Kompetenz» aber als klein eingestuft. Anders gelten Deutsche als kalt, jedoch kompetent. Fiske kommt zum Schluss: «Selbst Menschen, die Stereotype verwerflich finden, unterliegen ihnen immer wieder. Auch wenn sie sich dagegen wehren.»

Ressentiments prägen jeden. Der im Zürcher Kreis 4 lebende Romanist Daniel S.* sucht derzeit eine neue Wohnung. Denn seine kleine Tochter soll «dort zur Schule, wo es nicht zu viele fremdsprachige Kinder hat». Daniel S. ist ein Linker und hat «gar nichts gegen Ausländer». Aber er möchte halt, dass seine Tochter etwas lernt. Der englische Publizist und Herausgeber der Intellektuellen-Zeitschrift «Prospect», David Goodhart, spricht in solchen Fällen vom «Dilemma der Fortschrittlichen». Aufgeklärte Zeitgenossen geraten in den Widerspruch zwischen dem Solidaritätsgedanken und dem Bedürfnis nach individueller Entfaltung in der Gesellschaft. Dieser Gegensatz zeigt sich im politischen Diskurs bei der Steuerfrage: Warum soll ich für Asylbewerber Steuern bezahlen, wenn die sich Regelverstösse leisten, die ich mir selbst niemals erlauben würde?

Tatsächlich kümmern sich viele Einwanderer einen Deut um die hiesigen Sitten und Gebräuche, bis hin zum Gesetzesbruch. Jeder zehnte in der Schweiz wohnhafte Ausländer wurde 2002 straffällig, 55 Prozent aller ermittelten Straftaten gingen letztes Jahr aufs Konto von Ausländern.

Muslime sind die neuen Sündenböcke

Das nährt Vorurteile gegenüber Immigranten, die sich um ihre Integration bemühen, wie Sakib Halilovic, Imam der bosnischen Gemeinschaft in Zürich. Er gibt zu, dass ihm Zeitungsanzeigen mit Sprüchen wie «Muslime bald in der Mehrheit» nahe gehen. «Manchmal frage ich mich, woher die Kraft kommt, solche Verleumdungen immer wieder zu ertragen», sagt der 37-jährige Geistliche. Halilovic sah sich in den letzten Jahren verschiedentlich mit SVP-Kampagnen konfrontiert, die ihn verletzten. Zum Beispiel gegen einen privaten Friedhof für Muslime in Altstetten. Oder als die SVP behauptete, der Kanton Zürich müsse Koranschulen finanzieren, wenn Muslime als Religionsgemeinschaft vom Staat anerkannt würden. «Vor zehn Jahren waren Kosovaren die Sündenböcke, heute sind es die Muslime», sagt Imam Halilovic.

Der Muslim als grösster Angstmacher. Die Junge SVP Wallis wirbt mit einem Konterfei des Terroristenführers Osama bin Laden gegen die erleichterte Einbürgerung und rückt alle Muslime in den Dunstkreis des internationalen Terrorismus. Der Ringier-Vordenker Frank A. Meyer, sonst gerne linksliberal, sieht einen ähnlichen Zusammenhang: «Der Islam ist der Schoss, aus dem das Ungeheuer Islamismus kroch.» Noch vor ein paar Jahren hätte ein solcher Satz gegen alle Regeln verstossen, auf die sich das Verlagshaus Ringier beruft.

«Gefährliche Anzahl»

Das Zusammenleben zwischen Europäern und Muslimen ist konfliktgeladen. Denn anders als bei früheren Einwanderungen wie beispielsweise von Italienern, Spaniern oder Portugiesen gilt es nicht nur Sprachbarrieren zu überwinden. Die Religion ist neuerdings ein weiteres Hindernis zur Verständigung. Mit jedem Attentat mehr, dessen Urheber aus dem Dunstkreis des internationalen Terrorismus kommen, wachsen die Ängste. Auch wenn die Schweiz bisher vor Gewalttaten verschont blieb. Die Zahl der Muslime in der Schweiz ist allerdings gestiegen. Um mehr als das Siebenfache auf 350 000 innert 15 Jahren. Für die politische Rechte ist das Grund genug, die Alarmglocken zu ziehen. Willy Schmidhauser, Präsident der Thurgauer Schweizer Demokraten: «Muslime haben mehr als ein oder zwei Kinder. Haben sie einmal eine gewisse Anzahl erreicht, werden sie gefährlich.»

Rassismus oder nicht? Schmidhauser macht sich mit einer solchen Äusserung noch lange nicht strafbar. Denn die Antirassismus-Bestimmung im Schweizer Strafgesetz ist eng gefasst: «Man darf extrem viel sagen, ohne in den Bereich der Strafnorm zu geraten», sagt der Freiburger Jurist Marcel Niggli. Selbst beleidigende Normverletzungen wie «alle Schwulen sollte man kastrieren» oder gar «Behinderte gehören vergast» fallen nicht unter den Antirassismus-Paragrafen 261bis. Denn Schwule oder Behinderte sind nicht als «Ethnien» geschützt. Gleiche Äusserungen über Muslime wären jedoch verboten, denn Anhänger von Religionen und Ethnien geniessen den Schutz des Gesetzes.

Der Antirassismus-Paragraf ist seit fast zehn Jahren in Kraft. Bis ins Jahr 2002 haben sich die Behörden in erster Gerichtsinstanz mit 277 Fällen befasst, wie aus einer unveröffentlichten Aufstellung der Eidgenössischen Rassismus-Kommission hervorgeht. Mehr als die Hälfte der Klagen endete mit einem Freispruch, 59 Fälle wurden an obere Gerichtsinstanzen weitergezogen. Dort haben einmal Verurteilte einen schweren Stand. «Es gibt selten einen Freispruch», sagt Doris Angst, Geschäftsführerin der Kommission.

Ein Viertel aller Opfer gerichtlich erfasster Diskriminierung sind Juden. Vor allem in den Anfangsjahren der neuen Rechtsprechung wurden viele Antisemitismus-Verfahren durchgeführt. Heute ist der Anwendungsbereich des Gesetzes breiter. Vier Klagen reichten weisse Schweizer ein, weil sie sich diskriminiert fühlten. Die kantonalen Gerichte haben nicht einheitlich Recht gesprochen. In einem Fall wurde eine Verurteilung abgelehnt, weil Schweizer nicht als «geschützte Ethnie» zu betrachten seien. Ein anderes Gericht sprach dagegen eine Strafe aus, weil es Schweizer als «geschützte Ethnie» klassifizierte.

Die Gegner der Antirassismus-Bestimmungen sorgen sich am meisten um die freie Rede am Stammtisch. Zumindest vorläufig zu Unrecht, denn dieser gilt nicht als öffentlicher Raum, sofern sich die Leute in der Runde gegenseitig kennen, wie das Bundesgericht kürzlich festhielt.

«Fehler beim Familiennachzug»

Sprüche aller Art gehören zum Standard-Repertoire der Bierseligen in den Beizen. Egal, wo. Zum Beispiel im Innenstadtlokal «Stern», Chur. «Die Politiker machen Fehler beim Familiennachzug», sagt der Elektroniker Peter W., selber Familienvater. Er findet, dass man Kinder, die älter als 13 Jahre sind, nicht mehr in die Schweiz einreisen lassen sollte, da sie sich kaum mehr integrieren liessen. «Sie können die Sprache nicht und stören den Unterricht, lungern auf dem Pausenplatz herum, dealen mit Drogen.» Peter W. erntet Zustimmung in der Runde.

Gemäss den Befunden des Zürcher Pädagogikprofessors Helmut Fend ist dieser Eindruck falsch. Ausländische Kinder an den Real- und Oberschulen steigern vielmehr die Unterrichtsqualität: «Sie sind oft motivierter als einheimische Jugendliche», sagt Fend. Wohl bereite ihnen die deutsche Sprache Schwierigkeiten, aber sie seien in den übrigen Fächern besser als ihre Schweizer Klassenkameraden.

Rahel el-Maawi vom National Coalition Building Institute, einem multinationalen Verein, setzt sich für Fairness in den Schulen ein. «Manchmal genügt schon ein ausländisch klingender Name, und die schlechte Note ist bereits gemacht», konstatiert sie. Sie betreut eine Hotline für Schüler, die sich diskriminiert fühlen. Kinder aus fremden Kulturkreisen seien an Schweizer Schulen oft benachteiligt.

Unüberbrückbare Gegensätze? Nicht nur, mitunter finden sich Zeichen der Verständigung, wo man sie am wenigsten erwartet. Zum Beispiel beim Berner Oberländer Kinderchor Bödeli. Hier singt der 13-jährige Schüler Natis Subramaniam Jodellieder. Er stammt aus Sri Lanka und fühlt sich im Trachtengwändli pudelwohl. Sein Vater Baskaran unterstützt die musischen Freuden seines Sohnes. «Bei uns», sagt der Tamile, «kann jeder zu dem Gott singen, zu dem er will.» Dazu brauchts keinen Integrations-Beauftragten.

* Name der Redaktion bekannt