Die Verteidiger Kesslers «streikten»

TagesAnzeiger

Die Anwälte von Erwin Kessler haben sich geweigert, den Tierschutzaktivisten zu verteidigen. Sie würden sich dadurch selber wegen Rassendiskriminierung strafbar machen, meinten sie.

Von Thomas Hasler

erwin kessler width=“180″ height=“180″ hspace=“10″ vspace=“10″ border=“0″ align=“left“>Zürich. – Das Bezirksgericht Bülach hatte Erwin Kessler, Präsident und Geschäftsführer des Vereins gegen Tierfabriken (VgT), unter anderem wegen mehrfacher Rassendiskriminierung mit fünf Monaten Gefängnis unbedingt bestraft. In seinem seit Jahren geführten Kampf gegen das Schächten hatte Kessler die «abscheuliche Tierquälerei» mit den «Untaten von Nazi-Verbrechern» verglichen. Er bezeichnete «Schächtjuden» nicht nur als «Unmenschen», sondern auch als «charakterlich nicht besser als ihre früheren Nazi-Henker». Und er sprach von «abartigen Vorstellungen aus uralten jüdischen Traditionen». Laut Anklage bezichtigte er schächtende Juden zudem der Lügenhaftigkeit und der besonderen Brutalität.

Vor dem Obergericht weigerten sich am Dienstag sowohl Privatverteidiger Louis Capt wie auch Pflichtanwältin Eva Nill, Erwin Kessler gegen die Rassismusvorwürfe zu verteidigen. Nill sagte, für eine wirkungsvolle Verteidigung müssten Argumente vorgebracht werden, die als rassistisch verstanden werden könnten. Damit würden sich die Verteidiger aber selber strafbar machen. Dies könne von ihnen nicht verlangt werden.

Keine wirkungsvolle Verteidigung

Hintergrund dieser Argumentation ist das neueste Urteil des Bundesgerichts zur Rassendiskriminierung. In diesem Entscheid (TA vom 18. August) hatten die Lausanner Richter neu definiert, wann strafbare Äusserungen öffentlich sind – nämlich immer dann, wenn sie nicht «im Familien- und Freundeskreis oder sonst in einem durch persönliche Beziehungen oder besonderes Vertrauen geprägten Umfeld erfolgen». Eine Gerichtsverhandlung sei aber öffentlich, meinte Nill, weshalb sie sich zu den Rassismusvorwürfen nicht äussern dürfe. Dadurch sei eine wirkungsvolle Verteidigung nicht mehr möglich. Folge: Die rechtsstaatlichen Grundsätze des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens würden verletzt – was zwingend zu einem Freispruch führen müsse.

Reinhold Schätzle, Präsident der II. Strafkammer, äusserte ein «gewisses Verständnis für die Verunsicherung der Verteidigung». Ihm sei aber aus Dutzenden von – ebenfalls öffentlich durchgeführten – Rassendiskriminierungs-Prozessen kein einziger Fall bekannt, in dem ein Verteidiger bestraft worden sei. Das Gericht sei überzeugt, dass es möglich sei, den Angeklagten zu verteidigen, ohne sich selber strafbar zu machen. Referent Christoph Spiess sagte, die Verteidiger könnten beispielsweise die Tatbestandsmässigkeit bestreiten: So könnten sie darlegen, dass Kesslers Äusserungen nicht gegen die Menschenwürde verstiessen, sich nicht auf eine Rasse, Ethnie oder Religion bezögen, und Kessler keine Ideologien verbreite. Es sei den Verteidigern nur nicht gestattet, rassendiskriminierende Äusserungen selbst zu unterstützen.

Das Gericht gab den Verteidigern die Möglichkeit, ihre Plädoyers zu ergänzen oder die entsprechenden Überlegungen schriftlich einzureichen. Die Verteidiger lehnten entschieden ab. «Ich stehe als Versuchskaninchen nicht zur Verfügung», sagte Eva Nill.

Einiges ist schon verjährt

Das Gerichtsverfahren wurde ohne Urteil abgebrochen – allerdings aus anderen Gründen: Im Zusammenhang mit dem Vorwurf der einfachen Körperverletzung will das Gericht noch einen Zeugen anhören. Zudem muss auch noch über den Vorwurf einer versuchten Nötigung entschieden werden. Auf eine Reihe von Anklagen – unter anderem Hausfriedensbrüche, Sachbeschädigungen, Nötigungen, Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen – trat das Obergericht wegen absoluter Verjährung gar nicht mehr ein.