Nur jugendlicher Übermut?

Südostschweiz

In der Region Landquart häufen sich Übergriffe von gewalttätigen Jugendlichen

Igis-Landquart ist ein Dorf mit städtischen Problemen. Jugendgewalt ist eines davon. Jugendarbeit leisten bislang aber nur die Kirchgemeinden.

von Barbara Wülser

Der Vorfall: Etwa acht Jugendliche zwischen 16 und 23 Jahren tauchen auf, postieren sich vor dem Eingang zur Disco der Oberstufenschüler, provozieren. Diese lassen sich provozieren und markieren ihrerseits Gewaltbereitschaft. Die Situation droht zu eskalieren. Die Eindringlinge gehen auf einen dunkelhäutigen Asylsuchenden los, der sich ebenfalls dort aufhält. Dieser zieht ab, die Polizei wird gerufen, die Gruppe stiebt auseinander. So geschehen am Samstagabend im Forum in Ried in Landquart. Nochmals gut gegangen?

Nicht unbedingt. Die Disco ist aus, die meisten Schüler sind in der Zwischenzeit verängstigt nach Hause gegangen. Ob sie ein andermal wiederkommen? Es bleibt die Frage: Wer waren diese Störenfriede und was wollten sie? Die Alarmglocken fangen erst recht an zu schellen, wenn man weiss, dass es sich bei den rund 100 jugendlichen Discobesuchern samt und sonders um Ausländerinnen und Ausländer handelte. Und dass dem Vorfall eine Serie Einbrüche ins ökumenische Jugendcafé, das die Disco organisiert hat, vorangegangen ist.

«Kein braunes Gedankengut»

Der Vorfall im Forum im Ried ist kein Einzelfall. Immer wieder flackert in Landquart und Umgebung ein Flämmchen Gewalt auf. Ob es sich dabei um Jugendliche mit einem rechtsextremen Hintergrund handelt, kann (oder will) niemand sagen, und ob diese organisiert sind, schon gar nicht.

Nach den Worten von Markus Fankhauser, Regionenchef der Region Rhein, hat die Kantonspolizei schon verschiedentlich intervenieren müssen bei Zusammenstössen zwischen Jugendlichen. Er machte verschiedene Gruppierungen aus. Die äussere Erscheinung deute zwar in eine rechtsextreme Richtung, so Fankhauser, er vermutet aber – auch angesichts des Alters – kein eigentliches «braunes Gedankengut» dahinter. «Ob sie wirklich begreifen, um was es geht, ist fraglich.» Er beurteilt die Situation als «nicht alarmierend».

Tatsache ist, dass anlässlich der Anti-WEF-Demonstration im Januar Flugblätter mit dubiosem Inhalt auftauchten: Die so genannte «Skinhead-Offensive Graubünden» rief zu einer Gegendemonstration gegen das «linke Zerstörervolk» auf. Das Grüppchen schwarz gekleideter, blutjunger Jugendlicher, das dann mit Transparenten bestückt auf der Landquarter Bahnhofstrasse auftauchte, liess allerdings keine Furcht aufkommen vor einem «Angriff der Glatzköpfe».

Auffangbecken Schulstunde

Hank Melcherts, als Diakon der evangelisch-reformierten Kirche zuständig für den Religionsunterricht in Igis-Landquart, erkannte damals unter den Demonstranten einige seiner ehemaligen Schüler. Er relativiert die Situation aber: «Im Moment ist es nicht akut.» Vor zwei Jahren habe es eine aktive Gruppierung gegeben. Er schliesst nicht aus, dass diese auch Kontakte zur Rheinfront, einer rechtsradikalen Organisation, hatte. Jetzt, wo die meisten eine Lehrstelle hätten, habe sich das Ganze etwas gelegt. Er vermutet eher jugendlichen Übermut hinter solchen Aktionen als eine Strategie, deutet solches Tun aber auch als Hinweis dafür, dass viele Jugendliche heimat- und orientierungslos sind.

Auch seine Kollegin, Isa Camenisch, von der römisch-katholischen Kirche, ortet bei ihren Schülern in Igis-Landquart eine grosse Gewaltbereitschaft – sowohl auf körperlicher als auch auf verbaler Ebene -, gepaart mit latentem Rassismus. Viele Schweizer hätten die Nase «gestrichen voll» von den Ausländern. Sie sei aber kaum imstan- de, diese Aggressionen im Rahmen einer Klassenstunde aufzufangen. «Da bricht manchmal so viel aus», erzählt sie, und dann sei die Stunde zu Ende.

Ein Dorf ohne Seele

Melcherts vergleicht Landquart mit einer «Banlieue», einem Vorort von Paris. Die zahlreichen günstigen Wohnungen in Landquart und die hohen Gemeindesteuern zögen vornehmlich Leute mit niedrigem Einkommen an. Er bedauerte, dass es kaum Angebote für diejenigen Jugendlichen gebe, die sich nicht für ein Vereinsleben begeistern können. «Fünf bis zehn Prozent fallen durch die Maschen», betont Melcherts. Diese fünf bis zehn Prozent könne man möglicherweise, so Melcherts, mit professioneller, aufsuchender Jugendarbeit auffangen, wie es sie in Fläsch, Maienfeld und Jenins seit kurzem gibt. Doch bis jetzt sei Jugendarbeit in Igis-Landquart «gleich null», bedauert Melcherts. «Man sieht, was man machen müsste, aber man ist machtlos.» Die Kirchgemeinden seien nicht in der Lage, die Gemeinde habe kein Geld.

Bei der Gemeinde scheint man das Problem inzwischen auch erkannt zu haben. Just am vergangenen Wochenende wurde beschlossen, der Jugendpolitik fortan eine grössere Priorität einzuräumen. «In nächster Zeit muss man etwas unternehmen», bestätigt Gemeindepräsident Ernst Nigg. Man müsse versuchen, Jugendprobleme bereits auf der Schulstufe in den Griff zu bekommen. Er weist aber darauf hin, dass das Ganze ein regionales Problem sei. Und Geldnot, so Nigg, herrsche generell. «Es kommen immer neue Aufgaben auf die Gemeinden zu.»