Politik auf dem Rütli: Weniger ist mehr

Neue Luzerner Zeitung: RedaktorRobert Knobelüber die neueBenutzungsordnungauf dem Rütli.

Politische Parteien dürfen ab sofort auch auf dem Rütli auftreten. Die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) hat als Verwalterin des Rütlis die Benutzungsvorschriften neu geregelt und das bisherige fak­tische Parteienverbot aufgehoben (Ausgabe von gestern). Gleichzeitig wurden aber auch die Grenzen für politische Anlässe neu definiert. Die Benutzungsordnung für das Rütli listet detailliert auf, welche Aktivitäten auf der historischen Wiese erlaubt sind und welche nicht. Das sind die wichtigsten Punkte:

Das Rütli darf nicht für Ziele genutzt werden, die die Grundwerte der Eidgenossenschaft in Frage stellen. Zu diesen Werten gehören insbesondere die Toleranz und die Bereitschaft, im Interesse des Gemeinwohls mit Andersdenkenden konstruktiv zusammenzuarbeiten. Das Rütli darf nicht für partikuläre politische Ziele oder rein kommerzielle Zwecke genutzt werden. Nicht erlaubt sind Anlässe, die sich gegen bestimmte Menschen und Gruppierungen in der Schweiz richten. Nicht erlaubt sind Anlässe, die die Öffentlichkeit polarisieren und die kulturelle Vielfalt nicht akzeptieren. Nicht erlaubt sind politische Inhalte zu Themen, über die in den nächsten drei Monaten abgestimmt wird. Wahlwerbung weniger als sechs Wochen vor Urnengängen ist verboten.

Trotz der Ausführlichkeit bleiben viele Fragen offen. Was bedeutet «rein kommerziell»? Wie werden Schweizer Werte definiert? Abgesehen davon gibt es auch unabhängig von Wahlen und Abstimmungen Themen, die stark polarisieren. Man stelle sich nur vor, eine politische Gruppierung würde zum jetzigen Zeitpunkt auf dem Rütli für oder gegen einen EU-Beitritt demonstrieren. Auch stellt sich die Frage, wie die Einhaltung der Kriterien überprüft wird. Die SGG verlangt von Veranstaltern ein Konzept inklusive einer Liste der Redner und deren Themen. Aufgrund dieser Informationen kann die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft dann zum Schluss kommen, dass die genannten Regeln allenfalls verletzt werden könnten. Das Urteil darüber, welche Personen schweizerische Werte missachten und welche Themen «die Öffentlichkeit polarisieren», fällt die SGG dabei alleine.

Man kann es drehen und wenden, wie man will – egal, was politische Gruppierungen auf dem Rütli machen, es ist sehr schnell emotional aufgeladen. Die Wiese habe eben einen «hohen Symbolwert für die Schweiz», heisst es denn auch nüchtern-treffend in den ersten Zeilen der neuen Benutzungsordnung. Und da Symbole allzu oft missbraucht werden, müssen offenbar die Spielregeln in fast schon absurder Ausführlichkeit definiert werden.

Das Vorgehen der SGG ist denn auch nur vor dem Hintergrund der Ereignisse der letzten 14 Jahre zu verstehen. Im Jahr 2000 sorgten Rechtsextreme für Schlagzeilen, als sie an der 1.-August-Feier auf dem Rütli den damaligen Bundespräsidenten Kaspar Villiger ausbuhten. 2005 wurde Bundespräsident Samuel Schmid an gleicher Stelle aufs Gröbste beleidigt. Es folgten endlose Debatten über die Bundesfeier auf dem Rütli, die schliesslich in restriktiven Zutrittskontrollen mit Tickets mündeten. 2011 sorgte wiederum die SVP für Schlagzeilen, indem sie das Parteienverbot kurzerhand ignorierte und einen unbewilligten «Kaderrapport» auf dem Rütli veranstaltete. Dies zum grossen Ärger der CVP, die ebenfalls keine Bewilligung erhielt – und folglich auf einen geplanten Rütlianlass verzichtete.

Das Rütli als Gütesiegel für politische und gesellschaftliche Botschaften: Der Symbolgehalt des «stillen Gestades am See» scheint immer dann besonders stark, wenn die Schweiz grossen Spannungen ausgesetzt ist – von innen wie von aussen. So während des Zweiten Weltkriegs mit dem Rütlirapport 1940 der Schweizer Offiziere. Das mochte damals angesichts der Bedrohungslage gerechtfertigt sein. Zu Beginn des neuen Jahrtausends wurde das Rütli aber zusehends zur Bühne für lautstarke Auftritte von Politikern und Gruppierungen. Inzwischen hat sich die Aufregung etwas gelegt. Skandale und gehässige Debatten liegen schon einige Zeit hinter uns. Das ist richtig so – denn das Rütli eignet sich nicht als Plattform für grosse politische Kontroversen. Gerade weil das Rütli allen gehört, ist Respekt und Zurückhaltung besonders angezeigt. Es ist eine «ruhige Gedenkstätte, die jedermann besuchen darf», wie es der Urner Regierungsrat Josef Dittli einmal gegenüber unserer Zeitung treffend ausgedrückt hat.

robert.knobel@luzernerzeitung.ch