Nyon krebst zurück

Die Behörden von Nyon gehen nochmals über die Bücher in Sachen Dieudonné. Nachdem der antisemitische «Komiker» vergangene Woche in den französischen Städten Nantes, Tours, Orléans und Paris mit einem Aufführungsverbot belegt worden war, wird der Stadtrat von Nyon seine Haltung heute Montag «reevaluieren». Das kündigte er am Freitagabend an. Dieudonné steht im Februar zehnmal auf dem Programm des Théâtre de Marens, dem grössten Saal von Nyon.

Bis jetzt hatten sich die Behörden der drittgrössten Waadtländer Stadt auf den Standpunkt gestellt, dass ihnen die Hände gebunden seien, nachdem das Bundesgericht im Dezember 2010 ein von den Genfer Behörden verfügtes Aufführungsverbot für Dieudonnés Programm «Sandrine» im Théâtre de l’Alhambra nicht gestützt hatten. Allein die Gefahr, dass es bei einer Veranstaltung zu antisemitischen Äusserungen komme, reiche nicht aus, um einen derart schwerwiegenden Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit wie ein Aufführungsverbot zu rechtfertigen, hatten die Lausanner Richter damals ­argumentiert.

Angst um den Ruf der Stadt

Nun aber scheint die nicht gerade verlockende Aussicht, als einziger Aufführungsort des in Frankreich wegen seiner antisemitischen Inhalte verbotenen Programms «Le Mur» Schlagzeilen zu machen, in Nyon zu einem Meinungsumschwung zu führen. Der für kulturelle Belange zuständige Stadtrat Olivier de Mayor gab sich am Wochen­ende zwar Mühe, jeden Anschein von Aufregung zu vermeiden. Man werde sich «in aller Ruhe» mit dem Thema beschäftigen und dann zu einer «gemeinsamen Position» kommen. Alles andere als ein Verbot der in Nyon geplanten Aufführungen scheint aber nicht sehr wahrscheinlich.

Vom Laisser-faire zum Verbot: Die Behörden von Nyon haben in der «affaire Dieudonné» keine gute Figur gemacht. Zuerst wollte man mit der Sache nichts zu tun haben, jetzt fürchtet man um den Ruf der Stadt. «Ich verstehe, dass die Behörden nicht gleich zum Instrument des Verbots griffen», sagt Phi­lippe Kenel, Steueranwalt aus Pully und Präsident der Licra Suisse, des Schweizer Arms der 1927 als Reaktion auf antisemitische Pogrome in der Ukraine in Paris gegründeten Ligue Internationale Contre le Racisme et l’Antisémitisme. Auch er tue sich schwer mit Verboten. «Verbote sind immer ein zweischneidiges Schwert, sie führen immer auch zu einem Publizitätsgewinn für die Betroffenen», sagt Kenel. Aber dass man einfach wie die Behörden von Nyon sage, das einen das alles nichts angehe, das gehe auch nicht.

Eine neue Situation

Er habe den Stadtbehörden deshalb vorgeschlagen, die Aufführung zuzulassen und gleichzeitig klarzumachen, dass man sich das Programm anschauen werde und bei antisemitischen Äusserungen die Strafverfolgungsbehörden einschalten werde. Vergeblich. Im Namen der Stadt hat der Stadtpräsident von Nyon, Daniel Rossellat, dem breiten Publikum als Gründer des Paléo-Festivals bekannt, am Wochenende letztmals den Vorschlag des Licra-Präsidenten verworfen.

Inzwischen geht auch Philippe ­Kenel davon aus, dass Dieudonné nicht in Nyon auftreten wird. Bedauerlich sei, dass es der Stadt dabei vor allem um ­ihren guten Ruf und weniger um die antisemitischen Äusserungen gehe. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass Nyon an Dieudonné festhält», sagt er. «Die Situation ist nicht mehr die gleiche.»

«Das System entschlüsseln»

Wichtig sei inbesondere die Begründung, mit welcher der französische Conseil d’Etat die Aufführungsverbote der Städte gestützt hätte. Danach ­stellten nicht nur Tumulte und Auseinandersetzungen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar, sondern auch ­Angriffe auf die Würde des Menschen. «Das ist neu und das ist ein wichtiger Fortschritt», sagt Philippe Kenel. Er sei sehr froh, dass der französische Innenminister Manuel Valls die Debatte um Dieudonné losgetreten habe.

Gleichzeitig sei er noch immer der Meinung, dass man Antisemiten wie Dieudonné am besten bekämpfe, indem man «ihr System entschlüssle». Dazu gehöre, dass man klarstelle, dass «la quenelle» keine antisystemische Geste sei, wie Dieudonné behaupte, sondern eine antisemitische. Positiv aufgefallen ist Kenel, dass die französischen Zeitungen inzwischen immer häufiger Dieudonnés Nachnamen M’bala M’bala nennen: «Das zeigt, dass man ihn nicht mehr als Komiker sieht.»