«Ich bin nicht die Inquisition»

Es kommt selten vor, dass die Walliser Regierung geschlossen auftritt, um sich gegen Skandale zur Wehr zu setzen, welche das eine oder andere kantonale Departement treffen. Am Freitagmorgen war es aber wieder so weit: Auslöser waren die Vorwürfe eines Gemeindepräsidenten von Leytron, der in einer überraschenden Pressekonferenz am Donnerstag dem Walliser Staatsrat Schlampereien und Nachlässigkeiten in einem Steuerdossier vorwarf. Kanton und Gemeinden seien dadurch Steuereinnahmen in der Höhe von zirka 150’000 Franken entgangen. Die Geschichte ist darum brisant, weil der «Steuersünder» ein langjähriger Chefbeamter ist, den Bildungsdirektor Oskar Freysinger im Dezember zum Dienstchef seines Bildungsdepartementes beförderte.

Dass Freysinger mit Jean-Marie Cleusix ausgerechnet einen Beamten in eine so wichtige Position hievte, der jahrelang keine Steuern bezahlt haben soll, kommt im Wallis nicht gut an. «Ich bin nicht die Inquisition», verteidigte Freysinger vor den Medien seinen Entscheid. Die Privatangelegenheiten seines Chefbeamten gingen ihn nichts an. Man habe bei dessen Nominierung das übliche vierstufige Auswahlverfahren eingehalten. Cleusix habe in allen Bereichen als Bester abgeschnitten. Freysinger betonte auch, er habe den besten Mann für diese Job gewollt. Es gebe auch keine Strafanzeige gegen Cleusix. Kurzum: Freysinger will an Jean-Marie Cleusix als Dienstchef festhalten.

Freysinger wittert eine Kampagne

Der jüngste Wirbel um Freysingers obersten Bildungsfunktionär steht in einer langen Reihe von Geschichten, die sich seit der Wahl des SVP-Politikers in die Walliser Regierung abspielen und bei denen Freysinger stets eine Hauptrolle hat. Er selber spricht von einer Kampagne der Unterwalliser Freisinnigen gegen ihn, weil die SVP der Walliser FDP bei den letzten Wahlen den einzigen Sitz in der Regierung abnahm. Auch beim Fall um Dienstchef Jean-Marie Cleusix vermutet Freysinger die Drahtzieher in den Reihen der FDP. «Jedes Mal, wenn Staatsrat Freysinger wegen irgendeiner Sache in der Kritik steht, sagt er, dahinter stehe wohl die FDP oder Alt-Bundesrat Pascal Couchepin», spöttelte der Walliser SP-Nationalrat Stephane Rossini. Dass man der FDP den Sitz abnahm, sei das Trauma von Oskar Freysinger.

Freysinger liess selber auch keine Gelegenheit aus für Provokationen: Kaum gewählt, sorgte ein Dokumentarfilm für Aufsehen, weil der SVP-Politiker dem Schweizer Fernsehen seine Privatgemächer öffnete und die Fernsehzuschauer so die deutsche Reichskriegsflagge bestaunen konnten, welche an einer Zimmerdecke in seinem Haus in Saviese schwebte. Ein Walliser Regierungsmitglied, das eine Flagge hisst, welche von Neonazis bei ihren Auftritten geschwenkt wird, das war ein gefundenes Fressen für die kantonalen und nationalen Medien. Freysinger gab sich naiv. Er habe die Flagge aus ästhetischen Gründen gekauft und aufgehängt. In diesem Stil ging es weiter.

Immer wieder unter Beschuss

Nach seinem Amtsantritt im Mai 2013 wartete er auch die obligaten 100 Tage im Amt nicht ab, um erste öffentliche Provokationen vom Stapel zu lassen, wie der «Walliser Bote» schrieb. Freysinger hatte davor in einer Radiosendung die Walliser Lehrer aufgerufen, die Kinder von Sans-Papiers den Behörden zu denunzieren. Er erntete deswegen heftige Kritik vonseiten der Lehrer und auch der Westschweizer Regierungskonferenz der Bildungsdirektoren. Empörung schlug ihm zudem entgegen, als Mitte Juli 2013 bekannt wurde, Freysinger wolle die Integration von Schülern mit leichten Behinderungen in Regelklassen rückgängig machen.

Später kommt er unter Beschuss, weil er Lehrern einen fünftägigen Jagdurlaub gewähren will, den langjährigen ungeliebten Dienstchef des Bildungsdepartementes Jean-Francois Lovey auf ein Abstellgleis schiebt, im Val d’Anniviers anlässlich eines Meetings vor Lehrern den Ton nicht trifft oder weil er seinen Freund Slobodan Despot als Kommunikationsverantwortlichen einstellt. Freysingers Name taucht auch im Steuerskandal um Weinhändler Dominique Giroud auf. Und diese Geschichte ist schon etwas problematischer für den SVP-Staatsrat. Denn Giroud soll Steuern in Höhe von sieben Millionen Franken hinterzogen haben. Im Wallis heisst es, der Weinhändler habe auch Freysingers Wahlkampagne finanziert. Freysinger sagte dazu aber bisher nichts.

Nachdem der Basler CVP-Regierungsrat Carlos Conti zurücktrat, weil er von den Zusatzeinkünften aus Mandaten 110’000 Franken zu viel kassierte, geriet im Wallis auch Oskar Freysinger wegen der Einkünfte aus seinem Nationalratsmandat in die Bredouille. Freysinger liefert von den Nationalratshonoraren keinen Rappen an die Staatskasse ab und kommt so auf ein Salär von schätzungsweise 350’000 Franken. Bei der Pressekonferenz am Donnerstagmorgen nahm ihn aber Finanzdirektor Maurice Tornay in Schutz. Gemäss Walliser Gesetz müsse Freysinger die Honorare aus seinem Nationalratsmandat nicht an die Staatskasse abliefern.