Im Herzen von Ecône

Piusbruderschaft Eine Reportage aus ihrem Zentrum im Wallis

Patrick Baumann, L’Illustré

Mit der Aufhebung der Exkommunikation der Bischöfe der Priesterbruderschaft St. Pius X. hat der Papst ein weltweites Protestgeschrei ausgelöst. Doch wer sind diese fundamentalistischen Mönche von Ecône?

Es ist 7.15 an diesem Freitag, 30. Januar. Die Glocken der Kirche von Ecône haben eben zur ersten Messe geläutet. Drinnen knien ein Dutzend Gläubige, darunter auch vier oder fünf Frauen. Draussen verbirgt die Dunkelheit das Bergpanorama › diese prächtige Aussicht der 60 Seminaristen, die hier zu Seelsorgern ausgebildet werden. Ausgebildet werden sie in einer strengen Tradition, derjenigen aus der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, diesem «Aids der Kirche», wie es der Gründer dieses Ortes und der Priesterbruderschaft St. Pius X., Monseigneur Marcel Lefebvre, einmal genannt hat.

Vor sechs Tagen hat der Papst die Exkommunikation von vier Bischöfen der Priesterbruderschaft aufgehoben und damit in der ganzen Welt Sprachlosigkeit und Entrüstung ausgelöst. Auch, weil der eine Bischof ein Holocaustleugner ist.

Hier, weit entfernt von der irdischen Welt, wohnen die Geistlichen, die für ihren Fundamentalismus bekannt sind. Wie haben sie dieses Ereignis erlebt? Wir können uns einige Stunden einen Eindruck machen.

Sebastian Gabard, ein junger Franzose, wird uns als Touristenführer zugeteilt. Fundamentalisten, die in den Gängen Freudentänze aufführen, sieht man keine. «Einerseits, weil man in den Gängen nicht spricht», flüstert der sympathische Sebastian, der 2010 zum Priester geweiht wird. «Wie sagte es der heilige Franziskus: Lärm ist nichts Gutes und Gutes macht keinen Lärm.» Die Geistlichen sind gehalten zu schweigen. «Unter Mitbrüdern spricht man zu bestimmten, festgelegten Zeiten», erklärt unser Priesterlehrling. Seine Freude über die Aufhebung der Exkommunikation zeigt er nur verhalten: «Wir haben innig dafür gebetet, dass es geschieht › auch wenn ich mich nie als Exkommunizierten oder Schismatiker gesehen habe. Monseigneur Lefebvre musste einfach handeln. Das Konzil hat fundamentale Lehren hinterfragt. Als ob man sich seit 2000 Jahren getäuscht hätte! Doch dank dieser Rehabilitation wird es einigen Jungen leichterfallen, sich gegen Rom aufzulehnen.»

Dieses Glaubensbekenntnis werden wir während dieses Tages noch mehrmals hören, von Grégoire, Yannick, Arnaud, Jacques, Peadar, Pierre-Marie, Anthony, Thibaud, die aus Frankreich, Schweden, Irland oder der Schweiz nach Ecône gekommen sind. Der Bretone Baudoin de Lassus öffnet für uns die Tür zu seiner Zelle. Mit Erstaunen erblickt man ein Foto von Benedikt XVI. «Er ist unser Pontifex maximus, wir anerkennen ihn als Papst! Ich war diesen Sommer in Rom», erklärt er feierlich.

Man sich fragt sich, weshalb wohl ein 26-Jähriger die Messe auf Latein hartnäckig verteidigt. Wenn man ihn dann fragt, ob man näher bei Gott sei, wenn man nicht verstehe, was man sage, schaut er uns mitleidig an. «Latein ist die heilige Sprache, die zu Gottes Seele führt. Auch wenn man nicht versteht, was man sagt, wird man getragen. Manchmal erlebe ich während einer Hochzeit oder Beerdigung eine Messe, die dem Konzil folgt. Da fehlt diese übernatürliche Seite der traditionellen Liturgie! Die Kirche ist nicht das Haus des Volkes, sondern jenes von Gott!»

Weniger weitschweifig sind Baudoin und die Mitbrüder, wenn es darum geht, über die Entgleisungen ihres Bischofs zu sprechen. Vorsichtig verweisen sie auf das Communiqué von Monseigneur Bernard Fellay, dem Vorgesetzten der Bruderschaft. Dieser entschuldigt sich und bedauert › allerdings ohne moralische Verurteilung › die Äusserungen des britischen Bischofs, welche keineswegs die Meinung der Piusbruderschaft widerspiegelten, wie er sagt.

Dies wird der Abt von Jorna, Direktor des Seminars, später in seinem Büro wiederholen. «Diese Ansichten waren nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Die Medien haben die Sache ausgeweitet und wie immer die Bruderschaft ungerecht behandelt.» Doch man hat den Abt dozieren gehört über die Formel von Aristoteles: «Leben heisst denken». Wenn diese zwei Worte so stark miteinander verbunden sind, müsste sich dann die Bruderschaft nicht stärker moralisch distanzieren?

Er schüttelt den Kopf. Obwohl von seinem Glauben her ein Gegner der Religionsfreiheit, ruft er nun die Gedankenfreiheit jedes Einzelnen an und braucht kurioserweise eine Metapher aus dem Autobereich: «Wenn Sie ein Auto einer Marke kaufen, wollen Sie auch, dass man Ihnen verschiedene Modelle zeigt!» Empfindet er dennoch eine gewisse Befriedigung bei der Idee, dem Papst eine Schlappe zugefügt zu haben? «Man fügt dem Heiligen Vater keine Schlappe zu. Ich bin einfach nur glücklich, dass er erkannt hat, welche Wohltaten wir machen.»

Engel waren das Thema der Vorlesung des Abtes von Jorna an Morgen. Man hat dabei aus dem Munde des Philosophie-Professors erfahren, dass es «sogar bei den Engeln keine Gleichheit gibt, es gibt mehr und weniger intelligente». Diese Bemerkung zeigt, weshalb für die Fundamentalisten von Ecône die Menschenrechte so unwichtig sind.

Wieso hat eigentlich der Abt eingewilligt, uns die Türen zu öffnen, wo er doch überzeugt ist, dass die Presse alles vermischt? Der Abt lächelt. «Auch ein schlechter Artikel kann in gute Hände fallen. So wie jener junge Mann, der eines Tages eine Zeitung im Abfall gefunden hat und Seminarist geworden ist. Das ist das Mysterium der göttlichen Gnade!» In Ecône ist Priestermangel ein Fremdwort: «Im Durchschnitt haben wir 35 neue Rekruten pro Jahr. Eine stabile Zahl, im Gegensatz zur Diözesankirche.»

Als wir diesen ruhigen Ort verlassen wollen, treffen wir zwei junge Seminaristen auf dem Weg zu einer Prüfung über die Heilige Schrift. Wie die Mehrheit der zukünftigen Priester, die wir getroffen haben, stammen sie aus traditionell katholischen Familien. «Meine Mutter besuchte jeweils die Kapelle der Bruderschaft in Lausanne», erklärt der 22-jährige Anthony Romanens. «Sie war natürlich überglücklich, dass ich Priester werde, mein Vater war weniger enthusiastisch.» Thibaud, der sonnengebräunte Walliser aus Granges, dessen Bruder Kapuzinermönch ist, geht während der Ferien mit Kollegen auf Skitouren. Ohne seine Soutane könnte man ihn glatt mit einem Bergführer verwechseln. «Die Leute meinen, wir seien furchterregende Fundamentalisten, die von der Welt abgeschnitten sind. Wer uns kennt, realisiert, dass dies nicht wahr ist.»

4 Fragen

Wer sind die Piusbrüder?

Die erzkonservative Bruderschaft hat enge Verbindungen zur Schweiz.

Benno tuchschmid

Was ist die Bruderschaft Pius X., und wer ist ihr Gründer?

Die Bruderschaft ist eine Gemeinschaft traditionalistischer Katholiken, die durch den französischen Erzbischof Marcel Lefebvre (1905›1991) gegründet wurde. Lefebvre sympathisierte mit rechtsextremen Parteien. Weltweit hat die Bruderschaft bis zu 600 000 Anhänger und über 400 Priester.

Was hat die Piusbruderschaft für Verbindungen in die Schweiz?

Die erzkonservative Gemeinschaft wurde 1970 durch Lefebvre gegründet und hat noch heute ihr Ausbildungszentrum in Ecône im Wallis. In der Schweiz zählt die Piusbruderschaft ungefähr 6000 Mitglieder und betreibt 30 Kappellen und Kirchen, unter anderem in Basel, Rickenbach und Oensingen.

Warum brach die katholische Kirche 1988 mit dem Verbund?

Weil Erzbischof Lefebvre ohne den Segen von Rom vier Priester der Bruderschaft zu Bischöfen weihte, wurden alle fünf exkommuniziert. Die Konflikte zwischen den Traditionalisten um Lefebvre und der katholischen Kirchen gehen auf das Zweite Vatikanische Konzil (1962›1965) zurück. Damals sprach die Kirche unter anderem die Juden von der Schuld am Tod Jesu frei, und seither wird die Messe nicht mehr auf Lateinisch gelesen.

Warum hat Papst Benedikt XVI. die Bruderschaft wieder aufgenommen?

Papst Benedikt erklärte letzte Woche, dass er die Exkommunikation der vier Bischöfe der Piusbruderschaft aufhebe, weil er sich als «Diener der Einheit» sehe. Diese Woche verlangte der Vatikan aber auch den Widerruf der Holocaust-Leugnung eines der Bischöfe und die volle Anerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Übersetzung, Bearbeitung: Corinna Hauri