«Ich komme trotzdem in den Himmel»

Solothurner Zeitung: Amtsgericht · Staatsanwältin will Schützen von Zuchwil lebenslang hinter Gitter sehen

Die Vorwürfe gegen Viktor T.* sind zahlreich. Über dreieinhalb Stunden legte gestern Staatsanwältin Petra Grogg dem Schützen von Zuchwil seine Taten zur Last. Sie zeichnete vor dem Amtsgericht das Bild eines gekränkten Ex-Freundes, der auf seinem Rachefeldzug drei Frauen ermorden wollte und den Tod eines Unbeteiligten in Kauf nahm. Sämtliche Fälle seien vergleichbar: T. wurde von Frauen abgewiesen, worauf er in seiner Wut erst die Frauen und dann sich selbst umbringen wollte.

Ihre Ausführungen begann die Staatsanwältin mit einem Auszug aus dem Abschiedsbrief, den der damals 22-jährige Schweizer an seine Opfer gerichtet hatte: «Es wird Zeit, ihnen einmal den Arsch aufzureissen. Schlampen werden gefickt von mir, ich teile aus, niemand anderes.» Seine Familie habe Stolz, schreibt er weiter. Es tue ihm leid, dass er aggressiv, laut und verletzend gewesen sei. «Mutter, bitte komm mit meiner Entscheidung klar.» Schon in der Schule habe er komische Gedanken an Selbstmord gehabt. Und schliesslich: «Was habe ich immer gesagt: Bevor ich sterbe, bringe ich jemanden um und ich weiss, ich komme trotzdem in den Himmel.»

«Ein Schwerverbrecher»

Viktor T. werte Frauen ab und habe Gewaltfantasien. Es sei nicht der liebe und unschuldige junge Mann, als der er sich vor Gericht krampfhaft darzustellen versuche, so die Anklägerin. «Es ist der Mann, der vier Menschen töten wollte. Wir haben es mit einem Schwerverbrecher zu tun.» Seine Aussagen vor Gericht seien in keiner Weise glaubhaft und die Entschuldigungen eine Verhandlungsstrategie. Für die Staatsanwaltschaft gebe es keine andere Möglichkeit, als die Maximalstrafe zu fordern: lebenslanger Freiheitsentzug und eine stationäre Massnahme.

Ins Bild des martialischen Schützen passen weitere Details: So machte er am Abend vor der Tat mit dem Handy Selbstporträts mit Pistole und Gasmaske und hängte eine Flagge auf, die an ein Hakenkreuz erinnert. Seinen Abschiedsbrief betitelte er mit «Mein Kampf». T. habe früher in rechtsextremen Kreisen verkehrt, die Szene gemäss der Gutachterin aber mittlerweile verlassen.

Einig sind sich Anklage und Verteidigung darin, dass T. am 18. Juni 2012 einen Schlussstrich ziehen wollte. Ob er allerdings ausschliesslich sich selbst oder auch weitere Personen umbringen wollte, darüber gehen die Meinungen auseinander.

«Ein einfühlsamer Mensch»

Für Verteidigerin Corinne Saner steht fest, dass ihr Mandant nicht töten wollte und vom Vorwurf des versuchten Mordes in allen vier Fällen freizusprechen sei. Die Anwältin versuchte, ein aus ihrer Sicht «realistischeres» Bild des Täters zu zeichnen: Er sei kein Monstrum, eher ein einfühlsamer und sensibler Mensch, der psychische Probleme habe. «Er hat bei Fachleuten Hilfe gesucht und diese fatalerweise nicht erhalten.» Bereits 2009, als sich T. selber in die Psychiatrie Langendorf einwies, habe man ihn nicht ernst genommen. Auch bei einem Arztbesuch kurz vor der Tat habe man sich kaum Zeit für ihn genommen. Ausserdem habe er möglicherweise ein sedierendes Medikament nicht erhalten. «Ein unverzeihlicher Fehler des Arztes», sagte Saner.

Der aggressive Abschiedsbrief, so die Anwältin, sei ein aus tiefster Verzweiflung zu Papier gebrachter Hilfeschrei. Zudem sei er unter Einfluss von Psychopharmaka und Alkohol gestanden.

Einzig sich selbst habe T. umbringen wollen. Wenn er auf dem Sulzer-Areal seine Ex-Freundin hätte niederschiessen wollen, ist Saner überzeugt, dann hätte der geübte Schütze getroffen. Die Verteidigerin plädierte auf eventualvorsätzliche schwere Körperverletzung und eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Dass T. während eines psychotischen Schubs gehandelt habe und unter einer Persönlichkeitsstörung leide, müsse strafmindernd berücksichtigt werden. Die stationäre Massnahme sieht die Verteidigerin als nicht angebracht, eher eigne sich eine intensive Psychotherapie.

Er will als Altenpfleger arbeiten

Zum Abschluss des dreitägigen Prozesses hatte Viktor T. das letzte Wort. Er sei dankbar, dass seine Ex-Freundin überlebt habe und dass auch sonst niemand verletzt worden sei. Er entschuldige sich bei seinen Opfern, insbesondere bei seiner Ex-Freundin, die er niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt hatte. Die heute 23-Jährige, die noch immer an den Folgen leidet, habe die Entschuldigung bis heute jedoch nicht annehmen können, schob der Täter nach.

Wann T. dereinst als Altenpfleger arbeiten kann, wie er sich dies wünscht, entscheidet das Gericht. Es zieht sich zur geheimen Urteilsberatung zurück. Das Urteil wird am 8. September eröffnet.

* Name der Redaktion bekannt

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Jahre. So lange müsste der Schütze von Zuchwil mindestens ins Gefängnis, falls das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgt. Laut Alain Hofer, Leiter der kantonalen Strafvollzugsbehörde, heisst ein lebenslanger Freiheitsentzug nicht in jedem Fall, dass ein Verurteilter bis zu seinem Tod hinter Gittern bleibt. Nach 15 Jahren müssen die Behörden erstmals eine vorzeitige, bedingte Haftentlassung prüfen. «Lebenslang» ist die höchste Strafe im Schweizerischen Strafrecht. (crs)

fg