Ex-Nazi wegen versuchter Tötung angeklagt

Zürichsee-Zeitung: Bezirksgericht. Ein ehemaliger Skinhead soll für acht Jahre ins Gefängnis, weil er in Stäfa beinahe einen Nebenbuhler erstochen hätte. Die Verteidigung fordert eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten für den Täter, der bereits mit acht Jahren drogenabhängig wurde.

Spätestens in der Nacht auf Heiligabend 2012 verlor der gelernte Carrosseriespengler R. endgültig die Kontrolle über sein Leben. Um halb zwei Uhr morgens suchte er die Wohnung seines Nebenbuhlers in Stäfa auf mit einem 25 Zentimeter langen Bajonett in der Hand. Zuvor hatte er vergeblich auf seine langjährige Freundin gewartet, die im Haus seines Widersachers und einstigen Kumpels ihre Sachen zusammensuchen sollte: Sie hatte versprochen, zu ihm zurückzukehren und die Affäre mit dem Stäfner zu beenden.

Durch das Fenster beobachtete R. gemäss eigenen Angaben, wie der andere Mann seine Freundin vergewaltigen wollte. Als dieser den bewaffneten ­Ankömmling entdeckte, ergriff er ein 30 Zentimeter langes Küchenmesser und trat auf die Terrasse hinaus. Dann folgte ein minutenlanger Kampf, der für den Stäfner beinahe tödlich geendet hätte.

Unklar ist, wie sich das Duell genau abgespielt hat. Das Bezirksgericht Meilen ging gestern dieser Frage nach. Knapp eineinhalb Jahre nach dem Vorfall wurde der heute 23-jährige R. in Handschellen in den Gerichtssaal geführt – kahlgeschoren, mit hochgekrempelten Hosen und Tattoos an Armen und Beinen. R. verkehrte früher rege in der Neonazi-Szene und ist noch immer Mitglied der rechtsextremen Gruppierung Blood and Honour.

Blut floss auch am besagten Heiligabend. R. fügte seinem Widersacher unter anderem eine tiefe Schnittverletzung am rechten Handgelenk zu. Gemäss Anklageschrift hat das Opfer versucht, mit dem Arm einen Stich in die Herzregion abzuwehren. Genau dies ist aber umstritten. Der Beschuldigte sagte, er habe nicht zugestochen, sondern seinem Herausforderer mit dem Messer in der Hand einen Faustschlag auf den Brustkorb verpassen wollen. Zum Zeitpunkt der Tat hatten er und das Opfer einen Drogencocktail intus. «Ich habe damals konsumiert wie ein Tiger», sagte R. vor Gericht.

Mit zwölf spritzte er Heroin

R. wurde früh drogenabhängig. Er wuchs unter schwierigen Umständen auf. Den Vater, einen Kosovo-Albaner, lernte er nie kennen. Dieser war ausgeschafft worden, weil er mit Waffen gehandelt hatte. Davor war die alkoholkranke Mutter mit ihrem Sohn immer wieder auf der Flucht vor seinem Vater gewesen. Sie fürchtete sich vor ihm. Teilweise wuchs R. bei seiner Grossmutter am rechten Zürichsee­ufer auf. Auch sie war alkoholkrank.

R. begann zu trinken, als er acht Jahre alt war – Whisky und Kirsch. Mit neun Jahren griff er zum ersten Mal zu Partydrogen. Seit er zwölf Jahre alt ist, spritzt er sich regelmässig Heroin und Kokain. 17 Mal hat er in Kliniken den Drogenentzug versucht – erfolglos. Seine Kindheit und Jugend verbrachte R. seit seinem siebten Lebensjahr in 14 verschiedenen Heimen und in 32 Pflegefamilien. Seinen Aussagen zufolge wurde er geschlagen und sexuell missbraucht.

In der rechtsextremen Szene fand er ab seinem zwölften Lebensjahr Zuflucht. An den Wochenenden zog er mit Neonazi-Gruppierungen durch die Region Basel und Solothurn, zettelte Schlägereien an und lernte Kampftechniken. Auf diese berief er sich an der Verhandlung. Er habe gelernt, wie man einen Menschen angreifen müsse, um ihn umzubringen. «Wenn ich meinen Widersacher wirklich hätte töten wollen, dann wäre er tot», sagte er. Bei seiner Tat handle es sich «maximal um schwere Körperverletzung».

Die anklagende Staatsanwältin sah dies anders. Sie forderte eine Freiheitsstrafe von acht Jahren wegen versuchter vorsätzlicher Tötung und versuchter schwerer Körperverletzung. Dass das Opfer mit einer vergleichsweise geringen Verletzung davonkam, sei nur dem Zufall zu verdanken. «Der Beschuldigte hatte keinen Einfluss auf den Ausgang seiner Handlungen.» Er habe damit rechnen müssen und auch in Kauf genommen, dass er sein Opfer töten würde.

Schon mehrfach vorbestraft

Der Verteidiger beantragte eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten wegen versuchter schwerer Körperverletzung. Vom Vorwurf der versuchten Tötung solle der Beschuldigte freigesprochen werden.

R., der bevormundet ist und seit seinem 18. Lebensjahr eine IV-Rente bezieht, ist mehrfach vorbestraft. Unter anderem hat er ein Jahr vor dem Vorfall in Stäfa einem anderen Nebenbuhler aus Uster das Nasenbein gebrochen. Deswegen wurde er zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Das Urteil im vorliegenden Fall fällt in den nächsten Wochen.