Witz und Wut

Basler Zeitung: Gibt es einen jüdischen Humor? Und warum nicht?

Basel. «Der Jude macht auf Humor, um zu zeigen, dass er Jude ist und dass er Humor hat und dass er nahe bei Gott ist.» Der Komiker Massimo Rocchi, sonst als intelligenter Vertreter seines Berufsstandes bekannt, hat mit dieser Äusserung in der Sendung ­«Sternstunde Philosophie» des Schweizer Fernsehens auf Uraltstereotype zurückgegriffen. Neben der Feststellung, dass «der Jude» nicht einfach nur lustig sein könne, hat Rocchi auch noch die Ansicht vertreten, dass der jüdische Humor «immer Zinsen» einbringen müsse. Rocchis kruden Bemerkungen und die deswegen eingegangene Anzeige wegen Rassendiskriminierung (siehe Kasten) gewinnen eine gewisse Brisanz angesichts der laufenden Kontroversen um den französischen Schauspieler Dieudonné, der schlechte Witze über Juden zu seinem Markenzeichen gemacht hat.

Doch Dieudonné bekennt sich in seinen Shows klar als Antisemit. Rocchi dagegen ist bis jetzt nicht als solcher aufgefallen. Seine Äusserungen wirken mehr verwirrt als gezielt antisemitisch. Wichtiger als den Fall juristisch aufzurollen, ist es, die Frage nach dem jüdischen Humor einmal reflektierter zu betrachten.

Ein Blick ­gerade auf jüdische Komiker zeigt, dass diese sich immer auf Stereotype be­zogen und die Grenzen der Political Correctness lange vor der Erfindung dieses Begriffs überschritten haben. Kirk Douglas hat einmal bemerkt, dass der einzige Vorteil, Jude zu sein, darin bestehe, offen antisemitisch sein zu können. Doch dürfen sich nur Juden über Juden lustig machen? Und haben Juden etwa mehr Humor als andere Menschen?

Ikonen der modernen Kultur

Auf den Hinweis, dass Gott ihm vergeben werde, soll der atheistische Dichter Heinrich Heine auf dem Sterbebett geantwortet haben: «Natürlich wird er mir vergeben. Das ist sein Metier.» Der Hintergrund von Heines Sarkasmus war seine Rolle als Aussenseiter, der trotz Taufe «bei Christ und Jude verhasst» war, wie er in einem Brief festhielt. Dabei hatte Heine nur gegen eine einfache Regel verstossen, die Groucho Marx einmal so formulierte: «Ich ­möchte keinem Club angehören, der mich als Mitglied aufnehmen möchte.»

Auch Woody Allen zitiert diese ­Maxime in der Eröffnungssequenz seines Films «Annie Hall» (1978) und meint, dass sie die Quintessenz seines Lebens darstellen würde. Das Bonmot stamme ursprünglich aus Sigmund Freuds Buch «Über den Witz und seine Beziehung zum Unbewussten». Heinrich Heine, die Marx Brothers, Woody Allen und Sigmund Freud sind Ikonen der modernen Kultur. Sind sie auch ­Repräsentanten eines typisch jüdischen Humors?

Der Schweizer Schriftsteller Charles Lewinsky hat dafür plädiert, dass es ­jüdischen Humor nicht gibt. Dieser sei «nur typisch für eine gesellschaftliche Konstellation, in der eine unterdrückte Minderheit sich der unterdrückenden Mehrheit intellektuell überlegen fühlt, diese Überlegenheit aber nur in Geschichten, nicht in der Realität aus­zuspielen wagt (…). Genau wie die irischen Witze über die Engländer. (Nur dass dort mehr Whisky vorkommt.)» Sogenannte jüdische Witze seien nichts anderes als eine auf Stereotype reduzierte Erinnerung an das ausgerottete europäische Judentum. Heute seien ­Juden jedoch nicht mehr existenziell bedroht, was auch humoristische Konsequenzen habe: «Wir haben es tat­sächlich geschafft so bierernst wie alle anderen zu werden.»

Lachen über sich selbst

Die Gegenposition wird vom österreichisch-israelischen Historiker und Schriftsteller Doron Rabinovici ver­treten: «Der jüdische Witz lebt, ob in Tel Aviv, New York oder Oslo.» Jedoch: Man muss ihn erzählen können. Denn «jede Pointe hängt davon ab, wer sie wie erzählt; und wem; und wann. Wird diese Wahrheit nicht beachtet, kann ­unversehens der jüdische Witz zum Juden­witz geraten, zur antisemitischen Zote. Jüdischer Humor ist das Lachen über sich selbst und nicht der Spott über die anderen. (…) Sigmund Freud deutet den Witz als Offenbarung des Un­bewussten, als Einbekenntnis unserer verborgensten Wünsche. Freud mochte etwa diesen ganz kurzen Witz: Sagt ein alter Mann zu seiner Frau: ‹Wenn einer von uns stirbt, fahr ich nach Amerika.›»

Jüdischer Humor ist also gemäss Rabinovici und Freud weder höhnisch noch zynisch, sondern eben witzig. Die Witzigkeit hängt erstens von der Situation ab und zweitens davon, ob man sich auch selbst zum Gegenstand des eigenen Humors machen kann. Freud mochte den zitierten Witz deshalb so sehr, weil er selbst so ein Mann war, der gerne ohne seine Frau nach Amerika ­gereist wäre. Und genau das tat er 1909 dann auch wirklich.

Ein sehr ­aggressives Element

Sigmund Freud charakterisierte das Judentum als Volk des Witzes, wobei er offen lässt, ob sich das nur unter bestimmten historischen Bedingungen ergeben hat (wie Lewinsky annimmt) oder ob die Juden essenziell witzige Eigen­schaften haben. Bei der Lektüre seines kleinen Büchleins fällt vor allem auf, dass Freud dem Witz ein sehr ­aggressives Element zuspricht. Der Witz sei nämlich die «Waffe der Wehr­losen».

Für Freud ist die Aggressivität auch gegen sich selbst notwendig für einen guten Witz. Denn «der Anteil an der ­eigenen Person an dem zu Tadelnden schafft die sonst schwierig herzustel­lende subjektive Bedingung der Witz­arbeit». Diese «Witzarbeit» sublimiert in der klassischen psychoanalytischen Theorie verdrängte Triebe und hat in der Pointe eine befreiende, lustvolle Wirkung. Die Wut über die eigene Zurücksetzung findet also im Witz ein Ventil. Bestes Beispiel dafür ist ein Album­titel des 2011 verstorbenen Kabarettisten Georg Kreisler (der übrigens lange Jahre in Basel gewohnt hat): «Nicht­arische Arien».

Eine verlorene Tradition

Die Mischung aus Aggressivität und Zärtlichkeit, aus Melancholie und Ironie, aus universeller Verständlichkeit und jüdischem Kolorit, die man auch in Kreislers Chansons findet, hat zum Sieges­zug des jüdischen Humors beigetragen. Doch genau als diese Mischung ist der jüdische Humor längst zu einem Stereotyp geworden, und zwar in der Fremd- und Selbstwahrnehmung des Judentums gleichermassen. Die Liste einflussreicher jüdischer Komiker, die selbst zu diesem Image beigetragen ­haben, ist lang. Bis heute zeugen ­Namen wie Mel Brooks, Larry David (der Erfinder von «Seinfeld») oder Sarah Silverman von dieser Konstellation.

In der amerikanischen Szene findet man denn auch einerseits Beispiele für einen sehr aggressiven Humor, andererseits auch die nostalgische Melancholie für eine verlorene Tradition. Ein Beispiel für die erste Tendenz ist der 1979 geborene Komiker Moshe Kasher. An Kashers Auftritten kann man sehen, wie sehr der Antisemitismus und die Wut darüber diese Generation und ­ihren Humor noch immer prägen. So antwortete Kasher in einem Interview auf die Frage, was für ihn der wichtigste Einfluss neben Comedy gewesen sei: «Die Protokolle der Weisen von Zion». Dieser merkwürdige Humor ist spezifisch jüdisch, weil er sich mit den Stereo­typen gegen eine spezifisch gegen Juden gerichtete Stereotypisierung wendet.

Auf der anderen Seite gibt es das ­folkloristische Ritual der Selbstbestä­tigung durch den Witz. Die Webseite www.oldjewstellingjokes.com etwa hatte einen gigantischen Erfolg damit, dass Hunderte kurzer und simpler Filme produziert und online gestellt wurden, in denen ältere Leute Witze erzählen. Diese Witze beziehen sich im seltensten Fall auf Religion, Geschichte oder Antisemitismus. Vielmehr erzählen sie von Alltag, Sexualität oder Gesundheit. Es sind meistens Witze, die beispielsweise auch unter Italienern, Rus­sen, Japanern, nichtjüdischen Amerikanern oder sogar unter protestantischen Baslern spielen könnten. Tatsächlich haben einige Witze dieser Website eine grosse Ähnlichkeit mit den Pointen in guten Basler Schnitzel­bänken.

Allerdings zelebriert die Website den Witz in einem noch viel grösseren Ausmass, als es die Basler Fasnacht tut. Zwar dient auch der Fasnachtshumor erheblich zur Stiftung einer lokalen Identität, etwa in Abgrenzung zu den Zürchern. Doch das jüdische Ritual des Witze-Erzählens führt noch viel weiter: Das Erzählen von Witzen ist zu einem Teil säkularer Identität anstelle des religiösen Kanons geworden. Nicht nur der Bezug auf Talmudtraktate und Bibelstellen, sondern der Bezug auf allseits bekannte Witze stiftet eine textuelle Grundlage für eine moderne jüdische Identität. Die besten und witzigsten Witzerzähler, also die jüdischen Komiker, haben analog den Status wichtiger Rabbiner inne.

Eine unreflektiertes Klischee

Einen jüdischen Humor gibt es nicht. Und doch erkennen wir ihn, wenn wir ihn antreffen, weil er sich explizit oder implizit innerhalb einer Tradition bewegt. Der anfänglich zitierte gottlose Dichter Heinrich Heine ist für die Genealogie des jüdischen Witzes zu einer heiligen Autorität geworden, die auch der Atheist Sigmund Freud gerne ausführlich zitierte. Freud wiederum wird vom nicht minder areligiösen Woody Allen angeführt. Und auf diesen berufen sich beinahe alle jüdischen ­Komiker.

Doch was ist an Woody Allen und seinem Humor eigentlich jüdisch? Woody Allens eigene Antwort verweist auf das Klischee, das Massimo Rocchi gänzlich unreflektiert benutzte, und distanziert sich ironisch davon: «To you I am an atheist. To God I am the loyal opposition.» (Für dich bin ich ein Atheist. Für Gott bin ich die loyale Opposition.») Es ist wichtig, rassistische und antisemitische Aussagen deutlich als solche zu benennen und zu bekämpfen. Manchmal braucht es dazu juristische Mittel, doch noch stärker sind humoristische.

Massimo Rocchi und sein Ankläger David Klein

Basel. Der Basler Musiker David Klein steht hinter der Anzeige wegen Antisemitismus gegen den Komiker Massimo Rocchi. Letzterer hatte in der «Sternstunde Philosophie» auf SRF das antisemitische Stereotyp des geldgierigen Juden vorgebracht, «das seit Urzeiten als verleumderische Anklage gegen Juden missbraucht wird», erklärt sich Klein in der «Sonntagszeitung». Der 52-jährige Musiker und Komponist kritisiert zudem Juri Steiner, den Moderator der Sendung, der die Äusserung kommentarlos stehen liess. Gestört habe sich Klein insbesondere an Rocchis geäusserter Bewunderung für die englische Schauspielerin Vanessa Redgrave, die Israel 1978 in ihrer Oscar-Rede als «einen Haufen zionistischer Verbrecher» bezeichnete. «Da griff ich zur Tastatur», so Klein. Bevor er die Anzeige einreichte, bat er nach eigenen Angaben sowohl das Schweizer Fernsehen als auch den Komiker um eine Stellungnahme. Während man beim SRF einräumte, dass die Aus­sagen «zu Missverständnissen Anlass geben» könnten, habe Rocchi bislang nichts von sich hören lassen.

mat