Was aus der Rechtsextremen-Hochburg geworden ist

Schweiz am Sonntag: Der Aargau galt noch vor zehn Jahren als eines der Zentren der rechtsextremen Szene – heute scheint es ruhig geworden zu sein. Eine trügerische Ruhe?

«Eine Hochburg der rechtsradikalen Bewegung» nannte Heinz Kaiser den Aargau vor zehn Jahren. Die Grösse der Szene schätzte er damals auf bis zu 500 Mitglieder. Heute sagt Kaiser: «Es ist sehr ruhig geworden.» Eine Einschätzung, die Kapo-Sprecher Bernhard Graser teilt: «Im Moment sind die Rechtsextremen kein Thema im Aargau. Es gibt keine strukturierte Szene mehr.» Hans Stutz, Journalist mit Schwerpunkt Rechtsextremismus und Rassismus, bestätigt: «Von der Szene ist nicht mehr viel zu sehen. Ihre Organisationen sind praktisch verschwunden.»

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hält fest: «Über die letzten zehn Jahre ist die gewaltbereite rechtsextreme Szene geschrumpft.» Auch die Vorfälle mit Exponenten der rechtsextremen Szene sind zurückgegangen. In den letzten Jahren sei der Kantonspolizei im Aargau nichts von Treffen, Veranstaltungen oder Übergriffen mit rechtsextremem Hintergrund bekannt, sagt Graser.

In der ganzen Schweiz schätzt der NDB die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremen auf 900 bis 1000 Personen. Die meisten davon in den Kantonen Bern, Zürich, St. Gallen und Luzern – der Aargau folgt an fünfter Stelle. Heinz Kaiser sagt, die Szene sei vermehrt in den Kantonen Bern und Luzern, in Genf und in der Ostschweiz präsent. «Öffentliche Nazi-Konzerte etwa gibt es heute keine mehr im Aargau. Diese Veranstaltungen werden schon im Vorfeld verhindert.» Die übrig gebliebenen Mitglieder der Szene lebten verzettelt im Aargau und fielen im Kanton nicht mehr gross in der Öffentlichkeit auf. «Der Staatsschutz hat die Leute im Visier und gut im Griff», sagt Kaiser.

Doch warum ist die Szene geschrumpft? Das sei schwierig zu beantworten, sagt Bernhard Graser. «Vielleicht hat es mit dem veränderten Zeitgeist zu tun. Phänomene kommen auf und verschwinden wieder.» Zudem seien viele frühere Rechtsextreme inzwischen älter und vernünftig geworden – und hätten der Szene den Rücken gekehrt. Dazu kommen Nachwuchssorgen. «Die Naziskin-Szene beispielsweise hat für junge Männer deutlich an Attraktivität verloren», sagt Stutz. Der Grund dafür ist unbekannt. «Warum Jugend-Subkulturen entstehen und wieder verschwinden, ist unerklärbar.»

Kritisch beobachtet wird die Szene auch von der Aarauer Antifa. In den letzten Jahren seien die Rechtsextremen weniger häufig in Erscheinung getreten. Ihre Erklärung: Ein Teil der Mitglieder habe Familien gegründet, ein Teil sei in andere Kantone gezogen. Und wer übrig geblieben sei, gebe sich nicht mehr als Nazi-Skinhead zu erkennen, sondern habe sich optisch der Gesellschaft angepasst. Dennoch warnt die Antifa: «Auch wenn im Aargau weniger Neonazis als auch schon aktiv sind, gibt es sie nach wie vor. In Erscheinung treten sie momentan mit dem Verkleben von Aufklebern oder dem Sprühen nationalsozialistischer Symbole.» Zwischenfälle mit rechtsextremem Hintergrund seien nicht ganz verschwunden, kürzlich sei etwa das Kulturzentrum Bremgarten mit Steinen angegriffen worden.

Und Hans Stutz sagt: «Die rechtsextreme Szene im Aargau muss man künftig im Auge behalten wie andernorts auch.» Es lasse sich nicht ausschliessen, dass sie wieder an Bedeutung gewinne.

1000

Personen ordnet der Nachrichtendienst schweizweit der gewaltbereiten rechtsextremen Szene zu.