Variationen zum Thema Gürtelschwingen

Bund

Wurde eine arglose Familie von Rechten verprügelt, oder hat sie den Raufhandel selber provoziert? Das versucht das Burgdorfer Strafeinzelgericht herauszufinden

Am 21. April gerieten in der Burgdorfer Oberstadt eine Musikerfamilie und eine Gruppe Rechtsgesinnter aneinander, wobei zwei Familienmitglieder verletzt wurden. Nun versucht Strafeinzelrichter Jürg Bähler, Licht in die Angelegenheit zu bringen.

Stefan von Below

Eine Welle der Empörung ging durch die Emmestadt, als die Sache Ende April publik wurde. «Familie von Rechten angegriffen», «Mit Gürtel auf die Opfer eingeschlagen», «Familie von Jugendlichen verprügelt»: So und ähnlich lauteten die Schlagzeilen in der Presse. An einem Freitagabend kurz nach Beizenschluss seien die stadtbekannte Musikerfamilie B. und ein befreundetes Paar in der Oberstadt von Neonazis angegriffen und verprügelt worden, hiess es. Dabei seien die 53-jährige Ehefrau des 54-jährigen Musikers und ihr 32-jähriger Sohn im Gesicht verletzt worden. Die Stadtbehörden reagierten umgehend: Die Polizeipatrouillen wurden verstärkt, Fahnen und Plakate gegen Gewalt aufgehängt, und eine Kundgebung wurde organisiert. Mittels Fernhalteverfügung untersagte der Gemeinderat schliesslich einem der beteiligten Schläger bis nach der Solätte den Besuch der Oberstadt.

Ende Juni präsentierte der Untersuchungsrichter sein Ergebnis – und kam zum Schluss, es habe sich nicht um einen rechtsextrem motivierten Übergriff, sondern um ein «spontanes Ereignis» aufgrund einer persönlichen Fehde gehandelt. Ein minderjähriger Schläger wurde ans Jugendgericht überwiesen und mittlerweile wegen Raufhandels und einfacher Körperverletzung zu fünf Tagen Einschliessung bedingt verurteilt. Sein 21-jähriger Kamerad X., die drei beteiligten Familienmitglieder sowie der Freund der Familie mussten gestern zur ersten Einvernahme durch Strafeinzelrichter Jürg Bähler antreten. Allen wird Raufhandel vorgeworfen, bei X. kommen noch Angriff, Körperverletzung, Beschimpfung und Rassendiskriminierung dazu.

Glatze und Wehrmachtgürtel

Die Schilderungen der Ereignisse gingen erwartungsgemäss auseinander. Er sei auf dem Weg zu seinem Velo gewesen, als er vor einem Restaurant «rein zufällig» auf die Musikerfamilie gestossen sei, sagte X. Er habe sich Beschimpfungen als «Scheiss-Nazi» anhören müssen, obwohl er weder in der Szene verkehre noch «so» denke. Allerdings trug er Glatze und einen Wehrmachtgürtel und besass zu Hause eine CD der rechtsextremen Band Indiziert, wie sich später herausstellte. Auf die Frage nach dem Grund für die Provokation habe der Familienvater ihm mit der Faust gedroht, so dass er Angst bekommen und ein paar Kollegen geholt habe. Darauf seis zur Schlägerei gekommen. Wer zuerst dreingeschlagen habe, könne er nicht sagen. Seinen Gürtel habe er jedenfalls erst ausgezogen und geschwungen, nachdem der Musiker dasselbe getan hatte. «Ich wollte nicht dreinschlagen, sondern ihm damit Eindruck machen.»

Die Freundin von X. hatte es indes anders gesehen. Zuerst habe ihr Freund und erst dann der Familienvater den Gürtel ausgezogen, zitierte Richter Bähler ihre Aussage aus den Akten. X. habe «gezündet» und dann den Gürtel ausgezogen und «um sich geschlagen», bestätigte Vater B. Da habe er zur Verteidigung ebenfalls den Gürtel ausgezogen – «ich musste ja etwas tun». Als «Scheiss-Nazi» habe er den jungen Mann aber erst später betitelt. «Wenn einer mit einer Wehrmachtschnalle dreinschlägt und dazu viermal Heil Hitler ruft, ist er für mich ein Nazi.» Geschlagen habe er X. aber nicht, sagte B. Er habe einzig versucht, einen seiner Kameraden zu schlagen, der zuvor seinen Sohn niedergeschlagen habe – «aber ich traf ihn nicht».

Ein Streit mit Vorgeschichte

Die Gürtelhiebe von X. hätten vor allem ihm gegolten, sagte der Sohn des Musikers. «Ich musste die Schläge mit meinem Rucksack abwehren.» Dann sei er dem anderen Angreifer nachgerannt, der ihn zuvor ins Gesicht geschlagen habe. «Ich wollte ihn zurückhalten», doch das sei ihm nicht gelungen. Bei seinen Ausführungen verstrickte sich der Sohn mehrmals in Widersprüche. Immerhin wurde klar, dass die Auseinandersetzung bereits Anfang Jahr begonnen hatte. Damals habe er eine Kollegin verteidigt, die von X. belästigt worden sei, sagte er.

Vieles andere blieb gestern jedoch ungeklärt – etwa die Frage, wie die Verletzung im Gesicht der Frau entstanden ist. X. habe sie wohl mit seiner Gürtelschnalle getroffen, vermutete sie. «Dann rief er Heil Hitler, machte den Hitlergruss und betitelte mich als ,linke spanische Schlampe?.» Denkbar wäre auch, dass die Frau von einem Stück der Gürtelschnalle in Form eines eisernen Kreuzes getroffen wurde, die in der Hitze des Gefechts kaputtgegangen war. Erst gestern gab der Freund der Familie bekannt, er habe dieses kurz nach dem Vorfall bei der Musikschule gefunden. «Wir haben es nicht vorher abgegeben, weil wir der Polizei nicht trauten», sagte er.

Der 38-jährige Freund bestritt nicht, auch selber zugeschlagen zu haben, um dem Sohn des Musikers in seiner Bedrängnis zu helfen. Dabei habe er selber auch ein paar Schläge abbekommen – «doch damit musste ich rechnen, als ich mich ins Gewühl begab».

Ein Urteil wurde gestern nicht gefällt. Die Hauptverhandlung werde wegen der bevorstehenden Strafrechtsrevision voraussichtlich erst im Februar 2007 stattfinden, sagte Richter Bähler.