Streit um Bührles Antisemitismus ist entschieden

Der Bund

Sammlung von Emil Bührle Die Studie über den Waffenfabrikanten und dessen Kunstsammlung, die ab 2021 im Neubau des Zürcher Kunstmuseums zu sehen ist, hat schon im Sommer für Aufsehen gesorgt. Jetzt wurden einzelne Passagen bereinigt.

Annik Hosmann

Gut zwei Jahre hat es gedauert, bis die 200-seitige Studie über den Industriellen Emil Georg Bührle und seine Kunstsammlung veröffentlicht wurde. Historiker der Universität Zürich untersuchten im Auftrag der Stadt und des Kantons Zürich erstmals die Verflechtungen zwischen Bührles Waffengeschäften, dem daraus gewonnenen Geld und der damit erworbenen Kunst.

Anlass für die vertiefte Aufarbeitung von Bührles Vergangenheit ist der Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses. In diesem wird die Bührle-Sammlung im Wert von zwei bis drei Milliarden Franken ab Ende 2021 hängen. Das Problem: Die Sammlung gilt als politisch belastet. Diese Woche wurde nun der Forschungsbericht zu ihrer Entstehung veröffentlicht – zusammen mit zwei externen Gutachten, die wiederum den Bericht untersuchten.

Die Gutachterin Esther Tisa Francini, Historikerin und Leiterin der Provenienzforschung des Museums Rietberg schreibt, dass der Bericht relevante Ergebnisse liefere. Auch der zweite Gutachter, der emeritierte Geschichtsprofessor Jakob Tanner, beschreibt den Bericht als «inhaltlich substanziell und insgesamt gelungen».

Kritik vor Veröffentlichung

Tanner schreibt allerdings auch: «Es war zu erwarten und hat sich längst angekündigt, dass sich der chronische Konflikt um die Sammlung Bührle mit der Eröffnung des Kunsthaus-Annexbaus nochmals zuspitzt. Unter solchen Bedingungen muss ein Forschungsprojekt, das zur Klärung wichtiger und heikler Fragen beitragen soll, institutionell unabhängig durchgeführt werden können. Das war hier nicht der Fall.»

Dass zwei externe Gutachten in Auftrag gegeben wurden, hat auch mit dem Historiker Erich Keller zu tun. Dieser war als Forscher und Autor am Bericht beteiligt, hat sich aber aufgrund eines Konflikts mit dem Studienleiter Matthieu Leimgruber, ebenfalls Historiker, im vergangenen Januar vorzeitig zurückgezogen. Dies, nachdem es zu Differenzen bezüglich Autorenschaft und Abgabeterminen gekommen war.

Im Sommer, also noch vor der Veröffentlichung, berichtete die «Wochenzeitung» (WOZ) über das Forschungsprojekt: Der Steuerungsausschuss, der das Projekt begleitete und in dem auch Vertreter der Bührle-Stiftung sassen, habe «zahlreiche Änderungsvorschläge» angebracht. Der Artikel warf die Frage auf, wie unabhängig die Untersuchung sei.

Es ging unter anderem um eine Stelle, an der Lukas Gloor von der Bührle-Stiftung das Forschungsteam bat, das Wort «Freicorps» wegzulassen. Diese sei ein zutiefst belasteter Begriff» und rücke Emil Bührle in die Nähe der äussersten Rechten. Zudem missfiel Gloor der Ausdruck «antisemitischer Ausfall». Als solchen bezeichneten die Historiker eine Äusserung Bührles in einem Brief an die Satirezeitschrift «Nebelspalter».

Das Forschungsteam um Leimgruber kam den Anmerkungen des Steuerungsausschusses teilweise nach. Erich Keller sagte der WOZ, er wolle nicht an einer Studie mitarbeiten, «die nicht Ergebnis einer freien und offenen Forschung ist». Nach den Vorwürfen, die Anpassungen würden die Vergangenheit Bührles und damit den Bericht beschönigen, gab die Universität Zürich die beiden externen Gutachten in Auftrag.

Politisch belastete Sammlung

Emil Bührle war Waffenfabrikant und hatte ab 1924 einen grossen Teil seines Vermögen mit dem Verkauf von Waffen und der verdeckten Aufrüstung des nationalsozialistischen Deutschland gemacht. Er wurde so zum reichsten Mann in der Schweiz, kaufte ab 1936 über 600 Kunstwerke, für die er rund 39 Millionen Franken aufwendete. Zur Sammlung gehören Gemälde von Monet, van Gogh, Gaugin, Degas und Renoir. Die rund 200 Werke, die ab kommendem Jahr im neuen Kunsthaus zu sehen sein werden, machen das Museum zu einem internationalen Zentrum für impressionistische Kunst aus Frankreich.

Der Forschungsbericht von Leimgruber und seinem Team beleuchtet nun erstmals detailliert und mit neu erschlossenen Quellen die Verflechtung von Waffen, Geld und Kunst. Untersucht werden Bührles Werdegang vom jungen Fabrikdirektor zum Chef der bedeutendsten Schweizer Rüstungsfirma, den damit einhergehenden gesellschaftlichen Aufstieg und die Entstehung seiner Sammlung.

Bis heute ist Emil Bührle umstritten, auch weil ihm Antisemitismus vorgeworfen wird. Davon, schreibt Matthieu Leimgruber im Bericht, «kann man Bührle nicht reinwaschen, auch wenn die bisher erschlossenen Dokumente nur eine belastende Äusserung enthalten». Bührle habe aber die Lage der flüchtenden und verfolgten Juden opportunistisch ausgenutzt, schreibt Leimgruber. Der Unternehmer soll unter anderem von der Zwangsarbeit profitiert haben; ins Konzentrationslager Ravensbrück deportierte Jüdinnen haben Waffen für Bührles Unternehmen gefertigt.

Bührle gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg zu Zürichs Elite. 1953 wurde der Industrielle Vizepräsident der Zürcher Kunstgesellschaft und Hauptmäzen des Kunsthauses. 1954 übernahm er die Kosten für einen Kunsthaus-Erweiterungsbau, der 6 Millionen Franken kostete. Die Eröffnung erlebte Bührle selber nicht mehr, er starb 1956.

Es sei die Aufgabe der öffentlichen Hand, auch an die dunklen Flecken in der Geschichte zu erinnern, sagte die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr (SP) vor den Medien. Die Forschung müsse ins kollektive Gedächtnis der Bevölkerung dringen, sonst nütze sie wenig. Die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch sagte, es sei nicht Sache der Stadt oder des Kantons, wie das Kunsthaus die Vermittlung von Bührles Vergangenheit gestalte – man habe aber «klare Erwartungen» an das Museum und werde genau beobachten, wie das Kunsthaus die Erkenntnisse ans Publikum weitergebe. Die Museumsbesucher sollen spüren, dass Zürich verantwortungsvoll mit der Sammlung Bührle umgehe, sagte Mauch. Sie äusserte sich auch zur Kritik am Steuerungsausschuss. Man lerne aus den kritischen Einschätzungen der Gutachter, «im Rückblick würden wir das wohl nicht mehr so machen».

Die Gutachten von Tanner und Tisa Francini beruhen auf einem Entwurf des Forschungsberichts. Nach den Empfehlungen der beiden Fachpersonen wurden zwei auf Anregung des Steuerungsausschusses geänderte Stellen erneut angepasst und umformuliert – so etwa die Passage über den «antisemitischen Ausfall» Bührles, der nun im abschliessenden Bericht als «antisemitische Spitze» bezeichnet wird.

Erich Keller schreibt dazu auf Anfrage, dass aufgrund der externen Gutachten die Abschwächungen weitgehend rückgängig gemacht wurden. Dies zeige, dass er sich zu Recht gewehrt habe. Sein Pauschalvorwurf, Leimgruber habe «die wissenschaftlich unhaltbaren, politisch teilweise brisanten Kommentare und Sprachregelungen willfährig übernommen», lässt sich laut Gutachter Tanner aber nicht erhärten.