Rechte Gewalt an der Chilbi Ennenda

Südostschweiz

Nach Flaschenwurf Rechtsextremer riefen die Bedrohten nach der Polizei, doch diese rückte nicht aus

Ohrfeigen und ein gezielter Wurf mit einer Glasflasche: An der Chilbi in Ennenda trieben Rechtsextreme ihr Unwesen. Die angegriffenen jungen Leute riefen nach der Polizei. Doch diese greift erst ein, wenn es Verletzte gibt. Aufgrund der eingegangenen Meldung war ihr die Gefährdung zu wenig ernst.

· Von roman Kistler

«Kann man auf die Polizei „Deinen Freund und Helfer“ zählen? Ich erlaube mir, diese Frage mit gutem Grund zu verneinen.» Ein junger Leserbriefschreiber, L., macht seinem Ärger Luft, nachdem er und seine Freunde an der Chilbi in Ennenda von Rechtsextremen tätlich angegriffen wurden, die Polizei aber auf die Alarmierung nicht reagierte. Aus Angst vor Heimzahlungsaktionen möchte er gar anonym bleiben, der «Südostschweiz» ist sein Name bekannt. Laut Roy Kunz, Kommandant der Kantonspolizei Glarus, hätte die Polizei eingegriffen, wenn sie über das ganze Ausmass der Übergriffe informiert worden wäre.

Schläge ins Gesicht

Ereignet hat sich das Ganze in der Nacht auf Sonntag. L. sass mit seinen drei Kolleginnen und einem Kollegen im Alter zwiswchen 18 bis 24 Jahren ein wenig abseits des Chilbi-Rummels am Boden, als bereits zum zweiten Mal jemand neben ihnen an die Hauswand urinierte. «Wir sagten, dass dies sehr unhygienisch sei und es in der Nähe Toiletten gäbe», schreibt L. Da habe der junge Pinkler ihm und seinem Kollegen ins Gesicht geschlagen. «Ich wohne nicht hier, und niemand sagt mir, was ich zu tun habe», habe der dem rechtsextremen Lager zuzuschreibende Typ geschrien.

Dann hätten sich immer mehr Kahlgeschorene mit Kampfstiefeln und Bomberjacken eingefunden und jemanden aus der Gruppe gewaltsam zu Boden gestossen. Die fünf bis sechs Rechtsextremen im Alter von 20 bis 23 Jahren liessen laut L. nicht ab und provozierten mit Sprüchen und nochmaligen Pinkelattacken weiter. Sie hätten offensichtlich Streit gesucht. «Plötzlich krachte es, und Scherben flogen uns um die Ohren», schreibt L. Aus 20 Meter Entfernung habe einer der Skins gezielt eine Glasflasche geschmissen. «Wir können von Glück reden, dass sie uns knapp verfehlte.» Auch die herumfliegenden Glassplitter hätten keine ernsthaften Kratzer hinterlassen.

Nun war genug. Aus Angst vor weiteren Übergriffen floh die Gruppe fluchtartig in die Menge beim Festzelt und alarmierte gleichzeitig die Glarner Kantonspolizei. «Wir rücken nur aus, wenn jemand verletzt worden ist», habe eine Stimme am anderen Ende geantwortet. Unverständnis machte sich breit. Doch überraschend sei die Antwort nicht gewesen, denn vor ein paar Jahren hätte die Gruppe bereits eine ähnliche Erfahrung machen müssen.

Keine ernste Gefährdung

Hannes Murer, Presseverantwortlicher der Kantonspolizei Glarus, bestätigt auf Anfrage, dass eine entsprechende Meldung bei der Einsatzzentrale eingegangen sei. Aus dieser sei klar hervorgegangen, dass niemand durch den Flaschenwurf verletzt worden sei. Während dieser Nacht sei wegen der Chilbi Ennenda nur eine Meldung eingegangen. Und: «An solchen Festivitäten kommt es hin und wieder zu Rempeleien unter verschiedenen Ethnien und Gesinnungen», sagt Murer weiter. Mit uniformierten Beamten werde erst im Fall einer ernsten Gefährdung eingegriffen. «Allerdings», fügt Murer an, «ist in der Meldung nicht darauf hingewiesen worden, dass die Jugendlichen auch mit Ohrfeigen tätlich angegriffen worden sind.» Dazu sagt Kunz, dass ein Polizeieingriff bei klarerer Schilderung des Vorfalles womöglich stattgefunden hätte.

Im Laufe des Abends sind laut anderen Quellen an der Cilbi in Ennenda noch weitere Menschen von den jugendlichen Rechstextremen angepöbelt und belästigt worden. Zwei der Gruppe wurden eindeutig als Glarner identifiziert. Sie sind einschlägig bekannt. Ein anderer habe seinen Herkunftsort mit Horgen bezeichnet. Unterwegs waren sie laut Beobachtungen mit einem Auto mit St. Galler Kontrollschild.

Die Polizei weiss von nichts

Die Polizei jedoch weiss nichts davon. Bei der diskreten Überwachung der Chilbi seien keine Rechtsextremen aufgefallen. Und dazu bemerkt Murer: «Junge Leute, die gerne auffallen, können nicht notwendigerweise extremen Kreisen zugeordnet werden.» Offenbar auch nicht, wenn sie sich mit Bomberjacken, Springerstiefeln und kahlrasiertem Schädel outen.