Neonazi bespuckt Juden und brüllt «Scheissjude» – Weshalb das Gericht ihn dafür härter belangt, aber seine Strafe halbiert

Neue Zürcher Zeitung. Er bespuckte sein Opfer, brüllte «Scheissjude» und «Heil Hitler». Nun ist der Neonazi Kevin G. vom Zürcher Obergericht zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten wegen Rassendiskriminierung verurteilt worden.

Kevin G. wollte an der Attacke gar nicht beteiligt gewesen sein. Am 4. Juli 2015 war ein jüdisch-orthodoxer Mann auf dem Heimweg von der Synagoge in Wiedikon. Beim Manesseplatz stellte sich ihm jedoch eine Gruppe angetrunkener Männer, die in einer nahe gelegenen Bar an einem Polterabend feierten, in den Weg. Sie beschimpften den Mann.

Einer der Beteiligten ging jedoch noch weiter. Er bespuckte den Mann und brüllte antisemitische Hassparolen. Der Rechtsextreme soll den Gläubigen als «Scheissjuden» tituliert und ihn mit «Wir werden euch alle vergasen» und «Wir schicken euch nach Auschwitz» verunglimpft haben. Zudem soll er den Arm zum Hitlergruss gehoben und «Heil Hitler» gegrölt haben. Eine Passantin, die sich schützend vor den Juden stellte, konnte den Angreifer schliesslich gerade noch von einem Faustschlag abhalten. Nach dem Vorfall erstattete das Opfer Anzeige.

Als Haupttäter machte die Zürcher Staatsanwaltschaft aufgrund von Aussagen des Opfers und von weiteren Zeugen schliesslich Kevin G. aus. Der 31-Jährige ist kein unbeschriebenes Blatt. Er zählt zu den bekanntesten Figuren innerhalb der Schweizer Neonaziszene. Als Frontmann der Band Amok erreichte er unschöne Bekanntheit.

Inzwischen will sich der junge Mann jedoch vom harten Kern der rechtsextremen Szene verabschiedet haben. Er mache keine Musik mehr, erklärte er am Dienstag vor Obergericht. Zu seiner Vergangenheit erklärte er: «Ich habe es definitiv auf die Spitze getrieben. Deshalb wurde ich auch verurteilt – und zwar zu Recht.» Er habe sich aber, seit er Vater geworden sei, verändert. «Vater sein ist das Schönste, was es gibt auf der Welt.» Bei einer Verurteilung falle jedoch alles, was er sich erarbeitet habe, in sich zusammen.

«Suche in solchen Situationen das Weite»

Zu den Vorwürfen erklärte G. vor Gericht mehrfach, er sei nicht der Täter gewesen. Im Gegenteil: Er habe die Bar sogar verlassen, um zurück an seinen Wohnort zu fahren, weil er gemerkt habe, dass die Stimmung im Raum langsam gekippt und aggressiv geworden sei. «In solchen Situationen suche ich das Weite, weil ich wegen meiner Vorstrafen nicht beteiligt sein sollte.»

Die Vorinstanz hatte seinen Darlegungen jedoch keinen Glauben geschenkt. Im März 2018 verurteilte ihn das Bezirksgericht Zürich zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten und einer Busse von 1000 Franken. Es gebe keine vernünftigen Zweifel an seiner Schuld, sagte der Richter damals. Der Grund für das harte Strafmass lag in mehreren Vorstrafen des 31-Jährigen. Das Gericht widerrief mit seinem Urteil nämlich auch zwei frühere, bedingt und teilbedingt ausgesprochene Strafen.

Im einen Fall hatte G. bei einer Prügelei in Jona einem Betrunkenen einen doppelten Nasenbeinbruch sowie Quetschungen an Stirn und Brustkorb zugefügt. Dafür war er vom Kreisgericht See-Gaster im Juni 2013 zu einer 30-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, 12 davon musste er absitzen. Im anderen widerrufenen Fall hatte das Gerichtspräsidium rund ein Jahr davor eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 100 Franken ausgesprochen.

Der Verteidiger Jürg Krumm legte gegen das Urteil des Bezirksgerichts Beschwerde ein. Vor Obergericht liess er kein gutes Haar am vorinstanzlichen Verdikt. Der Schuldspruch basiere auf blossen Vermutungen, eine Identifizierung seines Mandanten fehle. «Die Gefahr einer Verwechslung ist deshalb erheblich.» Kevin G. müsse nun den Kopf hinhalten für etwas, was er nicht getan habe. Krumm machte für den Schuldspruch auch den medialen Druck verantwortlich.

Letzte Chance eingeräumt

Ganz anders sah die Situation die Staatsanwaltschaft. Diese forderte einen Schuldspruch. Staatsanwalt Thomas Moder widersprach auch der Darstellung des Verteidigers. Das Opfer habe Kevin G. noch vor Ort klar identifizieren können. Dem Beschuldigten sei das Ausleben seiner braunen Gesinnung offensichtlich wichtiger als alles andere. Die Situation beim Vorfall in Wiedikon stellte Moder als erschreckend dar: «Ein brauner Mob stand um einen einzelnen Mann herum und brüllte Naziparolen.» Dem müsse man mit aller Härte des Strafrechts entgegentreten.

Das Obergericht bestätigte schliesslich die Anklage in weiten Teilen. Es verurteilte Kevin G. wegen Rassendiskriminierung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten. Dem Opfer sprach es eine Genugtuung in der Höhe von 3000 Franken zu. Einen Freispruch gab es im Anklagepunkt der Tätlichkeit. Diese sei bereits im Straftatbestand der Rassendiskriminierung gemäss Art. 261bis Abs. 4 enthalten, argumentierte der Richter. Zudem betrachtete das Gericht den Hitlergruss und die Worte «Heil Hitler» anders als das Bezirksgericht nicht als Werbung für den Nationalsozialismus.

Die ausgesprochene Freiheitsstrafe fällt tiefer aus als bei der Vorinstanz. Dies, weil das Obergericht die beiden Vorstrafen anders als das Bezirksgericht nicht widerrufen, sondern die Probezeit um je zweieinhalb Jahre verlängert hat. Aber auch das Obergericht sieht in Kevin G. den Täter. «Das Opfer hat den Beschuldigten gegenüber der Polizei klar als Spucker identifiziert. An den Aussagen zu zweifeln, dazu besteht kein Anlass», erklärte der Richter.

Die Freiheitsstrafe kann der 31-Jährige wohl in Halbgefangenschaft absitzen. «Damit fallen Sie auch nicht aus dem sozialen Netz heraus», sagte der Richter. «Wir haben Ihnen noch eine letzte Chance eingeräumt. Nehmen Sie sie wahr.»


Urteil SB180224 vom 26. 2. 2019, noch nicht rechtskräftig.