Musste er sterben, weil er kein Nazi mehr sein wollte?

Blick

VON VERENA ZÜRCHER UND PHILIPPE WELTI

Unterseen BE – Marcel von Allmen (19) wurde gefoltert, gefesselt und im Thunersee ertränkt. Vieles deutet darauf hin, dass ihn Kumpel aus der rechtsextremen Szene getötet haben. Weil Marcel sich von ihnen trennen wollte.

«Marcel hatte sich die rechte Szene anders vorgestellt, deshalb wollte er aussteigen. Aber aus dieser Szene gibt es kein Aussteigen!», sagt der 18-jährige Patrik B.*, ein Freund des Ermordeten. In der Gruppe habe Marcel zwar immer geblufft und verkündet, dass er nach Deutschland gehe und Nazi werde. «Wenn wir allein waren, tönte es aber anders. Denn Marcel war kein kompromissloser Ausländerhasser. Sein bester Freund war Spanier», erzählt Patrik. Marcel habe ihm versichert, dass er mit diesen Typen nichts mehr zu tun haben wolle. «Sie verlangten Dinge von ihm, die er nicht machen wollte», weiss Patrik. «Mehr kann ich dazu nicht sagen.» Sicher ist: Die Polizei hat im Zusammenhang mit dem brutalen Tötungsdelikt vier junge Männer im Alter zwischen 17 und 22 Jahren in U-Haft genommen. Alle stammen aus der Region Interlaken. BLICK weiss: Unter ihnen befindet sich M.M.* (22). Der Plattenleger ist kein unbeschriebenes Blatt: Letzten Mai wurde er zu 18 Monaten Gefängnis bedingt verurteilt, weil er während einer Personenkontrolle auf einen Polizisten geschossen hatte. Schon damals fiel dem Gericht auf, dass M. M. sich mit rechtsextremem Gedankengut befasste. Er hatte in seiner Agenda Hitlers Geburtstag und die Reichskristallnacht angestrichen. Und auf seinem Handy leuchtete die Inschrift: Sieg Heil! Für Marcel von Allmens Freund Patrik gibt es klare Hinweise, dass bei der Ermordung Neonazis die Hand im Spiel hatten: «Eine Woche nachdem Marcel verschwunden war, wurde beim Schulhaus, wo sein Velo stand, die Nummer 88 hingesprayt.» Das ist ein Geheimcode für «Heil Hitler». Patrik nimmt an, dass sich in der Region Interlaken über 100 Rechtsgesinnte herumtreiben, die vor Gewalt nicht zurückschrecken. «Die Szene ist gefährlich, und wenn einer zu viel weiss, dann ist er dran.» Das glaubt auch die Freundin Marcel von Allmens: Auch sie hatte ihm geraten auszusteigen. Jetzt macht sie sich schwere Vorwürfe. Sie musste notfallmässig in psychiatrische Behandlung gebracht werden.

*Namen der Redaktion bekannt

Neonazi-Szene im Bernbiet wächst

VON PHILIPPE WELTI

Thun BE – Im Bernbiet gibt es immer mehr Rechtsextreme.

«Dass in unserer Gegend immer wieder Leute von pöbelnden Neonazis zusammengeschlagen werden, ist leider eine Realität», sagt P. F. von der Antifa Thun. Die Organisation hat sich im Raum Thun-Interlaken der Aufklärung über Faschismus verschrieben. Zudem bekämpft sie die Gewalt in dieser Szene. Wie viele Rechtsextreme sich heute am Thuner- und Brienzersee tummeln, kann P. F. nicht abschätzen. Er stellt fest, dass die Szene in letzter Zeit gewachsen ist. Diesen Trend bestätigt die Kantonspolizei Bern. Ihr sind rund 180 Rechtsextremisten bekannt. Das Bundesamt für Polizei hat national 800 Mitglieder neonazistischer Skinheadgruppen registriert. «Dazu kommen noch mehrere Hundert Mitläufer», weiss Bupo-Chef Urs von Daeniken.

Rechte Aussteiger leben gefährlich

VON PHILIPPE WELTI

ZÜRICH – Neonazis drohen Abtrünnigen offen mit Gewalt.

Für Verräter gibt es ausdrücklich «keine Friedenspflicht». Auf einer Internet-Seite von Schweizer Neonazis steht die Warnung: «Euch gilt unsere ganze Verachtung, vor uns könnt ihr eure niederen Beweggründe nicht verbergen und das Schicksal wird auch euch ereilen.» Für Jürg Frischknecht, Journalist und Kenner der rechten Szene, steht fest: «Die Gewaltbereitschaft gegen Feinde ist gross. Vor allem gegen Ausländer und Linke, aber genauso gegen Abtrünnige.» In Deutschland ist es bei Abrechnungen unter Neonazis bereits zu mehreren Morden gekommen. Frischknecht weiss: «Interne Abrechnungen reichen von Demütigungen bis zu gewaltsamen Züchtigungen. Sie sind auch hierzulande an der Tagesordnung.»