«Mir rotten alles us». Schweizer Neonazi-Gruppe plant Gewalt gegen Ausländer.

SonntagsBlick.

Geheime Chatprotokolle zeigen, wie bewaffnete Rechtsextreme Gewalt gegen Ausländer vorbereiten. Formiert hat sich die Terror-Gruppe über Facebook.

Am Anfang standen ein paar Mausklicks. Und der Hass.

Am 18. März 2019 gründet G.  S.* eine geschlossene
Facebook-Gruppe, deren Name Programm werden soll: White Resistance – weisser Widerstand.

S. tut es zu Hause in Basel, am Bildschirm seines Computers. Dazu inspiriert hat ihn ein Massenmord am anderen Ende der Welt. Knapp 72 Stunden ist es zu jenem Zeitpunkt her, dass ein rechtsextremer Terrorist im neuseeländischen Christchurch 50 Muslime erschoss. Wie der Attentäter glaubt auch S., dass der Islam die westliche Kultur zersetzt, seine Heimat zerstört.

Sehen kann die Facebook-Einträge nur, wer von S. eine persönliche Einladung erhält. Rund zwei Dutzend Personen sind das, aus verschiedensten Ecken der Schweiz. Handwerker, Arbeitslose, Hochschulabsolventen. Was sie eint: ihre fanatische Wut auf alles Fremde.

«Für mich sind die Ziite vom Blabla fertig», schreibt S. Was er meint, konkretisiert sich in den folgenden Wochen.

SonntagsBlick hat mehrere Monate verdeckt recherchiert, sich bis in den innersten Zirkel der Geheimgruppe vorgearbeitet. Was in den Tiefen von Facebook begann, hat sich in atemberaubendem Tempo zu einer gewaltbereiten Neonazi-Zelle aus­gewachsen.

Anführer posiert mit Waffen

Den tonangebenden Kern der Gruppe bilden drei Männer und eine Frau, zwischen Mitte 30 und 46 Jahre alt, aus den Kantonen Bern und Basel-Stadt. Sie ­organisieren sich über einen ­verschlüsselten Chat innerhalb von White Resistance.

Die Konversation, an der rund ein Dutzend Leute teilnehmen, trägt den Übernamen «Die Unbequemen 14». Die Zahl steht für «14 words», das Neonazi-­Bekenntnis, das lautet: «Wir müssen die Existenz unseres ­Volkes und auch die Zukunft ­unserer weissen Kinder sichern.»

Als Anführer agiert G. S., der Gruppengründer aus Basel. Auf Fotos posiert er mit Pistolen und Messern, auf seinem Unterarm prangt ein tätowiertes Doppel-S, das Erkennungszeichen von Hitlers «Schutzstaffel», der SS, hauptverantwortlich für den blutigen Terror im Dritten Reich. Er befehle, die ­anderen hätten zu folgen, tippt S. in den Chat.

Täglich hetzen die Mitglieder gegen Juden, Ausländer und ­Andersdenkende. «Sobald mir formiert sind, wärde mr Schweiz weit terror verbreite. NSU style», kündigt S. an. Die anderen pflichten ihm bei. Die Abkürzung NSU steht für Nationalsozialis­tischer Untergrund, das rechtsextreme Terrortrio um Beate Zschäpe, das von 2000 bis 2007 in Deutschland neun Migranten und eine Polizistin ermordete.

Erst letzte Woche warnte der Verfassungsschutz in Berlin vor einer neuen Art von Rechtsterrorismus. Als Akteure träten zunehmend «wenig komplex organisierte Kleingruppen und Einzelpersonen» in Erscheinung. Das rechtsterroristische Potenzial entwickle sich oft am Rande oder gänzlich ausserhalb der organisierten Szene. Teilweise handle es sich um bislang Unbekannte, vorwiegend Männer um die 30, radikalisiert über soziale Medien.

In dieses Muster fallen auch die Mitglieder der Schweizer Neonazi-Gruppe um G. S. Die wenigsten von ihnen haben Verbindungen zur klassischen Szene, gehören keinen bekannten Organisationen an. S. pflegte zwar vorübergehend lose Kontakte zur rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos), die war ihm aber zu wenig militant.

Kokain und Starkbier

Die Chatprotokolle zeichnen ein Bild von Extremisten, das zwischen Lächerlichkeit und ­Fanatismus schwankt, an einem aber keinen Zweifel lässt: Die Gruppe ist brandgefährlich.

Die Facebook-Chats beginnen meist nach Feierabend. Mit rassistischen Karikaturen und Exzessen verbaler Gewalt stacheln sich die Chatter gegenseitig auf. Einige schnupfen dabei Kokain, trinken das französische Starkbier 8,8. «Das Komma wegsaufen» nennen sie ihr Ritual. So dass aus 8,8 die Zahl 88 wird, zweimal der achte Buchstabe des Alphabets – Neonazi-Code für «Heil Hitler».
«Mir sübrre stadt», schreibt einer. Ein anderer doppelt nach: «ethnischi süüberig.»

Gruppengründer S. fantasiert: «Mir rotten alles us. In 10 Johr luege mr zrugg und sage guet gmacht.»

In ihrem Wahn malt sich die Gruppe aus, wie sie gemeinsam einen Schwarzen umbringt. «Du dörfsch natürlich au nomol dri schutte wenn er nix me mitbekommt», schreibt S. an die Frau in den eigenen Reihen. Bei ihr brauche es nicht viel, wenn es um «dräck Neger» gehe, antwortet sie.

«Mir müend parat si»

Anfang April: Die Pläne werden konkreter. S. fragt in die Runde, wer zu Kampftrainings bereit sei. Fitness, ein bisschen boxen. «Mir müend parat si.» Er erntet Zustimmung.Jetzt will sich der harte Kern verabreden. Das Ziel: die Gewaltpläne vom Internet in die Realität tragen. Am 13. April, einem kühlen Samstagnachmittag, treffen sich mindestens fünf Mitglieder der Chatgruppe in Basel. Bei Wurst und Bier formiert sich die Clique, die eine Terrorzelle sein will.

Am gleichen Tag stören 40 Rechtsextreme in Schwyz eine Antirassismus-Kundgebung. Flaschen fliegen, es kommt zu Schlägereien. A. L., ein Neonazi aus dem Kanton Bern, der am Treffen der Chatgruppe in Basel teilnahm, postet am nächsten Tag auf Facebook ein Video der Auseinandersetzungen in Schwyz und schreibt dazu: «Bluet muäs fliese.»

Was genau am Treffen und in den Tagen danach geschah, wie weit die Gewaltpläne real wurden, ist unklar. SonntagsBlick hat die federführenden Mitglieder der Chatgruppe kontaktiert – ohne Erfolg.

Klar ist: Nach dem Treffen wurden die Chats auf Facebook seltener. Sie verlagerten sich ­zunehmend auf den verschlüsselten Messenger-Dienst Telegram.

Mehrere sind vorbestraft

Denn die Gruppe weiss: Was sie tut, ist strafbar. Man müsse aufpassen, sonst würden alle im Gefängnis landen, gibt ein Mitglied zu bedenken. Kommt hinzu: Mehrere der Chatter sind laut eigenen Angaben vorbestraft.

Auf Facebook zurückhaltender wurde die Gruppe auch, weil Anführer S. vermutet, dass die Polizei ihn überwacht.

Ob das so ist, lässt sich nicht sagen. Tatsache ist: Die Schweizer Sicherheitsbehörden halten sich mit Repressionsmassnahmen gegen gewaltbereite Neonazis zurück. Das hat damit zu tun, dass ihr Fokus auf 
Islamisten gerichtet ist. Aber auch mit dem Gesetz. Dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) ist es verboten, elektronische Überwachungsmassnahmen gegen militante Rechtsextreme anzuordnen. Die Anhänger des Islamischen Staates (IS) hingegen fallen unter die Kategorie Terrorismus und werden systematisch beobachtet. Wenn nötig, zapft der Geheimdienst deren Telefone oder Computer an.

Dass ein lascher Umgang 
mit Rechtsextremen tödlich 
enden kann, zeigte der Anschlag von Christchurch. Der Täter hetzte jahrelang auf 
Facebook – und schlüpfte 
trotzdem unter dem Radar der Behörden durch.

* Namen der Redaktion bekannt