Nachtwölfe im Emmental: Russenfreunde an der Bande

Der Bund. Der «Fan-Chef» des EHC Burgdorf war kremltreuer Nachtwolf-Rocker. Mit dem Krieg änderte sich bei ihm alles – anders als bei seinem Kollegen.

Im Umfeld des Eishockeyclubs Burgdorf bewegten sich zwei Männer, die mit den russischen Rockern Nachtwölfe in Verbindung stünden: Diese Mitteilung erhielt die Redaktion von einem Leser. Beim einen handle es sich um den «Fan-Chef», beim anderen um einen «Funktionär», der auch eine Junioren-Mannschaft betreue.

Die Nachtwölfe sind bekannt für ihre Loyalität zum russischen Herrscher Wladimir Putin; sie sind patriotisch, orthodox, antiwestlich und schwulenfeindlich. Es gibt Bilder, die Putin mit ihnen auf einer Ausfahrt zeigen. Und sie sind seit Jahren in den Ukraine-Konflikt verwickelt. Ihre Position ist klar: «Wir stehen zu Russland! Wir stehen zum Donbass. Ohne Wenn und ohne Aber»: Das steht beispielsweise auf der Facebook-Seite des Schweiz-Ablegers der Motorradgang. Und auf dieser Seite wird den russischen «Brüdern», die sich in der Ukraine gegen «faschistische Kannibalen» stellten, Respekt gezollt und gratuliert.

Der Leser schreibt, die Aktivitäten der beiden Männer aus dem EHC-Burgdorf-Umfeld seien vermutlich «vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt». Fraglich sei aber, inwiefern sie sich mit der Tatsache vertragen würden, dass der Eishockeyclub von der Stadt Burgdorf finanziell unterstützt werde – und damit von einer Gemeinde, die doch einige Anstrengungen unternommen habe, Flüchtlingen aus der Ukraine zu helfen.

Mit dem «Fan-Chef» kam im Laufe der Recherche ein Telefongespräch zustande. Danach riss der Kontakt wieder ab. Der «Funktionär» lehnte eine Kontaktaufnahme von Anfang an ab: Er wolle keine Auskunft geben. Die Namen der Männer sind der Redaktion bekannt. Es sind Schweizer, der eine 49, der andere 51 Jahre alt; beide sind in der Region aufgewachsen.

Club geht auf Distanz

Beim EHC-Burgdorf kennt man die Männer. Clubsprecherin und Vorstandsmitglied Maya Burri sagt jedoch, zu ihnen bestehe kein direkter Kontakt mehr.

Zum «Fan-Chef» sagt sie: Der EHC Burgdorf habe keinen offiziellen Fanverein. Es gebe auch keinen unabhängigen Fanclub. Den Mann kenne sie vom Sehen her, weil er regelmässig an den Spielen dabei sei.

Zum «Funktionär» sagt sie: Dieser Mann sei bis letztes Jahr für den EHC Burgdorf tätig gewesen. Man habe den Vertrag aber aufgelöst. Zu den Gründen sagt sie nichts. Betreuer von Junioren sei er nie gewesen.

Maya Burri sagt, beim EHC Burgdorf würden kriegsverherrlichende Ansichten selbstverständlich entschieden abgelehnt. Von diesbezüglichen Aktivitäten der beiden Männer habe man im Club nichts gewusst. Man distanziere sich in aller Form von allen ihren derartigen Aktivitäten, die auf irgendeine Weise mit dem Hockeyklub in Verbindung gebracht werden könnten.

Mit «EHC Burgdorf»-Leibchen in Moskau

Völlig trennscharf waren die privaten und die EHC-bezogenen Aktivitäten der beiden Männer zumindest in einem Fall nicht. Auf einer Facebook-Seite findet sich – oder fand sich – ein Bild, das die beiden Männer zeigt, wie sie allem Anschein nach an einem Anlass in Russland ein Mannschaftsleibchen des EHC Burgdorf präsentieren. Der Kontext der Veranstaltung bleibt im Dunkeln. Auf der Wand hinter den beiden steht: Moskauer Jahreszeiten.

Bezeichnend aber ist dies: An der Jacke des «Fan-Chefs», der auf dem Bild rechts steht, prangt das St.-Georgs-Band. Dabei handelt sich um eine Schleife in orange-schwarzer Farbe. Das St.-Georgs-Band ist ein altes Abzeichen, seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 ist es aber zum Erkennungszeichen jener geworden, die die aggressive Politik Putins unterstützen.

Das Abzeichen taucht in der Berichterstattung über den russischen Angriffskrieg immer wieder auf. Der Buchstabe Z, der für die Russen zum Symbol des Krieges wurde, ist manchmal in diesen Farben dargestellt. Und die Nachtwölfe sind schon mit orange-schwarzen Fahnen auf dem Roten Platz vorgefahren.

Abgesehen vom Bild mit dem Clubleibchen gibt es keinen weiteren erkennbaren Zusammenhang zwischen den Aktivitäten der beiden Männer und dem EHC Burgdorf.

Freundschaft am Ende

Am Telefon stellt der «Fan-Chef» als Erstes klar, diese Bezeichnung stimme so nicht ganz, weil es keinen richtigen Fanclub gebe. Es sei vielmehr eine lose Verbindung einer Handvoll Leute, die ab und zu gemeinsam Spiele besuchten. Der EHC Burgdorf ist ein Traditionsverein, der 1959 gegründet wurde und in der obersten Amateurliga spielt.

Mit dem anderen Mann sei er längere Zeit befreundet gewesen. Ihre Wege hätten sich aber getrennt. Warum es zum Zerwürfnis mit dem «Ex-Funktionär» kam, will der «Fan-Chef» nicht ausführen. Er will auch zu den Nachtwölfen keine Angaben machen. Das verbiete ihm ein Ehrenkodex. Er sei lediglich bereit, über sein Verhältnis zu Russland zu sprechen; sein Name dürfe aber nicht veröffentlicht werden.

«Ich habe alle Russlandkleber von meinem Motorrad entfernt – ebenso die Sticker auf der Jacke.»Am Tag nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zog der «Fan-Chef» einen Schlussstrich

An diesem Punkt gibt es eine überraschende Wendung: Der «Fan-Chef» sagt, er sei kein Nachtwolf mehr. Als Putin die Ukraine angegriffen habe, sei dieser Entscheid gefallen. Am Tag darauf habe er seinen Austritt gegeben. «Ich habe alle Russlandkleber von meinem Motorrad entfernt – ebenso die Sticker auf der Jacke.»

Der «Fan-Chef» sagt, er sei gut ein Jahr lang Mitglied der Nachtwölfe gewesen. Sein früherer Kollege dagegen habe nie dazugehört.

«Freunde» der russischen Botschaft

Wie die Nachtwölfe organisiert sind, ist etwas unklar. Gemäss einem Artikel, der vor sieben Jahren in den Tamedia-Zeitungen erschien, gibt es mehrere Ebenen. Auf Ebene eins ist der eigentliche Club, der ähnlich wie etwa die Hells-Angels-Rocker nach strengen Regeln funktioniert. Auf Ebene zwei liegt die russische Motorradvereinigung und auf Ebene drei gibt es weitere mit den Nachtwölfen verbundene Organisationen wie Sicherheitsfirmen und Kampfsportschulen.

Ob der «Fan-Chef» zum harten Kern der Nachtwölfe gehörte, bleibt unklar, weil er für Rückfragen nicht mehr erreichbar war. Sicher hingegen ist, dass er und der «Ex-Funktionär» wohl über längere Zeit dem Verein Russische Motorradfahrer International Schweiz angehörten. Auf der Facebook-Seite der russischen Botschaft in Bern kommt der «Fan-Chef» mehrmals vor und wird als Mitglied dieses Vereins begrüsst.

Auf einigen Fotos ist zu sehen, wie er da und dort in der Schweiz bei verschiedenen Gelegenheiten russische Fahnen aufspannte. Einmal ist er auch in der russischen Botschaft empfangen worden. Bei einigen Aktionen war der «Ex-Funktionär» dabei.

Beide waren auch schon bei Gedenkzeremonien auf dem Friedhof Hörnli zugegen; nach solchen Anlässen werden die Motorradfahrer von der russischen Botschaft als «unsere Freunde» gewürdigt. Am 9. Mai, am «Tag des Sieges», feiert Russland – wie andere Länder in Osteuropa auch – den Sieg über Nazideutschland. Auf dem Basler Friedhof Hörnli befindet sich ein Gemeinschaftsgrab von sowjetischen Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg gegen das nationalsozialistische Deutschland gekämpft haben. Dieses Jahr ist die Gedenkveranstaltung in Basel umstritten.

Über Aktivitäten von Schweizer Mitgliedern der Nachtwölfe berichtete Ende März die Zeitung «20 Minuten». Die Rocker posierten mit russischen Flaggen – zum Beispiel vor der russischen Botschaft in Bern – und sicherten den Separatistengebieten in der Ukraine ihre Unterstützung zu. Die Nachtwölfe seien in der Schweiz bisher aus polizeilicher Sicht unauffällig geblieben, heisst es im Bericht mit Berufung auf das Bundesamt für Polizei.

«Ich bin nicht Putin-Fan»

Doch warum hat der «Fan-Chef» sich nun von den Nachtwölfen distanziert? Und warum entwickelte er eine solche Nähe zu Putin? «Ich bin nicht Putin-Fan, ich bin Russland-Fan», sagt er am Telefon. Das sei der entscheidende Unterschied – und auch der Grund für seinen Rückzug, «denn Nachtwölfe sind eindeutig Putin-Fans».

Seit früher Jugend hege er Sympathien für Russland. Angefangen habe es damit, dass sein Vater während des Spengler-Cups – eines internationalen Eishockeyturniers in Davos – über die russische Mannschaft geschimpft und von «Scheisskommunisten» gesprochen habe. «Fast reflexartig habe ich mich auf ihre Seite gestellt und ihnen geholfen.»

«Ich neigte immer dazu, Losern, also Verlierern, zu helfen.»Der «Fan-Chef» des EHC Burgdorf erklärt, wie er anfing, Partei für die Russen zu ergreifen 

Wenn in der Schule jemand über die Russen hergezogen sei, habe er Partei für sie ergriffen. «Ich neigte dazu, Losern, also Verlierern, zu helfen.» Nur habe man damals, in den 1980er- und 1990er-Jahren, fast nicht öffentlich sagen dürfen, man sei für Russland. Erst in den Nullerjahren sei es salonfähig geworden, Kleidung mit russischen Abzeichen zu tragen.

Der «Fan-Chef» erzählt, er sei nach Russland gereist, sobald er die Möglichkeit dazu gehabt habe. Er sei dem Land verfallen. «Moskau ist eine so schöne Stadt», sagt er. Dann die Kultur, die Musik, das Ballett – er sei hingerissen gewesen. «Dann kam der 24. Februar 2022 – und auf einen Schlag ist alles kaputt.»

Den Einwand, Putin habe schon vor diesem Datum Krieg geführt und Städte bombardiert, nimmt der «Fan-Chef» zur Kenntnis. Er habe das alles genau verfolgt, die Annexion der Krim, den Krieg in Syrien. Und ja, er sei auf der Seite Russlands gestanden – «das war so, bis am 24. Februar».

Wenig Einsicht beim «Ex-Funktionär»

Dass der «Ex-Funktionär» eine ähnliche Entwicklung durchgemacht hat, scheint eher unwahrscheinlich zu sein. Er hat seine Facebook-Seite mit dem St.-Georgs-Band verziert. Und er verbreitet über sein Konto nach wie vor russische Propagandalügen – was auf wenig Einsicht schliessen lässt.