Lage in Stäfa eskaliert – Gender-Tag abgesagt

Tages-Anzeiger. Die Schule hat Sekundar­schülerinnen und -schüler zu einem Gender-Tag eingeladen. Kurz darauf hagelte es Drohungen. Jetzt hat die Schule den Tag aus Sicherheitsgründen abgesagt. 

«Wir sind sehr schockiert», sagt Patrick Rüedi, Leiter Bildung aus Stäfa, und die Fassungslosigkeit ist ihm anzumerken. Die Schule hat den Gender-Tag für Schülerinnen und Schüler der 2. Sek, der eigentlich am Montag hätte stattfinden sollen, abgesagt. Dessen Durchführung war nicht nur in den sozialen Netzwerken viralgegangen und hatte einen Shitstorm ausgelöst, sondern wurde auch zum Sicherheitsproblem. 

«Den Tag haben wir primär wegen der Sicherheitslage abgesagt», sagt Rüedi. Auf einschlägigen Internetseiten seien Flyer kursiert, dass man am Montag vor der Schule Obstgarten auftauchen und ein Zeichen setzen solle. Zwar wäre sowieso schon geplant gewesen, am Montag Polizeischutz vor Ort zu haben, aber wegen der neuen Bedrohungslage hat die Schule sich nun in Absprache mit der Kantonspolizei gegen eine Durchführung entschieden. 

Anzeigen werden geprüft

«Uns war es vor allem wichtig, die Schülerinnen und Schüler zu schützen», sagt auch Marcel Stähli, Schulleiter der Sekundarschule Obstgarten, der operativ den Lead hatte. Bereits betroffen von wüsten Beschimpfungen waren Mitarbeitende und politisch Verantwortliche wie die zuständige Sozialarbeiterin Olga Demiri und Schulpräsidentin Daniela Bahnmüller (FDP). Gegen sie wurden Drohungen gegen Leib und Leben ausgesprochen. 

«Man bekommt da schon Angst», beschreibt Stähli, was unzählige aggressive Mails und Telefonanrufe bei den Betroffenen ausgelöst haben. «Vor diesem Hintergrund bringt die Absage nun eine gewisse Erleichterung.» Ob Anzeige gegen einzelne besonders aggressive Akteure erstattet wird, prüft die Schule derzeit mit der Polizei. 

Schweizweite Debatte

Ausgelöst wurde der Shitstorm am Dienstag durch Postings in sozialen Medien, in denen sich User über den Anlass aufregten und diesen unter anderem als «Sauerei» bezeichneten.

Dann zogen Politiker wie der Küsnachter SVP-Nationalrat Roger Köppel nach. «Das ist eine echte Ideologisierung und Versexisierung des Schulunterrichts», kritisiert er in einem Video von «Weltwoche Daily». Man versuche, den Leuten im Namen einer Scheintoleranz das familiäre Modell auszureden. Sein Aargauer SVP-Kollege Andreas Glarner doppelte auf Twitter nach: «Wer greift durch und entlässt die Schulleitung?» Nationale Medien wie unter anderem der «Blick» berichteten. 

Mässigende Stimmen wie etwa diejenige vom Erlenbacher Grünen-Kantonsrat und Fraktionschef Thomas Forrer gingen da fast unter. «Offenbar sollen Jugendliche in der Sek nicht darüber reflektieren, warum Mädchen immer noch auffallen, wenn sie den Ton angeben und sich durchsetzen (= Gender)», lautete einer seiner Sätze auf Facebook. 

Prävention gegen sexuellen Missbrauch

Doch was hätten die Jugendlichen am Gender-Tag, den es bereits seit zehn Jahren gibt, überhaupt gemacht? Thema wären gesellschaftliche Rollenbilder und Fragen der Gleichstellung gewesen. Dabei gehe es auch um Wertschätzung, etwa dass man Begriffe wie «Schwuchtel» und «Schlampe» nicht verwende, sagt Olga Demiri, die als Sozialarbeiterin für den Tag zuständig ist.

Zudem werden Fragen zu Beziehungen, Liebe und Sexualität – also Themen, die Teenager naturgemäss stark beschäftigen – jeweils diskutiert. Es gebe dabei immer Platz für unterschiedliche Meinungen. «Die Schule will den Jugendlichen keine Meinung aufdrücken.»

Bis zu diesem Jahr habe es nie Reklamationen zum Gender-Tag gegeben, sagt Demiri. Die Jugendlichen hätten den Anlass zudem immer lässig gefunden. Nicht zuletzt solle der Tag die Jugendlichen stärken und so zum Schutz vor sexuellem Missbrauch beitragen.

«Traurige Cancel-Culture»

Abschaffen will die Schule Stäfa den Gender-Tag auch nach dem Shitstorm beziehungsweise den Bedrohungen nicht. Rüedi betont denn auch, dass die Inhalte durch den Lehrplan 21 vorgegeben seien. «Wir werden ihn aber sicher nicht mehr Gender-Tag nennen.» Dies und die in einem Infobrief an die Eltern verwendeten Sternchen sowie das Transgender-Logo hätten bedauerlicherweise für Missverständnisse gesorgt.

Im Netz hat angesichts der Absage der Wind nun teilweise gedreht. «Eine Schande», schreibt eine der Userinnen in der Stäfner Facebook-Gruppe. «Ganz traurig. Cancel-Culture live», kommentiert der Stäfner SP-Kantonsrat Raphael Mörgeli und gibt damit ebenjenen Vorwurf zurück, den sonst meistens gerade die Kreise erheben, die nun zur Eskalation beigetragen haben.