Umfrage zur Sprache«Zigeuner», «Mohrenkopf» und «Asylanten» – so redet die Schweiz

Tages-Anzeiger. Eine repräsentative Umfrage zeigt erstmals im Detail, wie wenig sprachsensibel das Schweizervolk ist. Abgelehnt wird auch das Gendern. Allerdings zeichnet sich ein Wandel ab. 

Der Fall ist eindeutig, das Wort «Zigeuner» gilt als «diskriminierend». So steht es in der Onlineausgabe des Duden, der deutschen Sprachbibel. Die heute korrekte Bezeichnung für die gesamte Volksgruppe lautet Sinti und Roma.

Das hindert die Schweizerinnen und Schweizer allerdings nicht daran, das Wort noch immer regelmässig in den Mund zu nehmen oder zu schreiben. In einer repräsentativen Umfrage von Tamedia und «20 Minuten» im März gab etwas mehr als ein Drittel an, den Begriff oft zu nutzen, er sei unproblematisch. 21 Prozent sagten, sie würden ihn manchmal brauchen, aber nur in bestimmten Kreisen. Das ist insgesamt eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer, die den Begriff «Zigeuner» mehr oder weniger regelmässig verwendet. Die Frage war, ob die entsprechenden Wörter aktiv genutzt würden.

Sogar noch höher sind die Werte bei den Begriffen «Mohrenkopf» und «Asylanten» – obwohl auch diese im Duden mit dem Hinweis «diskriminierend» respektive «abwertend» versehen sind. Und selbst vermeintlich längst verschwundene oder veraltete Wörter wie «Fräulein» und «Jugo» taxiert rund ein Viertel respektive ein Fünftel als unproblematisch – dementsprechend geben sie an, dass sie diese Wörter auch nutzen würden.

Die Umfrage zeigt auch: Männer geben häufiger an, dass sie die diskriminierenden Begriffe verwenden, als Frauen und jüngere Generationen. Auf dem Land stossen die problematischen Wörter zudem auf eine grössere Akzeptanz.

30’754 Personen aus der ganzen Schweiz haben am 28. und am 29. März 2023 an der Umfrage zu Sprache, Geschlecht und zur Diskussionskultur in der Schweiz von Tamedia und «20 Minuten» teilgenommen. Die Umfrage wurde in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut LeeWas durchgeführt. LeeWas modelliert die Umfragedaten nach demografischen, geografischen und politischen Variablen. Der Fehlerbereich liegt bei 1,0 Prozentpunkten. Bei Auswertungen von Untergruppen kann dieser grösser sein. 

Deutlich sind zudem auch die Unterschiede bei der Nutzung der Wörter, wenn nach Parteisympathie der Befragten unterschieden wird. Wenig überraschend geben 94 Prozent der SVP-Sympathisanten an, dass sie den Begriff «Asylanten» oft oder manchmal nutzen würden. Selbst bei den SP-Anhängerinnen und -Anhängern gibt es in dieser Kategorie eine – wenn auch knappe – Mehrheit. 

Martin Luginbühl ist Professor für germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Basel. Für ihn sind diese Resultate «sehr überraschend», wie er am Telefon sagt. Er sei schlicht erstaunt, wie hoch der eigene Gebrauch von solch «hochbrisanten» Wörtern in der Schweiz noch immer eingeschätzt werde.

Nüchtern betrachtet lasse dies nur den Schluss zu, dass offenbar die «Bestrebungen zur Steigerung der Sprachbewusstheit diverser Akteursgruppen bis heute wenig fruchtbar sind». Luginbühl denkt an den Begriff «Krankenschwester», der seit zwanzig Jahren offiziell keine Berufsbezeichnung mehr ist – trotzdem aber noch sehr geläufig ist. Der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass es bei der korrekten Berufsbezeichnung auch um den «Respekt gegenüber den Fachpersonen» gehe. 

Sprachwissenschaftler Luginbühl sieht vor allem die Schulen in der Pflicht, ein Bewusstsein zu schaffen für den Sprachgebrauch – und damit für heikle oder gar diskriminierende Begriffe wie eben «Zigeuner» oder «Mohrenkopf». Ob ein bestimmtes Wort genutzt werde, sei dann natürlich jedem selbst überlassen. Ähnlich sieht es der deutsche Sprachexperte und Journalist Matthias Heine. In seinem neuen Buch «Kaputte Wörter?» listet er 78 umstrittene Begriffe auf – es ist keine Verbotsliste. Sondern das Buch soll laut Heine «darüber aufklären, welche Wörter Kommunikationsstörungen erzeugen können, wenn man sie arglos benutzt».

Nur ein Viertel achtet beim Schreiben und Sprechen aufs Gendern

Wie stark Schweizerinnen und Schweizer im traditionellen Sprachgebrauch verhaftet sind, zeigt sich nicht nur bei heiklen Begriffen, sondern auch bei der Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache – dem sogenannten Gendern. Zunächst einmal geben in der Umfrage nur 18 Prozent an, dass die «Gleichstellung der Geschlechter» ein drängendes Problem sei. An der Spitze stehen die Gesundheitskosten (58 Prozent), die Altersvorsorge (47 Prozent) sowie der Klimawandel (45 Prozent). 

Und auf die Frage «Achten Sie beim Formulieren von Texten und beim Sprechen auf eine gendergerechte Sprache?» antworteten drei Viertel der Befragten mit Nein oder «Eher nein».

Die Resultate zeigen auch: In privaten Konversationen ist die Bereitschaft zum Gendern tendenziell tiefer als im Arbeitsumfeld. Und wie bei den heiklen Begriffen zeigt sich auch hier: Männer – vor allem ältere – sind am wenigsten bereit, eine gendergerechte Sprache zu nutzen.

Zudem wird auch deutlich, dass sich das Gendern im mündlichen Ausdruck bislang kaum durchgesetzt hat.

Für Germanistikprofessor Luginbühl deuten die Resultate alles in allem darauf hin, dass es in der Schweiz derzeit «noch keine sehr breite Unterstützung für das diskriminierungsarme Sprechen gibt». Allerdings frage die Umfrage bloss die Spracheinstellung ab und nicht die konkrete Verwendung oder Akzeptanz im Alltag. 

Das bedeutet laut Luginbühl: Wenn man den Befragten stattdessen konkrete Texte – zum Beispiel vom Lieferdienst Galaxus oder vom Streaminganbieter Spotify – vorgelegt hätte, dann wären die gendergerechten Formulierungen darin vielleicht gar nicht als auffällig erkannt und genannt worden. Das sei etwa das Gleiche, wie «wenn man in Bern fragt, wie schön man den Zürcher Dialekt findet. Dann erhält man eine andere Antwort, als wenn man einfach eine Tondatei vorspielt und fragt, wie gut die abgespielte Dialektprobe gefällt.» 

Generisches Maskulinum nach wie vor an der Spitze

Tatsächlich ist die Zustimmung zum Gendern auch in der vom Forschungsinstitut LeeWas durchgeführten Umfrage höher, wenn nach konkreten Vorlieben beim Schreiben und Sprechen gefragt wird. So gaben 23 Prozent an, dass sie das generische Maskulinum bevorzugen würden – also die rein männliche Form, bei der das weibliche Geschlecht mitgemeint ist. Ebenfalls 23 Prozent nannten die Nennung beider Geschlechter als Mittel ihrer Wahl. Deutlich weniger beliebt sind hingegen der Genderstern oder der Genderdoppelpunkt, wie das auch frühere Umfragen gezeigt haben

Sprachwissenschaftler Luginbühl sieht dennoch Anzeichen für einen – wenn auch langsamen – Sprachwandel in der Schweiz. So sind die 18- bis 34-Jährigen dem Genderstern oder Genderdoppelpunkt gegenüber aufgeschlossener, als dies in den übrigen Altersgruppen der Fall ist. «Diese Unterschiede können ein Hinweis darauf sein, dass sich der Wandel in der Spracheinstellung bei jüngeren Menschen schon etwas mehr durchgesetzt hat als bei älteren», sagt der Germanistikprofessor. Klar sei aber auch, dass dieser Wandel sicher nicht so schnell und flächendeckend geschehe, wie dies die Gegnerschaft in der hitzigen Debatte rund um das Gendern vermuten lasse. 

Allerdings sieht Luginbühl daneben auch Anzeichen einer zunehmenden Polarisierung – gerade bei den jüngeren Generationen. So ist bei den Frauen in der jüngsten Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen die Präferenz zum Genderstern zwar mit 13 Prozent am höchsten. In der gleichen Altersgruppe bei den Männern hingegen sieht es anders aus: Da nennen nur 5 Prozent den Genderstern als präferiertes Mittel. Stattdessen bevorzugen 32 Prozent das generische Maskulinum – das ist der Spitzenwert. Und das ist mehr als in allen anderen Altersgruppen.