Rechte Hetze: Kulturkampf für die bestehende Ordnung

Wochenzeitung. In Stäfa wurde der lehrplankonforme «Gendertag» abgesagt. Erneut steht auch eine Drag-Lesung unter Druck. Das zeigt: Die Rechten schrecken vor wenig zurück – und kommen damit viel zu weit.

Am Ende der ganzen Geschichte steht ein Erfolg für die SVP: Die Schule Stäfa knickt ein und gibt bekannt, man werde den von ihr seit zehn Jahren organisierten «Gendertag» absagen und die Aufklärungsveranstaltung künftig anders nennen. Was war passiert?

Mit ihrem «Gendertag», der bis anhin stets ohne irgendein Aufsehen stattfand, setzt die Schule der Zürichseegemeinde den Lehrplan 21 um. Dieser fordert von den Oberstufenschulen nicht nur klassischen Aufklärungsunterricht, sondern auch die Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen, Stereotypen und verschiedenen Lebensformen.

Das Thema Gender habe jeweils etwa ein Drittel des Tages in Anspruch genommen, sagt Patrick Rüedi, Leiter Bildung der Schule Stäfa, «Sexualität, Beziehung und Liebe die restliche Zeit». Neu sei seit zwei Jahren, dass auf der Einladung die teilnehmenden Jungen* und Mädchen* mit einem Genderstern versehen waren – «und das Logo der Transgender-Community war auf dem Brief abgedruckt».

Vieles deutet darauf hin, dass die lokale SVP die Einladung an die Parteischarfmacher Roger Köppel und Andreas Glarner weitergegeben hat. Köppel hetzte dann vergangene Woche auf seinem Videoblog «Weltwoche Daily» gegen «Genderverrückte» und schwadronierte von «indoktrinierten Kindern», die als Waffen gegen die traditionelle Familie eingesetzt würden. Glarner veröffentlichte auf Twitter den Einladungsbrief der Schule Stäfa mitsamt der Telefonnummer der Schulsozialarbeiterin – und fragte: «Wer greift durch und entlässt die Schulleitung?»

Trans Menschen als Zielscheibe

Die SVP-Stimmungsmache gegen alles, was die vielfältige, aufgeklärte Gesellschaft repräsentiert – und insbesondere gegen trans Menschen –, reiht sich ein in einen neuen Kulturkampf der globalen Rechten. Roger Köppel hielt erst Anfang Mai an der CPAC-Konferenz in Budapest – dem grössten internationalen Treffen der reaktionären Rechten – eine Rede, in der er «den Woke-Virus» als «Krankheit der Eliten» bezeichnete. Vorbild für die SVP, die sich den Kampf gegen den «Gender-Terror und Woke-Wahnsinn» Anfang Jahr ins Parteiprogramm geschrieben hat, sind neben autokratischen Politikern wie Viktor Orbán oder Wladimir Putin insbesondere die Republikaner:innen in den USA.

Dort greifen die radikalisierten Konservativen in zahlreichen US-Bundesstaaten nicht nur erfolgreich Frauenrechte wie jenes auf Abtreibung an – sie machen auch die gesamte queere Community und insbesondere trans Menschen gezielt zur Zielscheibe. Dieses Jahr sorgten die Republikaner:innen für eine wahre Flut an Anti-Trans-Gesetzen – in 47 Bundesstaaten wurden bereits an die 500 eingereicht, wie die Website «Trans Legislation Tracker» dokumentiert.

Die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach sagt: «Geschlecht und Sexualität sind in dieser kapitalistischen Gesellschaft ein ordnungsgebendes Prinzip.» Wer hingegen Geschlechterstereotype infrage stelle, hinterfrage damit automatisch auch die herrschende Ordnung. Rechte Männer fühlten sich deshalb von der Genderforschung bedroht, «sie fürchten sowohl auf der diskursiven Ebene einen Machtverlust als auch ganz real».

Schutzbach sieht jedoch noch einen anderen Grund für die rechte Fixierung auf das Genderthema. Dieses habe eine Scharnierfunktion, sagt sie. «Man erreicht damit Wähler:innen bis weit in die Mitte.» Denn die Erosion der klaren Geschlechterzweiteilung löse bei vielen Menschen ein Unbehagen aus. «Und weil wir alle in irgendeiner Form persönliche Erfahrungen mit dem Thema Geschlecht haben, fühlen sich viele befähigt, sich schnelle Meinungen zu bilden. Das Thema emotionalisiert stark.»

Ein Scharnier ist das Thema aber auch in die andere Richtung: Im Oktober letzten Jahres stürmte die rechtsextreme Gruppierung Junge Tat eine Drag-Lesung für Kinder im Zürcher Tanzhaus. Veranstalterin Brandy Butler erinnert sich gut an die Szenen, die traumatisch gewesen seien. «Der Rauch ihrer Fackeln verteilte sich über die Lüftung im ganzen Saal, das war beängstigend.»

Butler ist in den USA aufgewachsen und sagt, es laufe bei den Angriffen auf Drag-Lesungen immer gleich ab. «Erst wird von Konservativen behauptet, sie hätten nichts gegen queere Menschen, solche Veranstaltungen seien einfach nicht kindergerecht. Dann treten die Rechtsextremen auf, die den Diskurs radikalisieren und die Vorleser:innen etwa der Pädophilie bezichtigen. Und am Ende wird in einschlägigen Foren gegen die ‹kranke› queere Community gehetzt.»

Die Maschine läuft weiter

Butler will mit ihrer «Drag Story Time» auf spielerische Weise das Selbstbewusstsein von Kindern stärken, ihre Individualität feiern und Toleranz fördern.* Mit dem Angriff auf die Veranstaltung im Tanzhaus hätten die Vorlesestunden ihre Unschuld verloren, sagt sie. In den USA werden ähnliche Veranstaltungen immer öfter mit Schusswaffen bedroht und verteidigt. Auch Butler hat seit dem Auftritt der Jungen Tat ein Schutzkonzept: Die Polizei ist jeweils zu Beginn präsent, und Butler hat Geld gesammelt, um auf eigene Kosten Sicherheitsleute zu engagieren.

Eine «Drag Story Time»-Vorlesestunde, die diesen Samstag in der Pestalozzi-Bibliothek in Oerlikon stattfinden soll, steht nun besonders unter Druck: Die Veranstaltung landete in mindestens einem Forum rechtsesoterischer Verschwörungstheoretiker:innen – mit der Aufforderung, sich bei den Veranstalter:innen zu beschweren. Er habe etwa zwanzig E-Mails und Briefe erhalten, die meisten mit unterirdischen Drohungen und Schmähungen, sagt der Direktor der Pestalozzi-Bibliothek, Felix Hüppi. Butler und die Bibliothek wollen sich von den Angriffen nicht einschüchtern lassen und halten bislang an der Veranstaltung fest. «Ich hoffe, dass wir zeigen können, dass wir mehr sind», sagt Butler.

In Stäfa hingegen kamen die Verantwortlichen zum Schluss, dass die Sicherheit der Kinder und Angestellten nicht gewährleistet werden könne. Dies nach Telefonterror und sehr expliziten Drohungen gegen die Schulsozialarbeiterin, wie Rüedi sagt. «Es hiess etwa: ‹Wir kommen und machen dich fertig.›»

Franziska Schutzbach sagt, es sei an der kritischen Öffentlichkeit, darüber aufzuklären, «dass das Genderthema nicht extrem ist, sondern dass es um den in der Verfassung verankerten Schutz von Grundrechten und vor Diskriminierung geht». Das aber geschah nach dem Fall Stäfa nur halbherzig: Die Medien verurteilten zwar die SVP-Hetze, viele Kommentare gaben aber der Schule eine Mitschuld: «Gender» sei nun einmal ein Reizwort und die Titelwahl der Veranstaltung deshalb «unsensibel». Auch die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) bezeichnete die Hetze zwar als «inakzeptabel», sagte jedoch auch, der Begriff «Gender» sei leider aufgeladen.

Der «Tages-Anzeiger» verstieg sich gar zu einer Gleichsetzung von rechten Aufwieglern und Queeraktivist:innen. Das beidseitige laute Geschrei mache müde. «Es nervt. Und es widert einen je länger, je mehr an.»

Die Kulturkampfmaschinerie läuft derweil munter weiter: Die Junge Tat freute sich nach der Absage des Gendertages in Stäfa auf Twitter. SVP-Rechtsaussen Andreas Glarner wiederum postete am Dienstag die in rechtsextremen Kreisen zirkulierende Einladung zur Pestalozzi-Lesung – mit den Worten: «Die Unterwanderung nimmt ihren Lauf.»

* Änderung vom 17. Mai 2023: In der gedruckten Version sowie in der alten Onlineversion wurde die Veranstaltung nicht so beschrieben, wie es den Absichten von Brandy Butler entspricht.


Nachtrag vom 25. Mai 2023 : Ein Schutzwall und ein Fest

Es war das schönste und aussagekräftigste Bild an diesem Nachmittag vor der Pestalozzi-Bibliothek in Zürich Oerlikon: Mit Glitzerhemd und Boombox, aus der kitschige Popmusik dröhnte, tanzte ein junger Queeraktivist hinter Daniel Stricker her, verfolgte ihn über den ganzen Platz. Gelassen, selbstbewusst, fröhlich.

Stricker wurde während der Pandemie mit seinem «Stricker TV» zum Star rechter Verschwörungserzähler:innen. In Oerlikon marschierte er mit gelber «Presse»-Weste und zwei robocobmässig uniformierten «Bodyguards» auf. Sie trugen Schlagstöcke auf dem Rücken – wirkten aber neben den tanzenden jungen Menschen nicht angsteinflössend, sondern einfach: lächerlich.

Die «Drag Story Time», die während dieser Szene im Inneren der Bibliothek stattfand, war im Vorfeld zum Ziel rechter Hetze geworden. Aus der Ecke der Verschwörungsraunerinnen und Coronaleugner wurde schliesslich eine «Mahnwache» gegen den Anlass angekündigt, an dem Drag Queens und Kings aus Kinderbüchern vorlesen. Doch nach Oerlikon gekommen sind am Samstag nur ein paar versprengte Trychler, Jesusfreaks und Massnahmengegner:innen. Dafür Hunderte Aktivist:innen, die um und vor der Bibliothek für einen Schutzwall und für ein Fest sorgten, mit kreidebemalten Böden, Konfetti, Seifenblasen.

Die Botschaft war klar: Hier sind wir mehr. Zumindest Zürich lässt den Backlash nicht zu. Überdeutlich wurde in Oerlikon auch noch einmal, was die Kämpfer:innen gegen «Genderideologie» und «Woke-Wahnsinn» trotz aller argumentativen Verrenkungen schlicht und einfach angreifen: eine Gesellschaft, in der es Platz für alle hat. Stricker übrigens zog nach kurzer Zeit wieder von dannen.