Wird in Speicher ein Ableger des Fantasiestaats Königreich Deutschland aufgebaut?

Appenzeller Zeitung. Ein Sympathisant der Reichsbürgergruppe Königreich Deutschland hat den Appenzellerhof in Speicher gekauft und hält dort Workshops ab. Der Ausserrhoder Immobilien- und Gastrounternehmer stellte Vertretern der Reichsbürgergruppe im November eine seiner Liegenschaften für ein zweitägiges «Systemausstiegsseminar» zur Verfügung.

Reichsbürger scheinen sich in der Ostschweiz wohlzufühlen. Bereits im Dezember schrieb diese Zeitung über einen bekannten Ausserrhoder Gastro- und Immobilienunternehmer, welcher der Reichsbürgergruppe Königreich Deutschland (KRD) eine seiner Liegenschaften für ein zweitägiges «Systemausstiegsseminar» zur Verfügung stellte. Er selbst war auch anwesend und danach völlig aus dem Häuschen vor Begeisterung, wie Chatprotokolle aus dem Kurznachrichtendienst Telegram zeigen.

Nun haben Recherchen ergeben, dass der 47-Jährige im Frühjahr 2022 das Hotel Appenzellerhof in Speicher erworben hat. Dort werden seit kurzem Workshops abgehalten. Der erste davon fand letzte Woche statt und behandelte das Thema «Betriebsgründung im alten und neuen System: Potenzialanalyse und Anforderungen».

Worum genau es in dem Workshop ging, der letzte Woche stattfand, ist unklar. Doch die Aussage des Unternehmers auf Telegram einen Tag nach dem oben erwähnten «Systemausstiegsseminar», dass er vorhabe, «ins Handeln» zu kommen und in der Schweiz «einen neuen Lebensraum» zu gestalten, werfen Fragen auf. Ist mit dem «neuem System» das KRD gemeint?

Das KRD ist ein Fantasiestaat mit eigener Währung, Krankenkasse, Autonummern, Hymne und Flagge. Dessen «Hoheitsgebiet» befindet sich auf einem stillgelegten Krankenhausgelände am Stadtrand von Wittenberg in Sachsen-Anhalt.

Auf eine entsprechende Anfrage antworten direkt die Anwälte des Unternehmers: Die Vorstellung, dass ihr Mandant die Gründung eines Ablegers des KRD in der Schweiz planen solle, sei «absurd». Das Seminar habe «in keinem Zusammenhang mit den Ideologien des KRD» gestanden. Bei den erwähnten «Begrifflichkeiten ‹neues System› und ‹neuer Lebensraum›» handle es sich «um Nachhaltigkeitsziele unseres Mandanten».

«Als Ingenieur verfolgt er unter anderem das Konzept der Permakultur.»

Ausgebildeter «Klimagist»

Doch ein Blick in die Chatnachrichten des Ausserrhoder Unternehmers der vergangenen Wochen lassen gewisse Zweifel an diesen Aussagen zu. Am «Systemausstiegsseminar» Ende November war offenbar das KRD-Oberhaupt Peter Fitzek höchstpersönlich anwesend. Der Ausserrhoder Unternehmer, der den Raum zur Verfügung stellte, bedankte sich Tag darauf im Telegramm-Chat «insbesondere bei Peter» und fügte an:

«Ihm zuzuhören, ist einfach fantastisch, und hat mich tief berührt und mein Mindset auf das nächste Level gebracht.»

Eine Woche später reiste der Unternehmer ins KRD, wo er «fantastische vier Ausbildungstage zum Klimagisten» absolvierte. Gemäss der Website des KRD ist Klimagie «ein innovatives Heizsystem, welches sehr effizient heizen, kühlen und Warmwasser aufbereiten kann». Die «revolutionäre Technik» sei exklusiv im KRD erhältlich, spare mindestens 40 Prozent der Betriebskosten ein «und fördert sogar noch Deine Gesundheit!». Gemäss Fitzek handelt es sich bei Klimagie um einen «Staatsbetrieb im KRD».

Am letzten Ausbildungstag habe man den Unternehmer gefragt, «warum wir denn das ganze Projekt nicht im Appenzellerhof umsetzen», wie er auf Telegramm schreibt. Vier Tage später begannen er und eine Gruppe von Freiwilligen mit dem Einbau des Heizsystems im Appenzellerhof, wie Fotos belegen. Die Einladung zum ersten Workshop «zur Betriebsgründung im alten und neuen System» postete der Unternehmer im Telegram-Chat «KRD – Gruppe Schweiz».

Die Parallelen mögen Zufall sein. Auch im «Systemausstiegsseminar» von Wolfhalden war die Rede von Betriebsgründungen in einem «neuen System». So wurde gemäss der Anmelde-Website erklärt, wie man einen steuer- und erklärungsfreien Betrieb im Rahmen des KRD» eröffnen und sich «aus der Abhängigkeit vom alten System» befreien könne.

In der Beschreibung des Seminars war zudem die Rede von einer «destruktiven Machtelite». Deren Ziel sei «die bargeldlose Gesellschaft, totale Kontrolle und Abhängigkeit eines Jeden, die Zerstörung von Freiheit und die Reduzierung der Menschheit.»

Ist das Bargeld erst einmal abgeschafft, werde die Masse dann mit Hilfe künstlicher Intelligenz, 5G, automatisch vom Konto abgebuchten Steuern und mit dem geplanten und in China schon erprobten Sozialpunktesystem gesteuert und versklavt.

Königreich auf Expansionskurs

Der deutsche Verfassungsschutz zählt das KRD zur Reichsbürgerbewegung. Diese ist sehr heterogen, doch im Grundsatz bestreiten deren Anhänger die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland als souveränen Staat und lehnen deren Rechtsordnung ab.

Anhänger des KRD bestreiten, Reichsbürger zu sein, aber in jedem Fall handelt es sich um ein Sammelbecken für Esoteriker, Verschwörungstheoretiker, Rechtsradikale, Coronaleugner und Systemaussteiger aller Art. Und es befindet sich auf Expansionskurs.

Wie der «Spiegel» im Sommer berichtete, hat der selbst ernannte König von Deutschland, Peter Fitzek, mit Spenden seiner Untertanen bereits zwei Schlösser für 1,3 und 2,3 Millionen Euro in Sachsen gekauft und sucht nach weiteren Grundstücken für den Aufbau autarker «Gemeinwohldörfer». Ziel ist die Errichtung einer Art Parallelstaat.

Der sächsische Verfassungsschutz warnt explizit davor, dem KRD Geld zu überweisen. Fitzek ist mehrfach vorbestraft und sass zweieinhalb Jahre im Gefängnis. Unter anderem, weil er zwischen 2009 und 2013 1,3 Millionen Euro Spendengelder veruntreut haben soll.

Kauf von zweitem Hotel gescheitert

Der Ausserrhoder Unternehmer scheint ebenfalls Expansionsambitionen zu hegen. So plante er, auch das Gasthaus Krone in Trogen zu erwerben. Am 24. Dezember schrieb er in einem Chat, er habe «Fredi die Hand gegeben und er arbeitet nun alle Papiere aus, sodass wir das dann wie geplant ab dem 3. 1. 23 übernehmen können».

Gemeint ist der St.Galler Immobilienbesitzer Fredi Brändle. Er sagt jedoch, dass er grosse Skepsis bei dem Geschäft gehabt habe und keineswegs kurz davor gewesen sei, die Krone zu verkaufen. Der Ausserrhoder Unternehmer habe ihm gesagt, dort Kurse und Seminare abhalten und ein Restaurant betreiben zu wollen. Doch habe er kaum über eigene finanzielle Mittel verfügt. Brändle sagt:

«Er wollte die Krone übernehmen, ohne Geld auf den Tisch zu legen.»

Als Brändle über das Recherchekollektiv Betonmalerinnen von den Verbindungen zum KRD erfuhr, brach er die Verhandlungen umgehend ab.

Im Telegramm-Chat des Appenzellerhofs erwähnt der Unternehmer mit keinem Wort, dass der Deal um die Krone in Trogen geplatzt ist. Stattdessen kündet er an, nun jede Woche Workshops abhalten zu wollen und das Programm bald zu erweitern. Ausserdem freue er sich auf das Neujahrsfest, «an welches um die 80 Gäste kommen werden».