Judenhass im Namen Allahs

Zentralschweiz am Sonntag: Extremismus · Junge Schweizer Muslime fallen vermehrt durch antisemitische Hetze auf. Woran liegt das? Und was kann man dagegen tun?

sermin.faki@zentralschweizamsonntag.ch

Europaweit protestieren Menschen gegen die neuerliche Eskalation des Nahost-Konflikts. Bei Protesten auf der Strasse und auf Facebook-Seiten wird dabei vermehrt zu antisemitischen Parolen gegriffen. Auch in der Schweiz. Jüdische Organisationen klagen über ein Ausmass, wie man es schon lange nicht mehr erlebt habe. Der Antisemitismus habe eine neue Dimension angenommen, sagt auch Martine Brunschwig Graf, Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. «Die Breite und Intensität der antisemitischen Attacken hat zugenommen. Dieser hemmungslose Hass ist neu.»

«Erstmalig in dieser Vehemenz»

Neu ist auch, dass vor allem junge Muslime durch judenfeindliche Hasstiraden und Gewaltaufrufe auffallen. So werden Juden auf der Facebook-Seite «Demo für Palästina in der Schweiz» als «letzter Dreck» bezeichnet, den «man vergasen muss». Absender sind nicht immer, aber häufig junge Frauen und Männer türkischer, albanischer, kosovarischer und arabischer Herkunft. Mit der Anrufung Allahs und Zitaten aus dem Koran geben sie sich als gläubige Muslime zu erkennen.

Für den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) eine bislang unbekannte Erscheinung, wie Präsident Herbert Winter sagt: «Das Phänomen des muslimischen Antisemitismus haben wir zu wenig wahrgenommen. Insbesondere in der Deutschschweiz erfahren wir das jetzt erstmalig in dieser Vehemenz.» Auf sozialen Medien wie Facebook kommt noch etwas hinzu, wie Leila Feit, Geschäftsführerin der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, ausführt: Da würde ganz konkret zu Gewalt gegen Juden aufgerufen – «und zwar von Leuten, die mit ihrem Namen und sogar mit Profilbildern dazu stehen».

Extremisten sind erstarkt

Woher kommt dieser Hass auf Juden, und warum manifestiert er sich ausgerechnet jetzt so stark? Nachfrage bei Farhad Afshar, Präsident der Koordination Islamischer Organisationen Schweiz, der sich sehr betroffen zeigt. «Gegen Juden zu hetzen, widerspricht dem Koran und gefährdet den religiösen Frieden in der Schweiz», hält er fest. «Die Nationalverbände verurteilen den Antisemitismus nachdrücklich.» Die Wurzel für den Hass liegt seiner Meinung nach jedoch nicht in der Schweiz. «Wir beobachten seit Jahren das Erstarken einer extremistischen salafistischen Bewegung, unterstützt und finanziert von reaktionären Regimen in Katar, Saudi-Arabien und teils der Türkei», erklärt er. Ihren klarsten Ausdruck finde die Bewegung in der Organisation Daaisch, in Europa besser bekannt als Isis. Deren Terror, so Afshar, richte sich nicht nur gegen Juden, sondern auch gegen Christen und Muslime selbst.

Ausläufer dieser Bewegung gelangen laut Afshar auch nach Europa und damit in die Schweiz. «Ihre Ideologie fällt hier bei Teilen der muslimischen Jugend auf fruchtbaren Boden», sagt er. «Bei jenen, die sich durch die seit Jahren schwelende Islamophobie ausgegrenzt fühlen.» Politische Parteien, so Afshar, hätten Muslime diffamiert, um Wählerstimmen zu maximieren, und einige Jugendliche so in die Arme dieser extremistischen Kräfte getrieben. Als Beispiel nennt er den Islamischen Zentralrat. «Die extrem einfachen Botschaften des Zentralrats finden leider bei vielen Jungen Zustimmung», sagt er. Afshar hält diese Entwicklung für gefährlich, denn damit werde eine Lawine losgetreten, die sich nur schwer kontrollieren lasse. Die richtige Antwort darauf ist für ihn, die Diskussion zu öffnen und zu differenzieren zwischen der Religion und den Extremisten. «Der Islam sollte nicht länger diffamiert, sondern als Teil der Schweizer Gesellschaft akzeptiert werden.»

Junge Muslime werden verführt

«Weder eine eigene Diskriminierungserfahrung noch eine gescheiterte Integration sind Gründe für diesen Antisemitismus», widerspricht Günther Jikeli. Der deutsche Historiker hat sich auf muslimischen Antisemitismus spezialisiert. Wie Afshar sieht er einen Grund in der «gezielten Verführung» junger Muslime durch islamistische Kräfte, die durchaus gesteuert würden. Und äussere sich eine Regierung wie jene der Türkei offen antisemitisch, habe das auch einen Einfluss auf die türkische Diaspora. Doch das sei nur ein Aspekt. «Auf der anderen Seite definieren sich heute mehr Jugendliche als Muslime als noch vor wenigen Jahren.» Unter ihnen sei die Vorstellung, dass Juden und Muslime zwangsläufig Feinde sind, weit verbreitet. «Das gilt es zu durchbrechen.»

Jikeli warnt allerdings vor Verallgemeinerungen nach dem Motto «Alle Moslems sind Antisemiten»: «Wir sollten weder pauschalisieren noch das Phänomen wegdiskutieren.» Er rät dazu, muslimischen Antisemitismus nicht länger als Kritik an Israel zu entschuldigen und zu tolerieren. Auch Leila Feit fordert Massnahmen: Neben der strafrechtlichen Verfolgung sei wichtig, dass Politik und Behörden ihre Verantwortung wahrnehmen und den sozialen Frieden in der Schweiz schützen, meint sie. «Es ist dringend notwendig, dass Regierungsvertreter und andere Meinungsbilder rassistischem, antisemitischem und hetzerischem Denken umgehend eine klare Absage erteilen.»

Soll sich also Bundespräsident Didier Burkhalter zu Wort melden, wie das seine Kollegen in Deutschland und Frankreich bereits getan haben? Der SIG würde das begrüssen. «Viel wichtiger wären jedoch mehr Präventionsprogramme gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Dies wurde in den letzten Jahren vernachlässigt», sagt Präsident Winter. Die Programme sollten schon möglichst früh im Kindergartenalter durchgeführt werden, weil Studien zeigen würden, dass sich rassistische Vorurteile bei Sechsjährigen bereits festgesetzt haben. «Das Harmos-Konkordat und der Lehrplan 21 würden die Chance dazu bieten», findet er.

Kein Kampf Muslime gegen Juden

Auch die Kommission gegen Rassismus beobachtet die Entwicklung besorgt. Präsidentin Brunschwig Graf warnt jedoch davor, ein neues Feindbild zu schaffen: «Es ist keineswegs so, dass wir einen Kampf der Muslime gegen die Juden beobachten. Auch in der Schweizer Gesellschaft gibt es judenfeindliche Stimmungen.» Sie zitiert eine Umfrage aus den 80er-Jahren, in der sich über die Hälfte der Schweizer gegen einen Bundesrat jüdischer Herkunft aussprach. «Das war kurz vor der Wahl von Ruth Dreifuss in den Bundesrat», gibt Brunschwig Graf zu bedenken. Rassismus sei ein Problem, das alle angehe: «Heute trifft der Hass die Juden, morgen wieder die Muslime und übermorgen nochmals andere. Das geht so nicht.»