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Radikale Methoden

Tierschützer Erwin Kessler verbreitet Tipps, wie gesperrte Websites geöffnet werden können – etwa die des Holocaust-Leugners Jürgen Graf.

Wenn es um die arme Kreatur geht, wird Erwin Kessler, Präsident des «Vereins gegen Tierfabriken», radikal. Sein Kampf gegen das jüdischeSchächten hat ihm sogar den Vorwurf eingebracht, er sei ein Antisemit.

Ähnlich radikal kämpft Kessler neuerdings gegen Internet-Provider. «Ohne gesetzliche Grundlage und ohne Gerichtsverfahren werden in derSchweiz Internet-Seiten gesperrt», sagt Kessler. Auf der Homepage seines Vereins «Internet ohne Zensur» (IOZ) gibt er deshalb Tipps, wiegesperrte Seiten wieder geöffnet werden können. In so genannten Anonymizern kommt man durch das blosse Wählen der Adresse an den Filternder Provider vorbei.

Dass dies funktioniert, kann auf den Seiten von Kesslers Verein anhand von zwei Beispiellinks überprüft werden. Einer davon führt zu denTexten von Jürgen Graf, einem vorbestraften Holocaust-Leugner. Unter dem Hompage-Titel «Wilhelm Tell» behauptet Graf, die Juden seien imZweiten Weltkrieg an Seuchen und Entkräftung gestorben, nicht aber systematisch vernichtet worden.

Tierschützer Kessler findet nichts dabei, dass er just den Zugang zu Grafs Theorien öffnet. «Graf schreibt viel Interessantes über die SchweizerPolitik. Ich habe nirgends festgestellt, dass er den Holocaust leugnet. Er wird mit der gleichen Justizwillkür wie ich verfolgt», sagt er.

Sein Engagement gegen die Zensur im Internet, wie er es nennt, ist nicht ganz uneigennützig. Die Seiten seines «Vereins gegen Tierfabriken»haben nämlich ebenfalls die Aufmerksamkeit der Bundespolizei auf sich gezogen. «Wir haben das Thurgauer Verhörrichteramt auf einzelne Inhaltedieser Seiten aufmerksam gemacht», sagt Jürg Bühler, stellvertretender Bundespolizeichef. Grund: Verdacht auf Antisemitismus. Inzwischen istdie Bezirksanwaltschaft I des Kantons Zürich für den Fall zuständig. Dort heisst es, mit einem Abschluss der Untersuchung sei noch in diesemFrühjahr zu rechnen.

So könnte Kessler seine Tipps, wie man eine gesperrte Internet-Seite wieder öffnen kann, bald für seine eigenen Seiten anwenden.

Ob sich Kessler mit der Verbreitung dieser Tipps strafbar macht, lässt sich heute nicht beantworten. Zurzeit ist noch nicht einmal klar, ob Linksauf strafbare Seiten ebenfalls illegal sind, wie es anhand des Falls von ETH-Professor Thomas Stricker untersucht wird. Stricker hatte auf einemETH-Netz Links zu rechtsradikalen Seiten hergestellt, um damit, wie er sagt, eine Diskussion über das Internet anzuregen.

Darüber macht sich der prozessierfreudige Erwin Kessler allerdings keine Sorgen. Stattdessen untersucht er seit dem letzten November akribisch,welche Provider Seiten sperren. Wer Sperrungen vornimmt, muss sich auf einen hartnäckigen Briefwechsel gefasst machen. Kessler hakt dabeibeim häufigsten Argument der Provider für die vorsorgliche Zensur ein: Ein Gerichtsurteil abwarten zu müssen, könne Monate dauern, währendderer die fragwürdigen Inhalte weiter zu sehen seien. Kessler zu FACTS: «Gegen die schlimmsten Mörder wird jahrelang prozessiert, aber beiirgendwelchen Internet-Seiten herrscht plötzlich Notstand, und alles muss sofort passieren.»

Jean-Pierre Vila von der Genfer Firma Petrel Communication liess sich mit Kessler per Mail in eine Diskussion ein. Vila schrieb: «Wenn wir aufeiner Seite ein siebenjähriges Kind sehen, das von einem Erwachsenen sexuell missbraucht wird, sollen wir dann auf ein Gerichtsurteil warten,bevor wir die Seiten von unserem Server löschen?» Kesslers Antwort: «Ja. Oder können Sie diesem Kind helfen, indem Sie die Seite löschen?»

Autor: Stefan Millius