«Hass gegen Juden»: Fünf junge Rechtsextreme verurteilt

Tages-Anzeiger.

Weil sie «die Ideologie des Nationalsozialismus» verbreiteten, wurden fünf Neonazis aus dem Umfeld der Winterthurer Eisenjugend verurteilt. Doch mehrere machen weiter.

Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich hierbei um Eszil. Zum Tragen dieser AK-47 war er nicht berechtigt, weshalb er gegen das Waffengesetz verstiess.Quelle: Propagandafilm der Eisenjugend

Am 20. April 2020, um 18.30 Uhr, fand eine Onlinevorlesung der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK) mit dem Titel «Kein Kino» statt. Zahlreiche Studierende hatten sich eingeloggt. Plötzlich schrie jemand «Heil Hitler!», andere riefen «Sieg Heil!» oder «What does a Nazi mean? Nazi means a good person!». Ausserdem schrieb jemand «Neger» auf eine Folie, die der Dozent eingeblendet hatte, dazu der Vermerk, dass sich an diesem Tag der Geburtstag von Adolf Hitler jährt.

Neun Monate später. Am 20. Januar 2021, an einem Mittwochmorgen kurz vor sechs Uhr, stiegen drei Polizisten in Zivil die Treppen eines Mehrfamilienhauses in einem Winterthurer Aussenquartier hinauf. Dort wohnt der Anführer der radikalen Neonazi-Zelle Eisenjugend bei seinen Eltern. Sein Deckname: Eszil. 20 Jahre alt, Waffenfreak, Sportfanatiker und Student an der ZHDK. Seine Mission: ein globaler «Rassenkrieg». («Die Eisenjugend und ihr Traum von der Apokalypse» – lesen Sie hier mehr dazu.)

Schon bei einer früheren Razzia, im August 2020, hatte die Polizei Eszils Waffen beschlagnahmt. Laut einem Jugendfreund besass er eine Kalaschnikow, zwei Karabiner, zwei Pistolen, dazu ein halbautomatisches Gewehr des Typs SIG-522. An jenem Mittwochmorgen im Januar konfiszierten die Polizisten mehrere Mobiltelefone, einen Laptop und eine Festplatte, zwei Sturmhauben, Aufkleber und Notizzettel. Eszil wurde abgeführt.

Zahlreiche Schusswaffen und Munition beschlagnahmt

Gleichzeitig, zwölf Kilometer nördlich, in Andelfingen, verhaftete die Polizei einen Komplizen von Eszil, den 19-jährigen Gregor (Name geändert), einen Informatiker. Auch Gregor wohnt bei seinen Eltern, auch er liebt Waffen. Laut Bekannten ist er ein scheuer Typ, der selten das Haus verlässt, vor einiger Zeit aber «neue Freunde» gefunden hat und mit Krafttraining begann.

An jenem Mittwochmorgen beschlagnahmte die Polizei Gregors Waffen: eine halbautomatische Pistole des Typs Glock 19, eine Kalaschnikow, ein Schrotgewehr der Marke Ruger und haufenweise Munition. Dazu mehrere Laptops und Mobiltelefone sowie das «Handbuch der Judenfrage», verfasst von Theodor Fritsch, einem geistigen Wegbereiter des Nationalsozialismus (laut Google Books soll es «einen hohen Gebrauchswert für Antisemiten» haben).

Eszil und Gregor kennen sich von der Schulzeit her, sie besuchten dieselbe Privatschule. Neben den beiden wurden vier weitere junge Männer verhaftet, alle zwischen 18 und 20 Jahre alt, alle rechtsextrem. Sie verbrachten einen bis zwei Tage in Untersuchungshaft.

Die Razzien waren das Ergebnis monatelanger Ermittlungen. Nach den Festnahmen brauchte der Zürcher Staatsanwalt Umberto Pajarola, Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität und Experte in Sachen Cyberkriminalität, nur noch zwei Monate, bis fünf der jungen Männer rechtskräftig verurteilt waren (ein Verfahren läuft noch). Die meisten der vorhin erwähnten Informationen über die Verhaftungen stammen aus Pajarolas Strafbefehlen.

Straftatbestände: Rassendiskriminierung oder mehrfache Rassendiskriminierung, Vergehen gegen das Waffengesetz, Sachbeschädigung.

Mit den Äusserungen in der Onlinevorlesung, schreibt Umberto Pajarola in einem Strafbefehl, «verbreiteten die Beschuldigten die Ideologie des Nationalsozialismus und diskriminierten die Gruppen der Juden und diejenige dunkelhäutiger Menschen, indem sie diese […] in ihrer Menschenwürde krass herabsetzten und Hass gegen sie schürten […].»

Die jungen Männer wurden alle zu bedingten Geldstrafen verurteilt. Die Probezeit beträgt zwei Jahre; lassen sie sich in dieser Zeit nichts zuschulden kommen, müssen sie nichts bezahlen. Ausserdem wurden Bussen zwischen 500 und 1600 Franken ausgesprochen, die in jedem Fall zu bezahlen sind. Waffen und Munition, die Gregor aus Andelfingen besass, bleiben beschlagnahmt. Was aus Eszils Arsenal wurde, ist unklar.

Die höchste Strafe aller Verurteilten erhielt Eszil. Er muss 120 Tagessätze à 30 Franken bezahlen, wie erwähnt bedingt, ausserdem muss er die Kosten des Verfahrens grösstenteils selbst übernehmen: 13’069.10 Franken.

Straight-Edge-Nationalsozialismus

16’240 Franken kosteten allein die Telefonkontrollen, die die Behörden vornahmen. Und diese Spur führt uns in den Recherchen ein gutes Jahr zurück, in den Januar 2020, als die Gruppe Eisenjugend erstmals im Internet auftauchte. In Videos posierten junge Männer schwer bewaffnet, und in verschlüsselten Chats fantasierten sie davon, die Welt mit Anschlägen ins Chaos zu stürzen, um nach dem Sieg eines «apokalyptischen Rassenkriegs» als weisse Elite zu herrschen. Die Gruppe umfasste vielleicht drei bis vier Männer, darunter Eszil und Gregor. Sie lebten eine Art Straight-Edge-Nationalsozialismus: keinen Alkohol trinken, Bücher mit irren Theorien lesen und trainieren wie wild, den eigenen Körper und den Umgang mit Schusswaffen.

«Er erzählte mir von irgendwelchen Theorien», sagte uns ein Jugendfreund Eszils, «wonach die ‹afrikanische Rasse› uns beherrschen würde. Weil Europäer bloss ‹Mittelklasse-Gene› hätten und ‹Mischkinder› darum zu 80 Prozent afrikanisch seien. Und wenn wir so weitermachten, sagte er, seien wir in 200 Jahren alle ‹afrikanisch›. Und das wolle er verhindern.»

Bekannte berichten, Eszil sei zurückhaltend und «voll in seiner eigenen Welt» gewesen. An der ZHDK wurde Eszil als intelligent und künstlerisch begabt beschrieben, aber auch als Einzelgänger. Was ihn nicht daran hinderte, sich unter Gleichgesinnten zu vernetzen.

Praktisch zeitgleich mit der Eisenjugend tauchte eine zweite Gruppe im Raum Winterthur auf, die Nationalistische Jugend Schweiz, kurz NJS. Die Gruppe war etwas grösser. Etwa ein Dutzend junger Männer traf sich regelmässig; sie tranken Bier, machten Kampfsport und klauten Fahnen von Linken. Sie erinnern an die Nazi-Skins aus den Neunzigerjahren – jedoch mit Turnschuhen und Instagram-Profilen. Wichtigstes Bindeglied zwischen den beiden Winterthurer Gruppen NJS und Eisenjugend war Eszil.

Neben Eszil gab es noch eine Art zweiten «intellektuellen» Kopf der Eisenjugend: Maurizio (Name geändert), der Rechtsextreme von der Zürcher Goldküste.

Am 20. Januar 2021, an jenem Mittwochmorgen, erhielt auch Maurizio Besuch von der Polizei. Maurizio ist 20 Jahre alt, Student, stammt aus gutem Haus und wohnt in Meilen bei seinen Eltern; er spielte Eishockey bei einem Club aus der Region, galt aber als Aussenseiter.

Im September 2020 statteten wir seinem Elternhaus einen Besuch ab. Als Maurizio uns sah, schlug er die Tür gleich wieder zu. Seine Mutter wollte sich ebenso wenig zu den Aktivitäten ihres Sohns äussern.

Zeitgleich mit den anderen fünf jungen Männern wurde Maurizio verhaftet. Er war ebenfalls an der Attacke gegen die Onlinevorlesung beteiligt. Und zusammen mit Eszil hatte er rassistische und antisemitische Aufkleber entworfen. Im Februar 2020 brachten sie ungefähr 270 Stück an den Gebäuden der ZHDK und der ETH Zürich an. Maurizio verwaltete auch den Onlineauftritt der Eisenjugend. Auf diverse Plattformen lud er Bilder hoch, die Hakenkreuze oder Adolf Hitler zeigten.

Trotz Verurteilung machen Eszil und Co. weiter

Und heute? Offiziell haben sich Eisenjugend und NJS aufgelöst, und Eszil wurde von der Zürcher Hochschule der Künste ausgeschlossen. War es das also mit dem rechtsradikalen Frühling in Winterthur? Wir schauen die Liste der Gegenstände an, die die Polizei beim ebenfalls verurteilten Maurizio beschlagnahmt hat: zwei Mobiltelefone, eine Agenda und Notizbücher, diverse USB-Sticks und Festplatten. Dann ein «Katalog VDDJ 2020» und eine «Visitenkarte VDDJ». Und bei einem anderen Verhafteten werden «5 Kleber NAF» konfisziert.

VDDJ und NAF – bei diesen beiden merkwürdig klingenden Begriffen laufen die Fäden nun zusammen.

VDDJ ist die Abkürzung für den Versand der Deutschen Jugend. Der Verlag wird von einem jungen Neonazi aus Sachsen geführt, der sich schon mehrfach mit Eszil getroffen hat, sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz.

Die NAF ist die Nationale Aktionsfront, eine rechtsextreme Dachorganisation aus der Schweiz. Basierend auf den Ideen der VDDJ, die eine «junge Revolution» von Rechtsradikalen anstrebt, und unter der Flagge der NAF ist im Herbst 2020 eine neue rechtsradikale Jugendgruppe hervorgegangen: die Junge Tat.

Ihr Symbol ist die Rune des germanischen Kriegsgotts Tyr, NS-Offiziere trugen sie oberhalb der Hakenkreuz-Armbinde. Die Junge Tat produziert aufwendige Videos. In einigen ist Eszil zu erkennen – er hat mittlerweile eine Firma für Visualisierungen gegründet. Neben Eszil taucht der Luzerner Matthias (Name geändert) in den Videos auf. Auch Matthias wurde nun verurteilt, und die Polizei zog eine Schlagrute ein.

Matthias ist 18 Jahre alt und arbeitet bei einem Logistikunternehmen. Er war sowohl in der Eisenjugend als auch in der NJS aktiv. In der Schule sei er wegen seines Aussehens gehänselt und gemobbt worden, erzählt ein ehemaliger Schulkamerad.

Auch Matthias passt in das Muster, das bei einigen der nun Verurteilten zu erkennen ist: Die jungen Männer machten Erfahrungen als Aussenseiter und mit Mobbing, und später gerieten sie in ein System der Radikalisierung. Aus einem Opferdasein – ob tatsächlich oder bloss erfunden, spielt letztlich keine Rolle – spross Hass auf Homosexuelle, Dunkelhäutige und Juden. Die Radikalisierung erfolgte online, aber auch in einem engen Kreis von Neonazi-«Kameraden», darunter bekannte, langjährige Rechtsextreme vom Schlag Stiernacken.

Das System der Radikalisierung, in schönen Quartieren in Winterthur und Umgebung hochgefahren, hat sich inzwischen verselbstständigt. Manche Videos der Jungen Tat wurden bis zu 30’000-mal angeschaut.