Gewalt hat immer eine Ursache

Zofinger Tagblatt vom 27.11.2009

Brittnau Von der Schule organisierte Diskussionsrunde über «Jugend und Gewalt»

Kurt Buchmüller

Zwar kam eine Analyse zum Ergebnis, dass in Brittnau die Zeiterscheinung der Gewaltbereitschaft (noch) kein heisses Thema sei. Ansätze in Form von Mobbing und Vandalismus gibt es aber durchaus. Wie ihnen zu begegnen ist, diskutierte der Referent Philipp Frei bereits am Nachmittag mit der Lehrerschaft.

Die Schulpflege sei sich der Komplexität und Brisanz des Themas bewusst, erklärte deren Vertreterin Jacqueline Baumann bei der Begrüssung; der Lehrkörper habe am Nachmittag bereits einen Vorgeschmack davon erhalten. Auch die Medien seien vom Phänomen Jugendgewalt beherrscht. Der Referent habe Gewalt aus eigener Erfahrung als früheres Mitglied einer rechtsextremen Gruppe kennengelernt.

Gewalt herrscht dort,wo es Opfer gibt

Er sei vier Jahre in der rechtsextremen Szene hängen geblieben, erklärte Philipp Frei, er kenne daher die Fratze der Gewaltanwendung.

Die nachfolgenden Ausführungen befassten sich mit der Begriffsdefinition, den Ursachen und Formen von Gewalt, der Häufigkeit laut Statistik und den Handlungsansätzen. Gewalt müsse am Leiden der Opfer und am Schaden, den sie anrichte, gemessen werden. Sie trete in körperlicher (Schlägereien, Vandalismus, sexuelle Übergriffe, Selbstverletzung, Drogenkonsum) und in psychischer Form (Mobbing, Rassismus) auf und könne nach innen gegen sich selber (Minderwertigkeitsgefühle, Psychosen) und nach aussen gegen andere gerichtet sein.

Die Strafurteils-Statistik beweise, dass zwischen 1999 und 2005 die Anzahl der Delikte ohne Gewalt praktisch stabil geblieben sei, jene mit Gewalt dagegen um rund 80 Prozent zugenommen habe. Es könne auch nicht bestritten werden, dass der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund unverhältnismässig hoch sei. Eine Analyse an Schulen des Kantons St. Gallen zeige, dass jeder dritte Jugendliche Opfer von Gewalt geworden sei.

Innere und äussere Gewaltursachen

Der Drang zur Gewaltanwendung könne auf individueller Ebene in der Person liegen (Selbstunter- oder -überschätzung, Frustration, mangelnde Zukunftsperspektiven), einen kulturellen oder sozialen Hintergrund haben oder durch gesellschaftliche Einflüsse (Leistungsdruck, Benachteiligung, mangelnde Integration, Armut) entstehen. Auf der Gruppenebene würden Abgrenzung, Identitätssuche, Grenzerfahrungen, Sinnsuche und Wertemangel in Gewaltanwendung ausarten. Die gegen sich selber gerichtete Gewalt müsse auch als Hilferuf an das persönliche Umfeld verstanden werden, zum Beispiel das bei Mädchen im Trend stehende Ritzen mit Rasierklingen oder Essstörungen; sie wollten damit Aufmerksamkeit auf sich lenken. Symptome von Gewaltbereitschaft seien ernst zu nehmen, betroffene Jugendliche müssten Interesse und Verständnis erfahren, ihre Person sollte akzeptiert werden, nicht aber ihre Tat.

Entscheidungen, Verbote und Strafen brauchten eine Begründung und Hinweise auf Handlungsalternativen. Kleine Impulse könnten grosse Wirkung haben, positive oder negative. Besonders aufschlussreich war die Erfahrung von Philipp Frei, dass in der Frage «Warum machst du das?» der Lösungsansatz liege. Die Gespräche habe er so gelenkt, dass die Gewaltbereiten häufig zur Einsicht gekommen wären, dass auch sie die Fähigkeiten zu gesellschaftsfähigen Verhaltensmustern hätten.

Was hat sich geändert im Vergleich zu früher?

Auf den Hinweis, dass auch frühere Generationen sozialen Unterschieden, Armut, Leistungsdruck und Frustration ausgesetzt gewesen seien und ihre Enttäuschung trotzdem nicht mit Gewalt kompensiert hätten, antwortete Philipp Frei: Neu ist die Konfrontierung der Jugend mit Reizüberflutung durch Gewaltszenen in den Medien, das in der Werbung verbreitete Bild von der Freizeit- und Spassgesellschaft, die Faszination im Spiel mit Gewalt verherrlichender Software und die Möglichkeit, sich mittels Handy zu organisieren.

Dr. Friedrich Röthlisberger, Lehrer an der Realschule, fügte ein weiteres Argument hinzu: Die bedrohlichen Perspektiven der Jugend angesichts Klimaveränderungen, Raubbau an den natürlichen Ressourcen und der Möglichkeit von Naturkatastrophen.

heile welt? Die Schule Brittnau ist bisher (noch) nicht vom Problem «Jugendgewalt» berührt worden. In der Pause kann überschüssige Energie auf dem Spielplatz abreagiert werden. Vandalenakte mussten Lehrer und Hauswarte aber auch schon erdulden.