Faschos willkommen

Schaffhauser AZ.

Rechtsextreme Teilnehmer, Drohungen gegen Journalistinnen und kaum Polizei: wie «friedlich» die Kundgebung am Samstag wirklich war.

«Nimm die Maske ab, du bist gehirngewaschen», ruft ein Mann mir zu, als ich durch die Altstadt schlendere. Zwar trägt er keinen Aluhut, aber einen aus Plastik, auf dem Flyer gegen das Maskentragen und Impfungen kleben. Er ist einer von rund 1000 Massnahmengegnern, die am Samstag in der Altstadt gegen die Massnahmen und die vermeintliche «Corona-Diktatur» demonstrieren. Es ist einer der grössten Proteste in Schaffhausen seit Jahrzehnten.

Aufgerufen dazu hatte eine kleine lokale Gruppe. Aber der Aufruf verbreitete sich viral in den sozialen Medien und lockte Massnahmengegnerinnen und Covid-Leugner von ausserhalb an, darunter auch bekannte Rechtsextreme. Der Schaffhauser Stadtrat entschied sich deswegen, auch unter dem Eindruck vorangegangener Kundgebungen in Liestal und Altdorf, die Bewilligung für die Demonstration kurzfristig zurückzuziehen. Aber das sorgte für Unmut unter den Covid-Skeptikerinnen. In einschlägigen Telegram-Kanälen, auf denen sie sich austauschen, wurde dazu aufgerufen, trotzdem nach Schaffhausen zu fahren. Sogar Daniel Stricker, ein bekannter Corona-Verharmloser und Star der Szene, kündigte seine Teilnahme an.

Ziele unklar

Als ich an diesem Samstag gegen 13 Uhr den Fronwagplatz erreiche, ist schon einiges los. Die Lektüre der Telegram-Chats auf meinem Mobiltelefon verrät mir, dass die Polizei gegen Daniel Stricker bereits eine Wegweisung ausgesprochen hat. Die Chat-User sind aufgebracht. Ein Verstoss gegen die Pressefreiheit, behaupten sie.

Ich schaue mich um. Hunderte Menschen stehen um den Brunnen. Eine bunte Mischung aus Hippies, Goths, Jesus-Freaks, Normalos, Menschen in Trachten, mit Kindern und Hunden. Schweizer Fahnen wehen und viele haben Glocken in verschiedenen Grössen dabei. Keiner hält Abstand, keiner trägt Maske. Viele trinken Bier aus Dosen. An den Ecken des Platzes stehen jeweils eine Handvoll Polizistinnen. Zu wenige, denke ich.

Eine junge Frau hockt auf dem Kopfsteinpflaster und sortiert einen Stapel Papier. Ich spreche sie an. Sie sei hier, um Unterschriften gegen einen Impfzwang zu sammeln. Ob ich unterschreiben möchte, fragt sie. Nein danke, winke ich ab.

Impfgegner wie sie gibt es hier zuhauf. Viele sprechen sich nicht nur gegen einen Impfzwang aus, sondern erklären die Impfung für gefährlich. Ich bekomme ungefragt Kärtchen zugesteckt mit Adressen von Webseiten, auf denen ich die «Wahrheit» erfahren könne. Die »Wahrheit», dass Corona nur eine Grippe sei, dass der PCR-Tests nichts bringe, dass die Impfung tödlich sei.

Als der Platz sich füllt, wird es lauter. Zu ohrenbetäubender Musik, Glockenklängen und Pfeifen johlen und klatschen die Teilnehmenden. Sie grölen immer und immer wieder: «Friede, Freiheit, keine Diktatur».

Ich warte. Schliesslich ist das hier eine Kundgebung, also wird es doch eine Rede geben? Eine Ansprache vom Veranstalter wenigstens? Fehlanzeige. Nur Lärm wird gemacht. Als die Trychler mit ihren riesigen Glocken kommen und eine Prozession um den Brunnen starten, halte ich mir die Ohren zu. Wer sind die Leute, die auf so eine Kundgebung gehen?

Holocaustverharmloser

Karin und ihre Tochter sind aus dem Aargau nach Schaffhausen gekommen. Sie stehen auf einer Bank nahe dem Brunnen und beobachten das Geschehen. Durch Karins kinnlangen schwarzen Haare ziehen sich graue Strähnen, eine dicke schwarze Jacke hält sie warm. Wie viele andere tragen sie und ihre Tochter Buttons mit einem Judenstern auf dem steht: «Ich habe ein Attest». Die tragen sie, weil sie sich diskriminiert fühlen. Und ein Argument hat sie auch: Gerade sei ihrer Tochter der Zutritt zum Cafè Spettacolo verwehrt worden, weil sie keine Maske trage. «Das ist doch Diskriminierung», regt sie sich auf. Ich frage sie, ob das wirklich so schlimm ist wie der Holocaust. «Noch nicht», antwortet sie, «aber wir sind ja noch nicht am Ende».

Früher sei sie nicht auf Demos gegangen, erst jetzt gegen die Massnahmen. Der ohrenbetäubende Lärm der Trychler zwingt uns, ganz nah beieinander zu stehen. Sie tätschelt mir die Schulter und sagt: «Nimm die Maske lieber ab, die ist nicht gesund. Damit atmest du Chemikalien ein, die dann in der Lunge landen.» Lieber Chemikalien als Viren, denke ich, und lasse sie stehen.

Am Rande der Kundgebung treffe ich auf einen Mann aus Schaffhausen, der seinen Namen nicht nennen möchte. Er trägt eine Kippa, eine jüdische Kopfbedeckung, und eine schwarze Maske mit der Aufschrift «Führer befehl, wir folgen». Ich frage ihn, warum er sich dieser Symbolik und Sprache bedient. Er erklärt: «Nach dem Zweiten Weltkrieg ist eine ganze Generation angegriffen worden. Dabei war das doch nur ein Typ. Und heute sind wir an dem gleichen Punkt. Es geht um unsere Kinder.» Mehr möchte er nicht sagen.

Trotz der leichtfertigen Holocaustvergleiche: Als rechtsextrem möchte kaum einer der Teilnehmenden bezeichnet werden.

So redet sich ein Mann in Rage, dass die «Lügenpresse» die Teilnehmer als rechtsradikal darstellen würde. «Wir sind keine Nazis», behauptet er. Eine Frau ruft im Vorbeigehen: «Doch, ich bin ein Nazi». Auf meine Frage, was sie damit meint, keift sie, sie sei eben einer und deutet auf ihr Schild. «Impfung = Todesschuss». Ob sie weiss, was Nazi sein bedeutet?

Rechtsextreme geduldet

Dass aber auch Mitglieder der rechten Schweizer Szene anwesend waren, bestätigt mir ein Mitglied des Recherche-Kollektivs element investigate. Etwa der Betreiber des Telegram-Kanals WDChur oder Mitglieder der Gruppe Stiller Protest, die rechtsextreme Inhalte und medizinische Falschinformationen verbreiten und zu Gewalt gegen Polizisten aufrufen. «Für einige sind diese Demos eine feste Wochenendbeschäftigung», macht er deutlich. Aber: «Nicht alle der Teilnehmenden sind Neonazis.» Dennoch dulde der Rest der heterogenen Masse diese Elemente in ihrer Mitte.

Einige der bei Rechtsextremen beliebten Verschwörungsmythen entdecke ich auch auf der Kundgebung. Ein hagerer Mann mit langen Haaren und langem, schwarzen Ledermantel schwenkt zwei grosse Fahnen. Auf einer davon ist eine durchgestrichene Pyramide mit einem Auge, Symbol für die Illuminaten, abgebildet.

Er heisst Thomas und kommt aus dem Zürcher Oberland. Nach Schaffhausen ist er gereist, um die Öffentlichkeit über die Weltverschwörung des «bösen Teils der Menschheit» aufzuklären. Wer soll das sein? Die Illuminati, sagt Thomas. Sie seien eine Elite von Ultra-Reichen, die hinter unserem Rücken den wirtschaftlichen Super-Gau vorbereiten.

Woher er das wisse? Da müsste man die Anastasia-Bücher (siehe AZ vom 26. April 2018) lesen. Es gehe zurück in babylonische Zeiten. Er schwafelt etwas von der Innererde, in die sich die Elite zusammen mit Aliens zurückgezogen habe. Von dort versklave sie jetzt die Menschheit. Ich schaue Thomas an und denke, nicht alle Rechtsextreme sehen aus wie Hooligans.

Wo ist Stricker?

Inzwischen geht das Gerücht um, Daniel Stricker habe sich seiner Wegweisung widersetzt und sei auf dem Fronwagplatz. Ein Mann mit markantem Gesicht, beiger Lederjacke, brauner Fellmütze und Sonnenbrille bahnt sich langsam seinen Weg durch die Masse. Mit einem Selfie-Stick filmt er seinen Live-Stream, die Polizei lässt ihn gewähren.

Frauen reissen sich darum, ein Selfie mit ihm zu ergattern. Ein männlicher Fan mit Sonnenbrille drängelt sich vor und reicht Stricker eine kleine Glasampulle mit getrockneten Kräutern. «Für die Spermienzahl», sagt er. Ein Naturheilmittel für die Fruchtbarkeit, hat Stricker das nötig? Durch meinen Kopf geistert das Bild einer Bande kleiner Stricker und ein Schauer läuft mir über den Rücken.

Der selbsternannte Journalist hält kurz inne, begutachtet die Ampulle und bedankt sich bei dem Mann. Danach setzt er seinen Weg fort durch die Masse, die ihn wie einen Helden verehrt.

Kurz darauf, es ist inzwischen 15:30 Uhr, macht sich der feiernde Mob durch die Vordergasse auf zum Tellbrunnen. Ich beobachte das Geschehen mit einigem Abstand. Vor der Kirche St. Johann treffe ich drei junge Männer. Mit Bierdosen, aber mit Maske. Sind sie für die Demo hier? «Nein, wir sind nur Zuschauer aus Schaffhausen», sagen sie. «Die Demo ist scheisse, viel zu gefährlich», fügt einer hinzu.

Ich fühle mit ihm. Wieso gibt es eigentlich keine Gegendemo?

Drohung gegen Journalisten

Während Strickers Wegweisung auf Telegram als Verstoss gegen die Pressefreiheit kritisiert wird, wird dort gleichzeitig gegen die anwesenden Medienschaffenden gehetzt. Mehrmals tauchen in den Chats Fotos und Drohungen gegen Journalisten auf. «Gleich gibts was auf die Linse», kommentiert ein Benutzer. Lara Christen, die für Radio Munot vor Ort war, berichtet, dass ein Teilnehmer ihr zugerufen habe: «Someday we’re gonna hang all our journalists.» Eines Tages werden wir alle unsere Journalisten hängen.

«Was die Szene vereint, ist ein blinder Hass gegen die Medien», stellt auch element investigate fest. Das bekomme ich am eigenen Leib zu spüren. Viele fragen mich, was ich auf meinen Notizblock kritzele und bedrängen mich, um über meine Schulter meine Notizen zu lesen. Ich werde fotografiert und gefilmt. Kaum einer möchte mit mir sprechen. Ich sei von der «Lügenpresse», wirft man mir vor.

Nur eines macht mich noch mehr zur Zielscheibe als mein Notizblock: meine Maske. Ich werde angestarrt. Ein Mann mit langen, grauen Haaren und einem Megaphon verfolgt mich durch die Menschenmenge. «Maske weg», brüllt er durchs Megaphon. Irgendwann entkomme ich ihm und beobachte aus halbwegs sicherer Distanz das Geschehen, als der Demonstrationszug zurück auf dem Fronwagplatz ankommt.

Nur ohne Maske

Dort gehen zwei Frauen auf mich los. «Maske ab, sofort», fährt die eine mich an. Ich frage warum. «Wir brauchen keine obrigkeitshörige Jugend», schimpft sie. «Sie können doch nicht Freiheit fordern, aber mir meine Maske verbieten», entgegne ich. «Doch«, wettert sie, und: «Maske ab, sonst setzt es was.» Sie ist kleiner als ich, aber sie ist umgeben von Gleichgesinnten. Ich halte suchend nach der Polizei Ausschau. Und sehe keine.

Später, auf der anderen Seite des Platzes, hustet mich ein Mann absichtlich an: «Bist du so hässlich oder warum trägst du eine Maske?», fragt er. Hinter ihm steht eine Polizistin. Daneben 20 Demo-Teilnehmerinnen.

Bloss weg hier, denke ich und drücke mich mit anderen maskentragenden Passanten am Rande der Kundgebung bis zum Cafe Spettacolo durch.

Dort treffe ich einen jungen Massnahmengegner ohne Maske, mit Bierdose in der Hand. Sein Fazit der Kundgebung in Schaffhausen fällt positiv aus: «Besser als in Altdorf», meint er, «denn es blieb friedlich».

Ich denke über das Wort «friedlich» nach. In Altdorf fand am 11. April eine ähnliche nicht bewilligte Demonstration mit 500 Teilnehmenden vor dem Telldenkmal statt. Dort zeigte die Polizei Präsenz, sprach mehrere Warnungen aus und räumte schliesslich den Platz.

Vielleicht meint der junge Mann mit «friedlich» also, dass niemand ihn daran gehindert hat, zu tun, was er wollte. Auch, wenn es gegen Gesetze verstösst und Menschen gefährdet.

Als sich gegen 16.30 Uhr der Fronwagplatz langsam leert, klatschen die verbliebenen Demonstranten für die Polizei.