Die Schweizer Bischöfe unter Zugzwang

Zentralschweiz am Sonntag vom 25.11.2012

Extremismus Die Fahndungsaktion zur hetzerischen Kirchenwebsite kreuz.net hat die Schweizer Bischofskonferenz erreicht. Die Bundespolizei steckt derweil in einer Sackgasse.

Jérôme Martinu

Kirchlich erzkonservativ und radikal, gesellschaftspolitisch menschenverachtend und rassistisch. Die hetzerische Internetseite kreuz.net, die sich selber schönfärberisch als «katholisches Nachrichtenportal» bezeichnet, rückt stärker ins Visier der Behörden. Wie am Donnerstag bekannt wurde, geht nun auch das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz gegen die Website vor. Bei der Staatsanwaltschaft Wien wurde Anzeige gegen unbekannt wegen Verhetzung und Wiederbetätigung erstattet. Dies, nachdem bekannt wurde, dass der Bruno-Gmünder-Verlag nach eigenen Ermittlungen am 6. November der Berliner Staatsanwaltschaft eine Liste mit fünf Namen von Kirchenmitarbeitern übergeben hatte, die enge Verbindungen zu kreuz.net haben sollen. Die mediale Publizität hat inzwischen dazu geführt, dass ein sechster Name nachgeliefert werden konnte.

Kopfgeld: Über 23 000 Euro

15 000 Euro Belohnung hat der Berliner Verlag ausgesetzt für Hinweise, die zu den Betreibern der rechtsextremen Internetseite führen. Aufgrund von weiteren Spenden ist die Summe inzwischen auf über 23 000 Euro angewachsen. Das Verlagshaus, gemäss eigenen Angaben weltweiter Marktführer im Bereich schwuler Medien, war nach diffamierenden Artikeln zum Tod des Fernseh-Moderators Dirk Bach aktiv geworden.

Wie Recherchen der «Zentralschweiz am Sonntag» zeigen, muss sich jetzt auch die Schweizer Bischofskonferenz damit befassen. Am Freitag hat der Bruno-Gmünder-Verlag den Bischöfen per Fax ein Schreiben zukommen lassen, welches identisch ist mit demjenigen, welches im Oktober bereits an die deutschen und die österreichischen Bischöfe ging.

Im Brief, der der Redaktion vorliegt, werden die Bischöfe eingeladen, die Verlagsaktion «Stoppt kreuz.net» zu unterstützen: «Vom einfachen Gläubigen bis hin zu den Klerikern hören wir immer wieder, dass sich viele Menschen von der katholischen Kirche abwenden, weil sie vermuten, dass es eine heimliche Zustimmung der katholischen Kirche zu den auf kreuz.net propagierten Inhalten gibt.» Man würde sich über «eindeutige Signale» der Bischöfe freuen. Eine «eindrucksvolle Möglichkeit» der offiziellen Kirche wäre es auch, die angesetzte Belohnung «so zu erhöhen, dass die Macher dieser Seite ausfindig gemacht und der Staatsanwaltschaft übergeben werden können».

David Berger (44), Theologe und Koordinator der Verlagsaktion, sagt, man habe den Brief bewusst offen formuliert. «Dies, um der Bischofskonferenz der Schweiz einen möglichst grossen Spielraum zu geben, gegen kreuz.net vorzugehen. Das heisst: Wenn sie nicht mit uns zusammenarbeiten oder sich direkt solidarisch erklären wollen, dass sie dann zumindest eine eigene Aktion ins Leben rufen.» Berger war und ist wiederholt Zielscheibe in Artikeln der Website. Ihm war nach seinem Coming-out vom Erzbistum Köln 2011 die Lehrerlaubnis als Theologe entzogen worden.

Chur: «Zeichen wäre wichtig»

Bei der Schweizer Bischofskonferenz übt man sich in Zurückhaltung: «Der Brief ist eben erst eingetroffen, es wird sich zeigen, wie die Bischöfe reagieren», sagt Walter Müller, Sprecher der Bischofskonferenz. Die Bischöfe werden sich in der ersten Dezemberwoche während dreier Tage treffen, «dort besteht Gelegenheit, über kreuz.net zu sprechen», so Müller, der viele Inhalte der Website jüngst als «zutiefst unchristlich» bezeichnet hat. Das als konservativ geltende Bistum Chur hat sich in den letzten Tagen wiederholt von den Aussagen von kreuz.net distanziert und auch ausgeschlossen, dass ein «Flüsterer» aus der Bistumsleitung die Website-Macher mit Infos versorgt. Ist aus Sicht des Bistums Chur eine Solidarisierung der Schweizer Bischöfe mit dem Berliner Verlag denkbar? Mediensprecher Giuseppe Gracia: «Das sollte an der Konferenz diskutiert werden. Wichtig wäre ein Zeichen gegen Diskriminierung und Hetze, in welcher Weise auch immer.»

Operiert Seite von Rumänien aus?

Gemessen an den Reaktionen der deutschen und österreichischen Kirchenoberen auf das Schreiben aus Berlin, stehen die Schweizer Bischöfe unter einem gewissen Zugzwang. Denn: «Beide Bischofskonferenzen haben auf unser Angebot des Gesprächs und der Zusammenarbeit überhaupt nicht reagiert», wie Berger sagt. Erst auf Nachfragen von Medien habe man sich äussern müssen. Was die strafrechtliche Dimension der Inhalte von kreuz.net betrifft, so stehen die Bundesbehörden in einer Sackgasse, auch wenn immer wieder Schweizer Personen auf der Website verunglimpft werden. Die Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (Kobik) hat bereits früher die Internetseite überprüft und den zuständigen Behörden gemeldet. «Weitere Massnahmen oder die Überprüfung der Strafbarkeit nach Schweizer Recht sind aufgrund der fehlenden Zuständigkeit nicht möglich. In der Schweiz gibt es keine gesetzliche Regelung, welche eine Sperrung der Seite zulässt», sagt Stefan Kunfermann, Mediensprecher des Bundesamtes für Polizei. Für die behördliche Zuständigkeit ausschlaggebend ist der physische Standort der Internetseite, respektive der Daten, und dieser liegt im Ausland. Kunfermann: «Die Betreiber der Seite nutzten zuvor einen Internet-Service-Provider in den USA, wodurch das amerikanische Recht zur Anwendung gelangte. Zurzeit ist die Seite in Rumänien gehostet. Ein direkter Bezug zur Schweiz ist nicht ersichtlich.»

Im Impressum der Website wird El Segundo, Kalifornien (USA), als Domizil genannt. Gemäss David Berger wechseln die Betreiber den Server teilweise mehrmals am Tag, um eine Rückverfolgung zu verunmöglichen. «Auch der Hoster wechselt immer wieder, sodass eine Festlegung auf Rumänien keinen Sinn macht.»

Pfarrei-Initiative unterwandert?

Kreuz.net jem. Die Hintermänner der hetzerischen Internetseite kreuz.net sind nach wie vor unbekannt. Indizien deuten derzeit auf einen Zusammenhang mit dem ultrakonservativen Netzwerk katholischer Priester (NKP) in Deutschland hin. Klar ist: Die anonyme Autorenschaft muss in Deutschland, Österreich und in der Schweiz bestens vernetzt sein mit kirchlichen Amtsträgern – bis in unsere Region hinein. Das lässt sich aufzeigen am Beispiel der im September lancierten Pfarrei-Initiative mit ihrem Aufruf zum Ungehorsam gegen Rom.

Dokument zugespielt

In Kirchenkreisen war es zwar kein Geheimnis mehr, dass auch in der Schweiz nach österreichischem Vorbild eine Pfarrei-Initiative lanciert werden soll. Aber auf der am anderen Ende des kirchenpolitischen Spektrums stehenden Website kreuz.net war bereits am 12. September ein entsprechender Artikel aufgeschaltet – inklusive hämisch kommentierten Angaben zu den kirchenreformerischen Forderungen der Initianten. Naheliegend, dass kreuz.net das Grundsatzdokument bereits vorliegen hatte. Auch über den geplanten Zeitpunkt des Gangs an die Öffentlichkeit gab die Website Auskunft. Das war fünf Tage bevor unsere Zeitung als erstes Schweizer Medium über den Startschuss der Pfarrei-Initiative berichtete und die Initianten in der Folge von Luzern aus an die Öffentlichkeit traten.

Selbst die Bischöfe in Basel, St. Gallen und Chur waren zum Zeitpunkt der Kreuz.net-Meldung noch nicht schriftlich über die Pfarrei-Initiative orientiert, wie Mitinitiant Markus Heil, Diakon in Sursee, sagt: «Ich persönlich habe die Bischöfe per Mail informiert – das war aber weit nach der um 9.19 Uhr publizierten Internetmeldung. Die Meldung sorgte bei uns einen Tag lang für Unruhe.» Infos zur Initiative seien im Vorfeld nur sehr sorgfältig und nicht sehr breit gestreut worden. Heil: «Die Namen von involvierten Personen, die kreuz.net ebenfalls vorab publizierte, sind nirgends aufgeschienen. Die kannte eigentlich nur der Initiantenkreis.»