Die Grillparty-Bewegung

Die Weltwoche: Facebook-Aufrufe, Petitionen, Protestaktionen mit Wurst: Aarburg wehrt sich mit allen Mitteln gegen  noch mehr Asylbewerber. Bundespolitiker verunglimpfen die Aargauer Gemeinde als Rassisten-Hochburg. Was ist los im beschaulichen Städtchen? Von Alex Reichmuth und Christian Senti (Bilder)

Einige Kilometer vor Olten verhält sich die Aare sonderbar. In einer Ausbuchtung fliesst das Wasser rückwärts, über mehrere hundert Meter, bevor es wieder in den Hauptstrom talabwärts gerät. Oft kreisen in diesem Strudel mitgetragene Äste und Baumstämme schier endlos. In einen grossen Strudel scheint auch Aarburg geraten zu sein – das Städtchen, dessen Zentrum exakt an der rückwärtsgewandten Bucht liegt. Seitdem hier Bewohner regelmässig vorbeikommen, um Würste grillend gegen Asylbewerber zu protestieren, hat Aarburg nationale Berühmtheit erlangt. Die Aufmerksamkeit war vielen Anwohnern anfänglich durchaus willkommen. Doch inzwischen ist der mediale Sog gross geworden, und Journalisten sind im Städtchen nicht mehr gerne gesehen. Selbst der Gemeinderat, der den Anwohnerprotest mitträgt, gibt nur noch widerwillig Auskunft.

Denn die Schlagzeilen, mit denen sich Aarburg konfrontiert sieht, sind alles andere als freundlich. Ein eigentlicher Shitstorm ist über das beschauliche Städtchen hereingebrochen. In den Augen nicht weniger Kommentatoren sind die Anwohnerproteste «unterste Schublade». «Was, wenn nicht das, ist fremdenfeindlich?», prangerte die einflussreiche Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr das Grillen gegen Asylbewerber in ihrer 1.-Mai-Rede an. Es gehe in Aarburg «gegen die Schwachen, gegen die Armen, gegen die Wehrlosen», ergänzte sie. Vor einigen Tagen kam von höchster politischer Seite eine Schelte. Bundesrätin Simonetta Sommaruga, in der Schweiz für das Asylwesen zuständig, bezeichnete es als «beschämend, Grillpartys gegen Kriegsflüchtlinge» zu veranstalten. «Ich habe null Verständnis», empörte sich die SP-Regentin. Ist Aarburg ein Nest von Fremdenfeinden, eine Hochburg von Rassisten gar? Zeigt sich hier die Schweiz von ihrer hässlichen Seite?

«Sehen so Rassisten aus?»

Aarburg hätte das Zeug zum touristischen Anziehungspunkt, wie bei einem Besuch klarwird. Die imposante Festung auf dem Felssporn, der bis zur Aare hinabreicht, verleiht dem Ort etwas Majestätisches. Doch der Dorfkern wirkt verschlafen. Seit eine Umfahrung das Zentrum vor einigen Jahren von dem donnernden Durchgangsverkehr befreit hat, ist hier Ruhe eingekehrt. Nur wenige Menschen sind auf dem Dorfplatz – auffällig viele von ihnen mit offensichtlich fremdländischem Teint. Man bekommt den Eindruck eines typisches Provinzstädtchens – von der markanten historischen Kulisse einmal abgesehen.

Die Weltwoche spricht Passanten auf die Proteste der Bevölkerung an. Eine Gruppe junger Burschen ist in ihrer Haltung hin und her gerissen. «Wir haben in der Schweiz doch kein Problem mit Asylanten», meint einer. Andererseits sei es schon ratsam, die Gründe der Menschen kritischer zu überprüfen, die angeblich als Flüchtlinge hierherkommen. Die Grilltreffen seien «dummes Zeug», ereifert sich ein älterer Herr. Die Asylbewerber seien «armi Sieche», denen man helfen müsse. Wie der Kanton Aargau die Flüchtlinge verteile, sei allerdings nicht in Ordnung, schränkt er ein.

Der Reporter trifft sich mit Felix Grendelmeier. Als Initiant der Grillfeste ist er für viele das Feindbild schlechthin. Die Jungen Grünen setzten sein Konterfei ins Internet und stellten die rhetorische Frage: «Sehen so Rassisten aus?»

Grendelmeier wohnt mit seiner Familie im Südteil der Gemeinde – in unmittelbarer Nähe des neuen Asylzentrums, in dem der Kanton 90 Flüchtlinge unterbringen will. Er ist Unternehmer und produziert Lupenbrillen für Chirurgen und Zahnärzte. Diese vertreibt er weltweit. 100 000 Meilen fliege er jährlich für seine Firma, merkt er an. Im Familienunternehmen arbeiten vier Personen. Wie ein Hinterwäldler, der am Stammtisch gegen alles Fremde wettert, wirkt Grendelmeier nicht. Vielmehr erscheint er als rastloser Machertyp, mit durchaus intaktem Selbstbewusstsein.

Der 40-jährige Vater zweier Buben legt sofort los. Die Grillfeste seien nicht gegen die Asylbewerber selber gerichtet, müsse er klarstellen, sondern gegen den Kanton und die ungerechte Verteilung von Flüchtlingen auf die Gemeinden. Aarburg sei bereits hochbelastet und habe bisher schon weit mehr Asylanten aufgenommen als vorgesehen. «Keine andere Gemeinde im Aargau macht so viel für Asylsuchende und Ausländer wie Aarburg», so Grendelmeier. Wenn man jetzt nochmals 90 Flüchtlinge aufnehmen müsse, komme das Städtchen in ernsthafte Schwierigkeiten. «Denn nach einem positiven Asylentscheid bleiben diese Menschen in der Regel hier. Überaus viele liegen der Gemeinde dann als Sozialfälle auf der Tasche.» Es gehe darum, dass Aarburg «nicht pleitegeht».

Von Aarburgs gut 7000 Einwohnern sind  42 Prozent Ausländer. In den letzten Jahren sind 200 Menschen aus Eritrea zugewandert, ursprünglich als Asylbewerber. Von den 110 Eritreern, die inzwischen nicht mehr vom Kanton finanziert werden, sind heute 100 von der Sozialhilfe abhängig und auf die Gemeinde angewiesen. Aarburg gibt so über ein Drittel seiner Steuereinnahmen für Soziales aus. Der Steuerfuss ist einer der höchsten im Aargau.

«Das lassen wir uns nicht bieten»

Bislang beherbergte Aarburg 37 Asylbewerber – mehr als doppelt so viele, wie gemäss der kantonalen Quote vorgesehen wären. Im Frühling wurde bekannt, dass die Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli (Grüne) einen frischrenovierten Mehrfamilienblock angemietet hat, um zusätzlich 90 Asylsuchende unterzubringen. Insgesamt wären dann 10 Prozent aller Asylanten im Kanton in Aarburg zu Hause. «Das lassen wir uns nicht bieten», sagte sich Felix Grendelmeier. Er habe überlegt, wie man sich wehren könne. «Wir Anwohner müssen zusammenkommen, war mir klar.» Über Facebook lud er kurzfristig zu einem Protesttreffen ein. Auf einem Privatgrundstück beim geplanten Asylzentrum, das zur Verfügung gestellt wurde, stellte er mit Hilfe der Gemeinde Festbänke, mobile Toiletten und einen Grill auf. Wollte er damit suggerieren, Asylanten zu grillieren – wie es der Aarburger Protestbewegung unterstellt wurde? «Unsinn», sagt Grendelmeier, «wir wollten den Teilnehmern ermöglichen, sich nach Feierabend verpflegen zu können.» Jeder habe seine Wurst selber mitgebracht.

Beim ersten Protesttreffen kamen nicht dreissig oder vierzig Menschen. Es waren  650 – Junge und Alte, Familien und Alleinstehende, auch viele Ausländer. Und vor allem war der Gemeinderat fast vollzählig anwesend. In der Folge fanden die Grillfeste immer dienstags statt. «Bei den späteren Treffen machten jeweils etwa fünfzig Personen mit», so Grendelmeier.

Der Reporter sieht sich im Norden Aarburgs um, der als eine Art Getto der Gemeinde gilt. Der Ortsteil liegt in einer Klus und ist dicht bebaut. Ein gesichtsloser Siedlungsbrei hat sich breitgemacht. Auffällig sind die ältlich wirkenden Wohnblöcke. Entlang der Durchgangsstrasse reiht sich Garage an Garage. Hier sind die bereits bestehenden Asylunterkünfte zu finden: ein kleines Steinhaus zwischen Strasse und Bahnlinie. Und ein ärmlich wirkendes Holzgebäude am Ufer der Aare. Das neugeplante Asylzentrum steht jedoch im Südteil, inmitten eines Wohnquartiers.

Aarburg ist Boom-Gemeinde. Viele Paare mit unterschiedlichen Arbeitsorten lassen sich hier nieder, in der Mitte zwischen Bern, Basel und Zürich. Der Ort wird so allmählich zur Schlafstadt. Das passt vielen Einheimischen nicht, die sich ein reges Dorfleben wünschen.

Nach dem Start des Protestgrillens fanden sich auf Facebook bald Bemerkungen, die – gelinde gesagt – problematisch waren. «Seitdem sie sie retten, ist es viel schlimmer geworden», las man etwa, mit Blick auf aufgegriffene Bootsflüchtlinge vor der italienischen Küste. «Verlöhnd aarburg . . .!!! ALLI ZÄME . . .!!!», war ein weiterer Eintrag. Zudem sprang die rechtsextreme Partei national orientierter Schweizer (Pnos) auf und verteilte in Aarburg Flugblätter gegen die «Völkerwanderung». «Mit der Pnos haben wir nichts zu tun», antwortet Felix Grendelmeier, darauf angesprochen. Die Organisatoren der Grillpartys hätten nie Kontakte mit Rechtsextremen gehabt und seien nicht für deren Handeln verantwortlich.

Selbst die SP unterschrieb Protestbrief

Der Protest in Aarburg ist breit abgestützt. Die Ortsparteien haben im Frühling einen Brief an die Aargauer Sozialministerin geschrieben. Unterzeichnet haben ihn nicht nur die Präsidenten von SVP, FDP und SVP, sondern auch der Chef der kommunalen SP. «Frau Hochuli», hiess es im Brief, «was geschieht mit den Asylanten, wenn diese einen positiven Entscheid erhalten? Sie gehen nahtlos in die Sozialhilfe über [. . .].» Man vermisse die Solidarität Hochulis gegenüber den Bürgern.

Dass auch die kommunale SP unterschrieben hat, gab parteiintern Ärger. Die SP Aarburg unterstütze «eine Kampagne, die Nährboden für rassistisches Gedankengut bildet», wetterte Sascha Antenen, Präsident der Jungsozialisten Aargau. Dem Vernehmen nach soll die SP Schweiz die Genossen in Aarburg zurückgepfiffen haben. Jedenfalls zieht die Ortssektion nach der Schelte ihrer Parteikollegin Sommaruga den Schwanz ein. Wegen angeblich «schlechten Erfahrungen mit der Presse» will Christian Suter, Präsident der SP Aarburg, keine Fragen beantworten. «Und ich will auch nicht mehr zitiert werden in dieser Angelegenheit», lässt er die Weltwoche wissen.

In Aarburg haben fast 1400 Personen eine Petition unterschrieben, die gegen den Kanton gerichtet war. Entscheidend für ihren Ärger war offenbar ein Treffen der zuständigen Regierungsrätin und des Gemeinderates vor zwei Jahren. Damals soll Susanne Hochuli mündlich zugesichert haben, dass der Kanton in Aarburg keine weiteren Asylbewerber mehr ansiedle. Zumindest bezeugen dies Gemeindevertreter, die damals dabei waren. Im letzten Frühling aber unterschrieb Hochulis Departement besagten Mietvertrag für ein neues Asylzentrum – heimlich, ohne die Gemeinde zu informieren. Ob das ein cleverer Schachzug gewesen sei, wurde Hochuli später vom Blick gefragt. «Clever oder nicht – er war nötig», meinte sie. «Ich muss Leute unterbringen.» Hätte sie vorab informiert, argumentierte die Regierungsrätin, hätte der Kanton den Mietvertrag wohl nicht unterschreiben können.

Kein Gespräch mit Hochuli möglich

Susanne Hochuli ist nicht bereit zu einem Gespräch mit der Weltwoche. Sie habe der Gemeinde an jener Sitzung nur versprochen, es würden «vom Kanton aktiv keine Flüchtlinge in Aarburg platziert», lässt sie über ihren Sprecher Balz Bruder ausrichten. Bruder schiebt später nach: «Flüchtlinge sind Flüchtlinge; Asylsuchende waren explizit nicht gemeint.»

Eine geschickte Wortklauberei der Regierungsrätin? Gemeindeammann Hans-Ulrich Schär (parteilos), der im Asylstreit schon mit markigen Worten aufgefallen ist, will Hochulis Vorgehen nicht kommentieren. Er sei erst seit Anfang Jahr im Amt und sei bei der ominösen Sitzung nicht dabei gewesen, so Schär. Zurückhaltend geworden ist der Gemeindepräsident vor allem wegen der überwiegend negativen Berichterstattung. Die protestierenden Anwohner seien in eine «Medienfalle» geraten, sagt er, weil «der Boulevard reisserisch und unkorrekt» berichtet habe. Ranghohe Politiker hätten die Verurteilung Aarburgs leider unreflektiert übernommen.

Scharf kritisiert Schär die Verteilung von Asylbewerbern im Aargau. In diesem Kanton könnten Gemeinden, die keine Asylbewerber aufnehmen wollen, sich de facto freikaufen – mit zehn Franken pro Tag und Asylanten. Über hundert Gemeinden, vorwiegend gutsituierte, machen derzeit davon Gebrauch. Der Kanton nimmt so pro Jahr schätzungsweise eine Million Franken an Ersatzabgaben ein. Als «zynisch und menschenfeindlich» bezeichnet Gemeindeammann Schär dieses Vorgehen – vor allem, weil der Kanton das Geld einsacke und nicht an die Gemeinden verteile, die die Aufnahmepflicht erfüllen.

Hochulis Sprecher Bruder entgegnet, die Ersatzabgabe sei für Gemeinden geschaffen worden, «die schlicht nicht über die Infrastrukturen verfügen, um Asylsuchende unterzubringen». Es stimme nicht, dass jede Gemeinde selber entscheide, ob sie Asylsuchende aufnimmt. Allerdings: «Die Durchsetzung der Pflicht gestaltet sich [. . .] nicht einfach, zumal die Asylsuchenden in Gemeinden, die nicht aufnehmen wollen, nicht in Nacht-und-Nebel-Aktionen platziert werden können», so Balz Bruder weiter. Also ist der Freikauf für Gemeinden, die keine Asylanten wollen, eben doch ein Fakt.

Nachdem Hochulis Nacht-und-Nebel-Aktion in Aarburg öffentlich geworden war, versuchte der Gemeinderat den Zuzug von 90 Asylbewerbern juristisch zu verhindern. Für die Nutzung des Hauses als Asylzentrum fehle eine Umnutzungsbewilligung, argumentierte er. Zudem genüge das Gebäude punkto Brandschutz nicht. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde ab – zumindest vorläufig. Im Juli zogen die ersten Flüchtlinge im neuen Zentrum ein. Vom Tisch ist der Rechtsstreit zwischen der Gemeinde und dem Kanton damit nicht. Er könnte noch Jahre dauern.

Felix Grendelmeier ist es wichtig, nicht als Verhinderer zu gelten. Er hat Regierungsrätin Hochuli Ideen zukommen lassen, wie die Asylbewerber gerechter verteilt werden könnten. Alle Gemeinden müssten obligatorisch ein Areal mit Strom- und Wasseranschluss zur Verfügung stellen, schlug er unter anderem vor. Dort könnten nach Bedarf mobile Wohneinheiten für Asylanten aufgestellt werden. Dass sich Gemeinden freikaufen, solle nicht möglich sein. Ein Echo auf seine Vorschläge habe er nie erhalten, sagt Grendelmeier.

Der Unternehmer will jedenfalls die Grillfeste fortsetzen – und zusammen mit anderen Anwohnern sogar «on tour» gehen. «Wir werden eventuell vor dem Gesundheits- und Sozialdepartement in Aarau aufkreuzen», kündigt er an. Selbst ein Protest vor dem Bundeshaus sei denkbar, «um auf die abschätzigen Bemerkungen von Sommaruga zu reagieren». Deren «null Verständnis»-Statement ist bei Grendelmeier besonders schlecht angekommen. «Mit grossen Worten verlangt die Justizministerin zwar eine gerechte Verteilung der Asylbewerber in Europa», kritisiert er. «Wenn wir in Aarburg im Kanton aber das Gleiche fordern, diffamiert sie uns.»g