Das Waadtland und seine Rechtsextremen

Die Waadtländer Behörden verschanzen sich im Umgang mit Neonazis erstmals nicht mehr hinter der Meinungsfreiheit.


Autor: Von Evelyn Kobelt, Lausanne

Noch im letzten Mai, als sich rund 300 Skinheads im Waadtländer L’Abergement versammelten, sah die Polizei keinen Grund einzuschreiten. Das Treffen verlief friedlich. Und genauso, erhoffte sich wohl Polizeidirektor Jean-Claude Mermoud, würde auch der Grossauflauf von bis zu 1500 Neonazis vom kommenden Samstag in Chalet-à-Gobet oberhalb von Lausanne verlaufen. Mangelnde Kenntnis der rechtsextremen Szene des erst seit ein paar Monaten amtierenden Staatsrats mag bei seinem versöhnlichen Votum am letzten Montag vor dem Waadtländer Grossen Rat mitgespielt haben, als er im Namen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit für das Skinkonzert grünes Licht gab.

Diskrete Aktivisten

Möglicherweise hielt es Mermoud aber auch einfach mit seinen Vorgängern, die Rechtsextremisten in den letzten Jahrzehnten nachsichtig behandelt hatten. Die Altfaschisten, Rassisten und Jungnazis bemühten sich ihrerseits, wenig Aufsehen zu erregen. Seit Jahrzehnten schon agiert beispielsweise der über 75jährige Gaston-Armand Amaudruz in diesen Kreisen, wobei er in der Waadt selbst eher selten in Erscheinung getreten ist. Und der Bankier François Genoud handelte von Lausanne aus mit den Tagebüchern von Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels, aber immer sehr diskret.

Auch die neue Generation der Rechtsextremen, die Skinheads, tritt selten an die Öffentlichkeit. Der Waadtländer Kripochef Jacques-François Pradervand meint denn auch: „Wir haben keine Ahnung, wie viele Skins in der Waadt aktiv sind. Wir verfügen über wenig Erfahrung mit diesen Leuten, weil sie sehr diskret sind.“

Von Mussolini zu Paschoud

Von den Sympathien, die rechtsextremes Gedankengut in der Waadt schon vor Jahrzehnten genoss, zeugt der Ehrendoktor, der 1937 Benito Mussolini verliehen wurde. Die Begründung der Lausanner Universität lautete, Mussolini habe in seinem Land eine „soziale Organisation verwirklicht, welche die soziologische Wissenschaft bereichert hat“. In der Verleihungsurkunde wurde zudem vermerkt, Mussolini sei ein Ehemaliger der Universität.

Aktenkundig ist seine Präsenz in Lausanne aber nur, weil er 1902 als Arbeitsloser auf der Strasse genächtigt hatte und von der Polizei aus dem Schlaf geholt wurde. Neu aufgerollt wurde diese historische Episode vor gut zehn Jahren, als die 450-Jahr-Feier der Universität Lausanne mit dem 50jährigen Jubiläum der Ehrendoktorverleihung zusammenfiel. Aberkennen mochte man dem italienischen Faschisten seinen Titel nicht.

Praktisch gleichzeitig stellte sich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre heraus, dass rechtsextreme Ideen nach wie vor auf Verständnis stiessen. Die Historikerin und Gymnasiallehrerin Mariette Paschoud geriet in die Schlagzeilen, weil sie an einer Pressekonferenz in Paris Zweifel an der Existenz von Gaskammern im Dritten Reich äusserte und eine Schrift lobte, die deren Existenz sogar bestreitet.

Nach langem Zögern und Werweisen rang sich die Waadtländer Regierung schliesslich zur Feststellung durch, die Lehrerin habe gegen das Beamtenstatut verstossen, das bei öffentlichen Äusserungen Zurückhaltung auferlege. Hingegen unterliess es die Exekutive, die Thesen der Revisionistin deutlich zu verurteilen. Noch während Jahren zeitigte das Folgen, denn die Affäre Paschoud kam nicht zur Ruhe: 1988 wurde der Jurist Claude Paschoud, Gatte von Mariette, verantwortlicher Redaktor der rechtsextremen Postille „Le Pamphlet“, zur Waadtländer Fremdenpolizei berufen, was nicht unbemerkt blieb. Und 1992 wurde die Beförderung von Mariette Paschoud im Militärischen Frauendienst beantragt, die der Bundesrat aber ablehnte.

Waadtländer Bumerang

Immerhin hatte diese Waadtländer Angelegenheit auch eine positive Folge: Die damalige Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, Elisabeth Kopp, nahm den Entrüstungssturm gegen die Voten von Mariette Paschoud zum Anlass, mit dem Gesetzesentwurf zum Anti-Rassismus-Gesetz ernst zu machen.

Dieses Gesetz, das 1995 in Kraft gesetzt wurde, hat zum Meinungsumschwung der Waadtländer Regierung beigetragen. Die Bundespolizei informierte den Kanton nämlich, es seien Kassetten mit Liedern von Gruppen beschlagnahmt worden, die am Samstag auftreten sollten. Die Texte animierten zu Rassenhass und Gewalt. Die Waadtländer Regierung hat damit vor einem guten Jahrzehnt mit ihrer zögernden Haltung im Fall Paschoud dazu beigetragen, dass sie sich nicht länger hinter der Meinungsfreiheit verschanzen kann.

BILD DORIS FANCONI

Nachsicht gegenüber Rechtsextremen war im Waadtland lange die Regel.