Begert lobt Antifa, Ohnmacht ob USA

Der Bund

Bern begrüsst politisch engagierte Jugend – seis wie jetzt gegen den Krieg in Irak, und seis auch «manchmal unbequem» wie die Antifa

Berns Sozialdirektorin Ursula Begert liegt eine glaubwürdige Jugendpolitik der Stadt so sehr am Herzen, dass sich die SVP-Politikerin nicht scheut, gegen die eigene bürgerliche Klientel anzutreten und «unbequeme» Bewegte in Schutz zu nehmen, selbst wenn sie rechtschaffene Bürger mit Kreide ärgern, dass es der Gewerbelobby ein Graus ist. Morgen Abend berät Berns Parlament die Jugendpolitik.

rudolf gafner

Ursula Begert, als stellvertretende Stadtpräsidentin sozusagen Berns Stadtmutter, und Jürg Haeberli, als Jugendamtsleiter quasi städtischer Berufsjugendlicher, sangen ein veritables Hohelied auf eine neue Generation, als sie gestern den Medien das von der Stadtregierung verabschiedete Jugendkonzept erläuterten. «Das Vorurteil und Image von konsumorentierten, passiven, nur an der Spassgesellschaft inteteressierten Jugendlichen bröckelt – viele Jugendliche nehmen wieder Anteil, wollen wissen, was und wie es passiert, nehmen vermehrt Stellung, engagieren sich», frohlockte Haeberli. Gerade die aktuelle Bewegung gegen den Krieg in Irak zeige, dass «Politik wieder etwas ,in?» sei. «Eindrückliches Beispiel ist die Friedensdemo kürzlich in Bern, an der auffallend viele Jugendliche teilgenommen haben», und wenns gelinge, «dieses erwachte Politikinteresse von der Weltpolitik auch wieder auf das direkte Lebensumfeld zu steuern», dann, so Haeberli, habe das Konzept das Ziel erreicht.

Krach um Kreide, nicht Krawall

Ja, so sei es, sagte Haeberlis Chefin, Berns oberste Jugendpolitikerin: Eine aktive, gerade auch politisch engagierte Jugend mache ihr Freude, sagte Begert – «im Wissen darum, dass diese manchmal unbequem sein kann». – Hier indes hakte die Presse in der Fragerunde nach: Ob Begerts Umarmung auch gelte für die relativ widerspenstige Berner Antifa[100]-Szene, die sich mit mittlerweile rund 3000 «Demo»-Gängern aus Stadt und Region binnen vier Jahren zu einer veritablen Jugendbewegung entwickelt hat?

Begert wand sich keineswegs, sie stellte sich der Frage souverän, erfrischend unverkrampft, ja sogar ungefragt offensiv – denn die SVP-Sozialpolitikerin nahm die Antifa[100]-Jugendlichen gar in Schutz gegen Angriffe nicht zuletzt aus der eigenen Partei (SVP-Grossrat Thomas Fuchs hatte den «4. Antifaschistischen Abendspaziergang» vom 1. März verbieten lassen wollen).

Von Militanz, Gewalt und Vandalismus grenze sie sich natürlich scharf ab, so Begert, aber «ich finde die jugendliche Bewegung gegen Faschismus an und für sich ganz gut» – und «ich hätte mir in der Öffentlichkeit schon etwas mehr Anerkennung gewünscht dafür, wie diszipliniert und friedlich sie diesmal demonstriert hat». Hier hätten Jugendliche doch Verantwortung gezeigt, nicht einmal gesprayt sei worden. Dass dafür mit Kreide Parolen an Wände gekritzelt wurden, «gefällt mir auch nicht», so Begert, aber «das ist doch noch kein Grund zu grosser Empörung». Die ganze Aufregung um die leidige Kreide (vgl. «Bund» vom Montag) erinnere sie, so Begert, etwas an die Haltung vieler Bürger gegenüber der Drogenszene: «Je weniger effektiv passiert, desto mehr regt man sich über Kleinigkeiten auf», seufzte die SVP-Gemeinderätin – und forderte, «den Jungen», auch Antifas, «gewissen Raum, gewisse Toleranz zu geben». Wie dies die Stadt ja tue, fügte Haeberli hinzu: «Heute zum Beispiel haben wir eine andere Polizei als noch vor zehn Jahren, auch da hat ein Prozess der Differenzierung stattgefunden» – was nun wiederum die bewegte Jugend auf der Strasse doch bitte würdigen möge, so Haeberli. Denn so seis im Leben – ein Geben und Nehmen. Dem konnte wiederum Begert nur zustimmen – und kam nochmals kurz auf den Kreide-Krach zurück: «Am sympathischsten» fände sie es, sagte sie, wenn die jungen Leute, die die Parolen geschrieben hätten, diese «nach einer gewissen Zeit, wenn sie genug zur Kenntnis genommen wurden», gemeinsam freiwillig wegputzen würden . . .

«Jugend hat gewisse Vorrechte, aber keinen Freipass», betonte die Gemeinderätin, und Bern könne ja nicht «ein Paradies für eine einzelne Generation» werden, Ältere und Jüngere müssten miteinander leben. «Und dafür tragen wir alle die Verantwortung» – und zwar, wie es das neue Jugendkonzept postuliere, in «partnerschaftlicher Zusammenarbeit».

Dies unterstrich Haeberli: Wichtig am Jugendkonzept sei weniger das konkret Geplante (vgl. Kasten) als vielmehr «die Haltung». Sicher, ja, es sei auch so, dass sich das Konzept schlicht schon deshalb «nicht in der Auflistung von Massnahmen verliert», weil wegen Finanznot vieles ohnenhin «wenig Chancen hätte, realisiert zu werden». Es fehle aber vor allem an der Bereitschaft Jugendlicher, auf städtischer Ebene aktiv zu sein. Anders als beim Einsatz für Frieden in Irak mangle es oft an «Lust, in Bern an Entscheidungsprozessen mitzuwirken», wie Haeberli-Mitarbeiter Alex Haller sagte. Um so mehr müssten Jugendliche eigene Abläufe der Partizipation entwickeln können. Am Staat liege es, dafür taugliche Instrumente zur Verfügung zu stellen – so wie etwa die Jugendmotion (siehe Kasten).

Politik für, von und mit Jugendlichen müsse nämlich «etwas bewirken» – sonst werde sie erst recht zu einem «Ablöscher», warnt Haller.

«Frust» am Vorabend des Kriegs

«Wir dürfen es aber andererseits auch nicht idealisieren», gibt Haeberli zu bedenken – denn «zu Engagement gehört auch die Erfahrung von Frust, Ohnmacht auch». So wie dies viele Jugendliche dieser Tage gerade erlebten, nachdem sie sich beherzt für Frieden in Irak engagiert hätten – und jetzt offenbar doch der Krieg ausbreche. Und Begert versicherte die «kids», sehr viele Erwachsene teilten das hilflose Ohnmachtsgefühl am Vorabend des Kriegs: «Wir sind alle gleich frustriert» – sie selber übrigens auch.

«Man kann aber mit Frust etwas anfangen», so Haeberli, «ihn sinnvoll abladen zum Beispiel» – dank Berns Jugendkonzept: Im Internet (www.part.bern.ch) ist die Debatte für alle von 13 bis 22 dazu jetzt frei.

Berns oberste Jugendpolitikerin, Ursula Begert (svp), gestern vor den Medien (mit Jürg Haeberli, Chef Jugendamt).Peter Schneider

«part» – mit Jugendrat und Website

1999 folgte der erste Streich: das Konzept für eine kinderfreundliche Stadt – und der zweite Streich folgte nicht sogleich, sondern hat drei Jahre auf sich warten lassen: «part», Berns jugendpolitisches Konzept. Jugendpolitik verstärkt zu gewichten liege im ureigensten vitalen Interesse der Stadt, betonte Alex Haller vom Jugendamt: Die Zahl Jugendlicher habe in 30 Jahren von fast 15 auf unter 10 Prozent der Bevölkerung abgenommen (der Anteil der ausländischen Jugendlichen indessen hat sich derweil verdoppelt).

Das Konzept liefert jugendpolitische Handlungsmaximen und Leitsätze zu vier Themen: Partizipation, Information, Lebensräume und Perspektiven. Nicht hehren Visionen, sondern vielmehr «kleinen pragmatischen Schritten» wird das Wort geredet. Koordiniert wird die Arbeit von Berns Fachstelle für Jugendfragen – neu geschaffen werden soll aber nun der «part-Rat», eine maximal 20 Jugendliche zählende Plattform für Interessierte und Austausch.

Das stärkste Instrument, das der Gemeinderat schaffen will, um die politische Teilnahme Jugendlicher zu fördern, ist die «Jugendmotion» (siehe dazu «Bund» vom 8. März) – über deren Einführung das Berner Stadtparlament morgen Abend entscheiden will. Jugendliche sollen mit 40 Unterschriften eine direkte Eingabe an den Stadtrat richten können, und sie sollen ihren Vorstoss im Ratssaal auch selber vertreten und Anträge dazu stellen können. Mit dem neuen Instrument Jugendmotion will Bern dem Beispiel Muris folgen – dafür aber vorerst darauf verzichten, ein eigentliches Jugendparlament zu schaffen, wie dies Worb, Köniz, Ostermundigen und Spiez taten. Erfahrungen in der Region hätten gezeigt, dass es schwierig sei, die Jugendlichen damit nachhaltig anzusprechen, sagt Alex Haller.

Morgen berät Stadtparlament

Dagegen soll Bern ein Kinderparlament erhalten – eine kantonale Premiere und schweizweit die Nummer zwei nach Luzern (siehe ausführlichen Bericht im «Bund» vom 8. März). Auch dies ist morgen Thema im Stadtrat – im Anschluss an die Nachsession zu Berns Kindersession 2002. (rg)