Befehle aus Berlin erteilt

Walliser Bote: Wallis/Berlin | Während sich 80 Beamte der Walliser Kantonspolizei ein Katz-und-Maus-Spiel mit einer Horde Rechtsextremer liefern müssen, referiert der Sicherheitsdirektor in Berlin über Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

«Jetzt erst recht hingehen!», habe er sich gedacht, als er erneut zur Veranstaltung des Magazins «Compact» eingeladen worden sei. Weil die Konferenz «Für ein Europa der Vaterländer» abgesagt worden ist, stand die neu in Berlin ange setzte Veranstaltung unter dem Motto «Offensive zur Rettung der Meinungsfreiheit». Ein Lieblingsthema von Oskar Freysinger: Es könne nicht sein, so der Walliser Gastredner, dass jedesmal, wenn solche Veranstaltungen angesagt werden, diese von der Polizei verboten werden – weil Linksextremisten gewalttätige Gegendemos ankündigen und die Behörden dann die Sicherheit der Konferenzteilnehmenden nicht gewährleisten können. «O tempora, o mores!», seufzte Freysinger hinunter in die Ränge. Umso wichtiger sei die Meinungs- und Äusserungsfreiheit. Auch die Versammlungsfreiheit hielt Freysinger am Samstag hoch: Durch ihre Anwesenheit bewiesen sie Mut, so der Redner zum Publikum, das ihn frenetisch beklatschte.

Freysinger ist ein Star in der rechten Szene. Nicht nur weil er so gut sprechen kann oder weil er den Leuten das sagt, was sie hören wollen. Freysinger sitzt in einem Exekutivamt, in das er vom «Volk» hineingewählt wurde. Wenn so einer, mit diesen Ideen, in der Schweiz Erfolg hat, muss das bei uns doch auch möglich sein, wünschen sich die Wutbürger und Patrioten in halb Europa. Die zahlreichen Gastauftritte des Staatsrats machen deutlich: Freysinger ist ein Walliser Exportschlager der europäischen Rechten.

«Walliser Minister»

Ob auf dem Roten Platz in Moskau oder mit der AfD auf einem ländlichen Gasthof – die Auslandreisen ihres Ratskollegen waren auch schon Thema in der Walliser Kantonsregierung. Man habe sich schliesslich darauf geeinigt, dass Freysinger bei seinen Auftritten als SVP-Vizepräsident, nicht aber als Walliser Regierungsmitglied spreche. Nur: SVP-Chefstratege Christoph Blocher erfuhr erst am Freitag in der TV-Sendung «Arena» von Freysingers Ausflug («Er hat mir gesagt, er gehe nicht hin»), und die Kantonsregierung war ebenso wenig informiert. Die Veranstalter in Berlin kündigten ihrerseits Freysinger als «Walliser Minister» an und als solcher sprach er dann auch: So echauffierte sich der Sicherheitsdirektor etwa darüber, dass die Walliser Gefängnisse bis zu 70 Prozent mit Ausländern gefüllt seien, dies auf Kosten des Staats. Kein Wunder, so Freysinger unter Applaus, wollten die Leute, dass kriminelle Ausländer zurück in ihre Heimatländer geschafft werden.

Freysinger ist mit seiner Forderung nicht allein. Anfang Jahr posierten Aktivisten der neonazistischen Bewegung «Résistance Helvétique» vor der Sittener Strafvollzugsanstalt «Les Îles». «Schmeisst sie raus!», stand auf einem Transparent. Und auch am letzten Mittwoch meldete sich die Gruppierung, die unter anderem das Schweizer Parteiensystem abschaffen will, zu Wort. Auf ihrer Facebook-Seite kritisierten sie den Entscheid der Waadtländer Regierung, eine «Konferenz der Nationen» im Raum Lausanne nicht zu bewilligen. Die Neonazis, für deren Anlass auch schon Slobodan Despot, Freysingers Kommunikationsberater, die Werbetrommel rührte, argumentierten ähnlich wie der Walliser SVP-Staatsrat in Berlin. Sie sehen im Waadtländer Versammlungs verbot einen weiteren Akt des linken Meinungsterrors.

Rechtsextreme tauchten in Saxon auf

Die Rechtsextremisten liessen sich vom Entscheid aber nicht beeindrucken und tauchten am Samstagnachmittag im Unterwallis auf. Mit einem Grossaufgebot der Polizei konnte die nicht bewilligte Versammlung in Saxon verhindert werden – just in jener Zeit also, als der oberste Vorgesetzte im fernen Berlin seine Rede hielt. Gemäss Communiqué hat die Polizeiaktion rund zwei Stunden gedauert. Von rund 60 Personen wurden die Personalien aufgenommen. Es handelte sich dabei um Westschweizer, einige Walliser und Franzosen, die danach aufgefordert wurden, den Kanton zu verlassen. Dies taten sie aber nicht. Wie gestern bekannt wurde, wurde das Treffen kurzerhand nach Fully verlegt, wo laut Angaben des Organisators, der Westschweizer Sektion der PNOS (Partei national orientierter Schweizer), Sébastien de Boeldieu von der neofaschistischen Organisation CasaPound aus Italien und der Franzose Daniel Conversano auftraten. Letzterer ist in Frankreich ein bekannter Faschist. Im Frühjahr hatte er zwei junge Walliser in seiner Internet-Sendung zu Gast. Ein Mitglied der «Résistance Helvétique» und ein «Künstler», der sich mit antisemitischen Cartoons einen Namen als «Artiste mal pensant» gemacht hat und deswegen von der Walliser Kunstschule ECAV flog. Im Internet kursieren Fotos, wo der Cartoonist, der «linke» Kunst als «entartete Kunst» betitelte (ein Begriff aus dem NS-Regime), mit Unterwalliser SVP-Mitgliedern posiert. Beispielsweise mit Jérôme Des meules, dem Co-Präsidenten der Unterwalliser SVP, sowie SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor.

Zurück aus Berlin, sagte Freysinger gestern auf Anfrage, durch das rasche Intervenieren der Kantonspolizei hätte man verhindert, dass sich die Versammlung noch vergrössert habe. Er habe von Berlin aus die entsprechenden Befehle gegeben. Freysinger sieht keinen Widerspruch darin, in Deutschland die Meinungs- und Versammlungsfreiheit hochzuhalten und gleichzeitig im Wallis das Treffen zu verbieten. Neonazis seien Gift für jene Rechte, die sich an den Rechtsstaat halten. Und auch gemeinsam an der gleichen Konferenz mit dem wegen Volksverhetzung verurteilten Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann aufzutreten, sei kein Problem. «Ich kann doch nicht an einer Veranstaltung zum Thema Meinungsfreiheit referieren und gleichzeitig den anderen vorschreiben, was sie zu denken und zu sagen haben.» Er werde weiterhin für die Sache kämpfen und sich von niemandem einen Maulkorb verpassen lassen. Zu einem Vorfall von letzter Woche, als ein abgetrennter Schweinskopf vor ein Sittener Asylheim gelegt wurde, äusserte sich der Sicherheitsdirektor derweil nicht. Nur, dass solche Aktionen nicht viel bringen würden.