An Scherrers Stuhl wird heftig gerüttelt

Der Bund

BIEL / Sein Ausspruch, die Gaskammern der Nazis seien «ein Detail der Geschichte», bringt Gemeinderat Jürg Scherrer (fps) arg in Bedrängnis. Markige Worte am Rande der Legalität waren allerdings schon immer ein Markenzeichen des Bieler Sicherheitsdirektors, der trotz magerem Leistungsausweis bisher fest im Sattel sass.

? MIKE SOMMER

Jürg Scherrer war schon immer und dies mag die Erklärung für seine steile Karriere sein ein Vollblutpolitiker, wie sie in diesem Land eher rar sind. Im verbalen Schlagabtausch mit dem Gegner läuft er zur Hochform auf, wie sich etwa in zahlreichen «Arena»-Sendungen in den Neunzigerjahren zeigte: Während seine Kontrahenten nach politisch korrekten Ausdrücken suchten, benutzte Scherrer eine Sprache, die seine potenziellen Wähler verstehen.

Scherrer der Polemiker: Da ist schon mal vom «Ausländerpack einer gewissen Herkunft» die Rede gemeint waren aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien eingereiste Jugendliche. Oder von einer «erpresserischen Bevölkerungsschicht» eine im Zusammenhang unmissverständliche Umschreibung für Angehörige des jüdischen Glaubens. Differenziert denkenden Menschen mögen dabei die Haare zu Berg stehen. Und manch einer hat schon versucht, Scherrer via Gerichtsbeschluss zu stoppen. Vergeblich der umstrittene Rechtsaussen umschiffte die für ihn gefährlichen Klippen des Antirassismusgesetzes bisher erfolgreich.

Dass Scherrer trotz ständigem Kokettieren mit rassistischem Gedankengut nie als Rassist verurteilt wurde, liegt auch daran, dass er das erwähnte Gesetz und dessen Lücken gut kennt. Umso mehr erstaunt deshalb, dass er nun ausgerechnet mit seiner Aussage über die Gaskammern der Nazis eine Grenze überschritten haben soll, jenseits derer eine Fortsetzung seiner politischen Karriere kaum vorstellbar ist. Die Gaskammern seien «ein Detail der Geschichte», sagte er am Montag im Westschweizer Radio. Nun ermittelt die Justiz.

Opfer statt Täter?

Ob Scherrer wirklich meinte, was er sagte, oder ob er sich in der Fremdsprache Französisch nur falsch ausdrückte, wird der Untersuchungsrichter klären müssen. Tatsache ist, dass der Präsident der Freiheitspartei Schweiz, der ausserhalb von Biel immer seltener Beachtung findet, seither den Medien des ganzen Landes zu erklären versucht, dass er Opfer eines sprachlichen Missverständnisses geworden sei. Während ihm seine Bieler Parteikollegen nach einer Aussprache das Vertrauen ausgesprochen haben, hat Scherrer beim politischen Gegner einen schweren Stand. Zuerst distanzierte sich die Bieler FDP «mit aller Deutlichkeit» von dessen Aussage und forderte den Gesamtgemeinderat auf, das Gleiche zu tun. Am 1.-Mai-Umzug in Biel verlangte Gewerkschaftssekretär Corrado Pardini Scherrers Rücktritt. Dann wandte sich die SP an die Medien, verurteilte Scherrers Worte ebenfalls und kündigte an, alles daran zu setzen, «der Politik der extremen Rechten mit offenen und gerechten politischen Konzepten entgegenzutreten». Und auch die reformierten Kirchgemeinden der Stadt erklärten sich «schockiert» und äusserten ihr Bedauern, dass ein Mitglied der Stadtregierung wenige Tage vor Eröffnung der Expo.02 das «Image der Offenheit und des Respekts» beeinträchtige, das die Stadt so gerne als ihr Aushängeschild sähe. SP-Grossrätin Evi Allemann wurde in einer Zuschrift noch deutlicher: «Scherrer schadet dem Image der Stadt Biel und dem Expo.02-Kanton Bern!»

Entnervter Stadtpräsident

Scherrers Gaskammer-Ausspruch ist Stadtgespräch und Biels Ruf in Gefahr da erwartet man ein klärendes Wort des Stadtpräsidenten. Doch ein entnervter Hans Stöckli (sp) will zuerst gar nichts sagen und dann immerhin dies: Unverständlich und unglaublich sei Scherrers Aussage. Doch sei sie dessen Privatangelegenheit, die er als «Präsident einer serbelnden Partei, die öffentliche Aufmerksamkeit sucht», gemacht habe. Man hätte sich lieber aufgeregt, als Scherrer vor einigen Jahren zum zweiten Mal das Parteipräsidium übernahm, sagt Stöckli. Denn damit seien Debatten wie die jetzige vorgezeichnet gewesen. Für Rücktrittsforderungen zeigt er kein Verständnis: «Jürg Scherrer wurde dreimal vom Volk gewählt.» Und als Gemeinderat führe er seine Geschäfte korrekt.

In der Tat hat sich der ehemalige Baudirektor und heutige Vorsteher der Sicherheits-, Energie- und Verkehrsdirektion (SEV) Jürg Scherrer im Amt nichts zuschulden kommen lassen. Allerdings hat er auch keine grossen Stricke zerrissen. Als SEV-Direktor hat er sich in fünf Jahren vor allem für eine Aufstockung des Polizeibestandes stark gemacht. Bei heiklen Dossiers wie der Ausgliederung des Energie Service aus der Verwaltung oder der Reorganisation der Feuerwehr und der damit zusammenhängenden Überprüfung des gesamten Sicherheitsbereichs erwies er sich als «nicht kompromiss- und teamfähig» (FDP-Präsident Peter Moser), worauf ihm der Gemeinderat einen externen Spezialisten und eine gemeinderätliche Delegation zur Seite stellte. Kritisiert wurde er aber selten. Moser: «Es ist für uns schwierig zu zeigen, dass er nichts macht.»

Nun macht Jürg Scherrer zumindest wieder Schlagzeilen. Seine frühere Abgeklärtheit scheint er aber verloren zu haben, bezeichnete er doch die Radioreporter, die ihn am vergangenen Montag interviewt hatten, gegenüber der Zeitung «Le Matin» als «salauds» (Sauhunde). Einer der so Titulierten will ihn nun wegen übler Nachrede verklagen.

HELLE EMPÖRUNG

? BARBARA ENGEL

Die Schlagzeilen sind fett, und die Empörung ist gross. Wieder einmal sorgt der Bieler Polizeidirektor Jürg Scherrer mit seinen Äusserungen für Aufregung. Und natürlich wird wieder einmal die Frage diskutiert: Ist Scherrer politisch noch tragbar? Und flugs wird die Forderung gestellt, die restlichen Gemeinderäte müssten sich offiziell von Scherrer distanzieren. Oder besser noch, sie sollten dafür sorgen, dass er als Gemeinderat abgesetzt wird. Doch was heisst hier tragbar? Scherrer wurde vom Volk gewählt, kann also nur vom Volk in die Wüste geschickt werden. Seine Äusserungen sind politisch äusserst fragwürdig, aber seines Amtes enthoben werden kann er nur, wenn er die Amtspflicht verletzt.

Tatsache ist allerdings: Scherrer ist kein guter Gemeinderat. Sein Leistungsausweis ist äusserst dürftig. Bei schwierigen Geschäften seiner Direktion, beispielsweise bei der Verselbständigung des Energie Service Biel, hat ihm der Gemeinderat schon lange eine Delegation zur Seite oder vor die Nase gesetzt diskret, ohne die Öffentlichkeit über das Vorgehen oder über die Meinung des Gesamtgemeinderats zu Scherrers Arbeit ins Bild zu setzen.

Diskret geschwiegen haben der Gemeinderat und die meisten Bieler Politiker auch zu Scherrers Aussage vor Gericht im Februar. Er gehe mit seinen Äusserungen «absichtlich haarscharf an die Grenze zur rassistischen Hetze», sagte Polizeidirektor Scherrer und wo war die Empörung?

Was Scherrer im Westschweizer Radio genau gesagt hat, ob er wie er es nun darzustellen versucht das Opfer des Journalisten und sprachlicher Schwierigkeiten geworden ist, wird der Richter beurteilen. Falls es zu einer Verurteilung kommt, wird die politische Tragbarkeit Scherrers als Gemeinderat sicher und hoffentlich endgültig zur Diskussion stehen. Mit empörten Rücktrittsforderungen zum jetzigen Zeitpunkt wird man den Problemen Scherrer und Rechtsextremismus aber sicher nicht gerecht.