Scherrer bedauert

Der Bund

BIEL / Der Bieler Polizei- direktor Jürg Scherrer (fps) nimmt Stellung zum Vorwurf, er habe den Holocaust verharmlost.

sms. Er bedaure, dass «in gewissen Kreisen der falsche Eindruck entstand», er verharmlose den Holocaust, schrieb der Bieler Gemeinderat Jürg Scherrer gestern in einer Mitteilung. Er sei zwar ein «rechter, harter und konsequenter Politiker», aber solches würde er nie tun. Scherrer hatte am Montag in einem Radiointerview die Gaskammern der Nazis als «Detail der Geschichte» bezeichnet.

Während der Gesamtgemeinderat nach einer Aussprache mit Scherrer dessen Klarstellung akzeptierte, blieben Scherrers Gegner hart. Der Gewerkschaftsbund Biel-Lyss-Seeland rief zur «parteiübergreifenden» Kundgebung am 23.Mai auf. Das Grüne Bündnis forderte die Mitglieder des Stadtrats auf, den Parlamentsbetrieb zu boykottieren, «bis Herr Scherrer seinen Rücktritt bekannt gibt».

«Erleichterung» nach «offener Aussprache»

BIEL / Der «Fall Scherrer» bewegt weiterhin die Gemüter. Nach einer Aussprache über die Ereignisse der letzten Tage erklärte sich der Bieler Gemeinderat erleichtert, dass Jürg Scherrer die Haltung der Stadtregierung zum Genozid an der jüdischen Bevölkerung teile. Der Gewerkschaftsbund forderte erneut den Rücktritt des Polizeidirektors.

? MIKE SOMMER

«Scherrer muss weg!» lautete die Botschaft, welche auf Transparenten an den Einfallsachsen Biels gestern am Morgen die Aufmerksamkeit der Automobilisten erheischte. Zwar wurden die Plakate von der Polizei rasch entfernt. Doch der «Fall Scherrer» bewegt weiterhin die Gemüter.

Zu Beginn der gestrigen Gemeinderatssitzung brachte Jürg Scherrer (fps) das Thema selber auf den Tisch. Nach seiner persönlichen Erklärung habe eine offene Aussprache der Exekutive stattgefunden, erklärte Vizestadtschreiber Pio Pagani auf Anfrage. Dabei hätten alle Anwesenden ihre Meinung frei geäussert. Scherrer habe sich für die Unannehmlichkeiten entschuldigt, die er seinen Amtskollegen verursacht habe.

In einer Medienmitteilung nahm die Exekutive in der Folge Stellung. Der Gemeinderat bedaure Scherrers Äusserungen der letzten Tage «ausserordentlich». Und: «Für den Gemeinderat der Stadt Biel ist es eine Selbstverständlichkeit, dass der Genozid an der jüdischen Bevölkerung in den Zeiten des 2. Weltkrieges einen dunklen, tiefen und dramatischen Einschnitt in die Geschichte des letzten Jahrhunderts darstellt.»

Erleichtert habe man festgestellt, dass Jürg Scherrer diese Haltung vollumfänglich teile. Der Gemeinderat habe zur Kenntnis genommen, dass sich der Polizeidirektor bei allen Personen entschuldige, «die er mit seinen unbedachten Äusserungen ungewollt verletzt und in nachvollziehbare Entrüstung versetzt hat».

Während es Scherrer gelungen ist, den Gemeinderat zu überzeugen, dass er mit seiner im Radio gemachten Aussage («die Gaskammern sind ein Detail der Geschichte») nicht den Holocaust verharmlosen wollte, blieben seine Gegner hart. «Mit Ernüchterung» habe der Gewerkschaftsbund Biel-Lyss-Seeland (GBLS) die Mitteilung des Gemeinderats zur Kenntnis genommen, schrieb dessen Präsident Corrado Pardini in einem Communiqué.

Demo- und Boykottaufruf

Zum Kräftemessen zwischen Scherrer und Pardini dürfte es am 23.Mai kommen. Dann werde auf dem Burgplatz eine Kundgebung «für eine Stadt Biel, die die Völkerverständigung lebt und sich gegen Rassismus und Antisemitismus abgrenzt» stattfinden, schreibt der GBLS-Präsident. Er erwarte, dass alle Mitglieder des Parlaments der gleichzeitig stattfindenden Stadtratssitzung fernbleiben und sich mit den Demonstranten solidarisieren, schreibt Pardini.

Dem Aufruf sicher Folge leisten wird Heinz Ledergerber, Sekretär des GBLS und Vertreter des Grünen Bündnis im Stadtrat. Im eigenen Communiqué ging er noch weiter und forderte einen Boykott des Stadtrats, «bis Herr Scherrer seinen Rücktritt bekannt gibt». Ob es gelingen wird, mit der Aktion den politischen Geschäftsgang der Stadt lahmzulegen, ist allerdings offen. Sowohl der SP-Fraktionspräsident Roland Gurtner (psr) als auch Olivier Ammann (prr), Präsident der bürgerlichen Fraktion «Forum», erklärten, sie seien persönlich dagegen, Scherrer ein Ultimatum zu stellen. Unter dem Titel «Der ganze Satz schafft Klarheit» meldete sich gegen Abend Jürg Scherrer schriftlich bei den Medien. Für den Satz «Ja, die Gaskammern sind ein Detail der Geschichte, aber es gab auch noch andere Völkermorde», müsse er sich nicht entschuldigen «auch wenn das Wort Detail nicht der glücklichste Ausdruck war». Aber: Der Holocaust und die Gaskammern seien für ihn «feststehende grausame Tatsachen». Obwohl er ein «rechter, harter und konsequenter» Politiker sei, würde er diese nie verharmlosen, schreibt Scherrer. Wer dies behaupte oder ihn Rassist, Antisemit oder Rechtsextremist nenne, müsse künftig mit strafrechtlichen Folgen rechnen.

Während Jürg Scherrer sein Exekutivamt weiter auszuüben gedenkt, könnte seine Zeit als Präsident der Freiheitspartei bald ablaufen. Dem Gemeinderat, der diese Ämterkombination als «ausserordentlich problematisch» bezeichnet, habe er zugesagt, «diese Problematik im Lauf der nächsten Monate einer Lösung» zuzuführen, schreibt der Gemeinderat.