Alle Täter handelten aus eigenem Antrieb

Landbote

FRAUENFELD: MEHRJÄHRIGE ZUCHTHAUSSTRAFEN FÜR SCHLÄGER

Jeder Einzelne der Rechtsextremen, die im Frühling 2003 in Frauenfeld zwei Jugendliche grundlos brutal verprügelten, nahm nach Ansicht des Bezirksgerichts in Kauf, dass die Opfer schwer verletzt werden.

BARBARA STEINER

Über 100 Zuschauerinnen und Zuschauer waren gestern Nachmittag im Gemeindesaal von Felben-Wellhausen mit dabei, als der Vizepräsident des Bezirksgerichts Frauenfeld, Rudolf Fuchs, den sechs Angeschuldigten das Urteil eröffnete: Die Männer im Alter zwischen 20 und 25 Jahren müssen zwischen vier und fünfeinhalb Jahre lang ins Zuchthaus. Am 26. April 2003 hatten sie sich in einem Lokal in Marthalen getroffen mit der Absicht, später nach Frauenfeld zu fahren und dort nach einem Ska-Punk-Konzert im Kulturzentrum Eisenwerk politisch Andersdenkende, in ihren Augen «Linke», zu verprügeln. Ihre Opfer traf die siebenköpfige Gruppe ? einer der Beteiligten nahm sich in der Untersuchungshaft das Leben ? dann beim Eingang zum Lindenpark. Das eine von ihnen, ein damals 15-jähriger Jugendlicher aus Wil, verletzten die Angreifer bei ihrer brutalen Attacke so schwer, dass es einige Zeit im Koma lag und heute körperlich und geistig behindert ist und wohl pflegebedürftig bleiben wird. Das zweite, ein heute 19-Jähriger, leidet nach wie vor unter den psychischen Folgen des Überfalls («Landbote» vom 30. August ).

In den Medien fand die Tat damals grosse Beachtung, und ein Fernsehauftritt des Wiler Jugendlichen und seiner Mutter gab den meist anonym bleibenden Opfern von Gewaltverbrechen «ein Gesicht», wie es Fuchs gestern ausdrückte. Trotz oder gerade wegen des grossen öffentlichen Interesses und des unüberhörbaren Rufs nach harter Bestrafung habe das Gericht unabhängig bleiben und sich an den Grundsatz halten müssen, dass jemand nur für das belangt werden darf, was ihm nachgewiesen werden kann: «Es geht hier um Fakten ? und nicht darum, ein Exempel zu statuieren», betonte Fuchs.

Alle nahmen Verletzungen in Kauf

Mit einer Ausnahme hatten alle im Kanton Zürich und im Aargau wohnhaften Angeschuldigten zugegeben, sich in unterschiedlichem Ausmass mit Schlägen und Tritten am Überfall auf die Jugendlichen beteiligt zu haben ? laut Fuchs allerdings mit der Tendenz, die eigenen Aktivitäten herunterzuspielen. Zwischen den nachweisbaren Taten und den effektiven Verletzungen ergebe sich denn auch eine erhebliche Diskrepanz. Der schweren Körperverletzung und des Versuchs dazu sprach das Gericht alle sechs Männer schuldig ? also auch jenen Angeschuldigten, dem keine physische Beteiligung am Geschehen nachgewiesen werden konnte. Die Involvierten hätten sich gemeinsam zur Tat entschlossen und seien im vollen Wissen darum, worum es dort gehe, mit Handschuhen und schwerem Schuhwerk ausgestattet nach Frauenfeld gefahren. Der Gruppendruck sei angesichts des losen Beziehungsnetzes, das sie verbunden habe, nicht sonderlich gross gewesen. Jeder von ihnen sei gewaltbereit gewesen und habe es offenbar als Ziel betrachtet, die beiden Jugendlichen bis zur Regungslosigkeit zu verprügeln. Alle seien auch das Risiko eingegangen, dass die Opfer dabei schwer verletzt würden. Vom Vorwurf der versuchten Tötung ? den der Staatsanwalt als gerechtfertigt erachtete ? sprach das Bezirksgericht die Angeschuldigten frei.

Zu fünfeinhalb Jahren Zuchthaus verurteilte es den ältesten, einschlägig vorbestraften Tatbeteiligten, der via SMS auch zur Aktion in Frauenfeld aufgerufen hatte. Der heute 25-jährige Maurerlehrling zeige keine Reue und gehöre nach wie vor einer rechtsextremen Gruppierung an. Auch das Verschulden der anderen fünf Beteiligten stufte das Gericht als sehr schwer ein. Ein 22-jähriger Baumaschinenmechaniker und ein 20-jähriger Logistikmitarbeiter erhielten fünf Jahre Zuchthaus, einer 23-jähriger Hilfsarbeiter vier Jahre und neun Monate, ein 20-jähriger Automechaniker viereinhalb Jahre. Mit vier Jahren kam der 22-jährige Automonteur davon, der nach eigenen Aussagen nur daneben stand, als die anderen die Opfer verprügelten und sie mit Fusstritten traktierten. Er verfügt laut Gericht über eine grosse kriminelle Energie und sei uneinsichtig. Fünf der Verteidiger hatten für ihre Mandanten vor dem Bezirksgericht bedingte Gefängnisstrafen gefordert, einer hatte gar auf Freispruch plädiert. Der Staatsanwalt beantragte Zuchthausstrafen zwischen fünf und sechs Jahren.

Auch finanzielle Folgen

Dem heute behinderten jungen Mann müssen die Täter solidarisch haftend 120000 Franken, seiner Mutter 35000 Franken und dem zweiten Opfer 5000 Franken Genugtuung bezahlen. Es erhält vorderhand rund 700 Franken Schadenersatz. Weitere Ansprüche muss es auf dem Zivilweg geltend machen. Auch die Schadenersatzforderungen des Wiler Jugendlichen wird dereinst der Zivilrichter zu beurteilen haben. Den sechs Verurteilten werden Verfahrenskosten von rund 25000 bis 35000 Franken auferlegt.

Die Freiheitsstrafen stellten einen tiefen Eingriff ins Leben der noch jungen Angeschuldigten dar, sagte Fuchs abschliessend. Das eine Opfer ihres unnötigen und sinnlosen Angriffs werde aber sein Leben lang invalid sein, und die Tat habe unsägliches Leid über die Familie gebracht. Dessen müssten sie sich bewusst sein ? und vor diesem Hintergrund gelte es die Strafen zu reflektieren.