«Es ging ihm darum, linke Positionen zu eliminieren»

Sonntags Zeitung vom 24.07.2011

Hans Stutz über das Massaker in Oslo, Muslimfeinde und Schweizer Rechtsradikale.Der Luzerner Journalist Hans Stutz verfolgt und dokumentiert seit Jahren die Entwicklung der rechtsextremen Szene in der Schweiz und in Europa.

Schweden hat gestern die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Hat sich mit der Bluttat in Oslo die Gefahr rechtsextremer Gewaltakte anderswo erhöht?

Ich glaube nicht. Man muss davon ausgehen, dass die Tat in Norwegen von einem Einzelnen oder von ganz wenigen Personen vorbereitet wurde. Von daher sehe ich nicht, dass andere Teile einer Organisation aktiv werden.

Kann es sein, dass andere Rechtsextreme sich zu Nachahmungstaten anregen lassen?

Das halte ich für sehr unwahrscheinlich.

Gibt es Kontakte zwischen der rechtsextremen Szene in der Schweiz und in Norwegen?

Es gab in den 1990er-Jahren offenbar einzelne personelle Kontakte von Schweizer Skinheads mit skandinavischen Aktivisten. Aber es ging damals um Rechtsextremismus in einer andern historischen Tradition, um eine heidnisch-arische Ausrichtung des Rechtsextremismus. Der mutmassliche Täter ist christlich orientiert und nicht Angehöriger einer rechtsextremen Subkultur wie der Skinheads. Deshalb gehe ich davon aus, dass da kein Zusammenhang mit der Schweiz besteht.

Wo ordnen Sie den Täter von Oslo ein?

Es ist nicht der übliche Täter, wie wir ihn aus der Neonazi- oder Skin-Szene kennen. Beim mutmasslichen Täter von Oslo sehe ich eine Parallele zu Timothy McVeigh, der 1995 in Oklahoma City ein Regierungsgebäude in die Luft gesprengt und 186 Menschen getötet hat. Dahinter stand das Gedankengut der fundamentalistisch-christlichen Milizen in den USA, die alle Linken, Juden und Muslime als Feinde betrachten.

Sie sehen aber eine politische Motivation beim Täter von Oslo?

Ganz klar. Solche Leute betrachten alles, was nach linker Position aussieht, als feindlich – als etwas, was es zu eliminieren gilt.

Ist das der Grund, weshalb er gerade unter der Jugend der Sozialdemokraten ein Blutbad anrichtete?

Ich bin überzeugt, dass es ihm darum ging, linke Positionen zu eliminieren.

Es heisst, der Täter sei Mitglied der grossen rechtspopulistischen Fortschrittspartei. Was schliessen Sie daraus?

Solche Parteien fahren ja mindestens verbal eine heftig antimuslimische Linie. Das ist die Folie, auf der nachher muslimfeindliche Gewalt entstehen kann. Dass der Täter nun Menschen ermordet hat, die sich für Solidarität und Toleranz gegenüber Muslimen einsetzen, ist ein Hinweis darauf, dass der Täter ein rechtsextremes Weltbild hat.

Wie gewaltbereit sind die Schweizer Rechtsextremen?

In den letzten Jahren gab es in der Schweiz praktisch keine organisierten Attacken mehr. Es gab auch nur wenige rechtsextreme Übergriffe, die aus dem Moment heraus begangen wurden und sich gegen Menschen richteten, die rechtsextremen Feindbildern entsprechen. Interview: Ursula Zenger

 

Schweizer Rechtsextreme tauchen ab

Die Zahl rechtsextrem motivierter Taten geht seit Jahren zurück, doch in der Szene nimmt laut dem Nachrichtendienst die Konspiration zu.

Im Jahr 2010 registrierte der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) mit 13 rechtsextremen Gewalttaten einen langjährigen Tiefstwert. Im Januar kam es etwa in Schwanden GL zu einer grösseren Schlägerei mit mehreren Verletzten während eines Fests. Im März wurde in Basel ein dunkelhäutiger Ausländer von zwei Rechtsextremen zusammengeschlagen.

In früheren Jahren war es aber zu mehr aufsehenerregenden Taten gekommen: Am 1. August 2007 detonierte auf der Rütliwiese ein Sprengsatz – verletzt wurde niemand. Einen Monat später wurden die Briefkästen dreier Politiker gesprengt. Beim mutmasslichen Täter fand die Polizei Hinweise auf ein intensives Interesse am Nationalsozialismus.

 

Die Zahl rechtsextremer Gewalttaten geht seither zurück; die Zahl linksextrem motivierter Taten steigt. Bei Rechtsextremen stellt der NDB einen Trend zu «rein politisch geprägten Veranstaltungen» fest – etwa Konzerte, die als private Veranstaltungen durchgeführt und deshalb vom NDB nicht überwacht werden dürfen. Um Polizei und Nachrichtendienst auszuweichen sowie dem «militanten Druck seitens des linksextremen Lagers» zu entkommen, nehme die Konspiration in der Szene zu, schreibt der NDB im Jahresbericht 2010. Aktivitäten würden «äusserst klandestin» geplant; oft gelinge es, geheime Veranstaltungen abzuhalten.

 

Amokläufer in der Schweiz handelten meist aus Hass gegen die Behörden: letzten September etwa der 67-jährige Bieler Rentner, der einen Polizisten verletzte, oder 2001 Friedrich Leibacher, der im Zuger Parlament 14 Menschen tötete.