Nazi-Verbrecher als Held

TagesAnzeiger

Rechtsradikale wollen «20 Minuten» benutzen, um den Führer-Stellvertreter Rudolf Hess zum Märtyrer zu machen.

Von Hugo Stamm, Zürich

Eine anonyme Gruppe von Rechtsextremisten hat eine Sonderbeilage gestaltet, die sie am kommenden Freitag dem Gratisblatt «20 Minuten» beilegen will. Darin wird der Nazi-Scherge und Führer-Stellvertreter anlässlich seines 15. Todestags geehrt. Bei der Sonderbeilage handelt es sich um eine Zeitungsseite, die im Stil der Gratiszeitung gelayoutet ist.

Die Initianten, die sich «Arbeitsgruppe 1708» nennen (17. August, der Todestag von Hess) und bislang noch nicht in Erscheinung getreten sind, schicken gleich Gesinnten ein E-Mail mit der fertigen Zeitungsseite als Dateianhang. Die Empfänger werden aufgefordert, die Zeitungsseite zu kopieren. Am Freitag um fünf Uhr sollen sie ausschwärmen, um die Zeitungsboxen abzuklappern und die Sonderbeilage einzustreuen.

«Friedensflug von Hess»

Rechtsradikale feiern den Todestag von Rudolf Hess jedes Jahr und führen PR-Aktionen durch. «Wir möchten in diesem Jahr eine völlig neue Form der Aufklärung betreiben», schreibt die Arbeitsgruppe 1708 im E-Mail. Die Leser der Sonderbeilage sollen das Gefühl haben, die Seite «gehöre offiziell zur Zeitung». Da die Artikel nicht Hess als Stellvertreter Hitlers thematisieren würden, sondern seinen Friedensflug nach Schottland, verstosse die Sonderbeilage nicht gegen die Gesetze, heisst es weiter. Die Aktionsteilnehmer werden aber gewarnt, sich nicht erwischen zu lassen. Besondere Vorsicht sei bei Videoüberwachung auf Bahnhöfen geboten.

In der Sonderbeilage wird Hess zum Märtyrer gemacht. «Der Grund für seinen mutigen Flug waren Friedensverhandlungen», heisst es. Hess habe aber erkennen müssen, «dass die englische Regierung keine Friedensverhandlungen wünschte. Der europäische Krieg weitete sich zum Weltkrieg aus.» Hess wird als Märtyrer des Friedens und Friedensflieger bezeichnet.

Die Aktion publik gemacht hat Samuel Althof von der Aktion Kinder des Holocaust. Der Spezialist für die rechtsradikale Szene vermutet, dass hinter der Arbeitsgruppe jugendliche Rassisten stecken. Althof beurteilt die Aktion als amateurhaft. Wie er den Rechtsradikalen auf die Schliche gekommen ist, will er nicht verraten.

Polizei sucht Urheber

Keine Freude an der Aktion hat die Zeitung «20 Minuten». Chefredaktor Markus Eisenhut sagte, er sei erschrocken, als er von der Sonderbeilage gehört habe. Er hofft, dass durch die vorzeitige Bekanntmachung die Aktion ins Leere laufe. Es sei aber nicht möglich, alle 3500 Boxen in den Kantonen Bern, Basel und Zürich zu kontrollieren. Eisenhut hat die Polizei eingeschaltet.