dsc. Rütli, 1. August

Der Bund

Auf dem symbolträchtigen Rütli sei die Kraft zu spüren, die in diesem Land herrsche, meinte Bundespräsident Samuel Schmid zu Beginn seiner Festansprache. Ob er diese Aussage auch nach seiner Rede bestätigt hätte? Die geschichtsträchtigste Wiese der Schweiz ist für Festredner am 1. August zu einem «harten Pflaster» geworden: Zwischen 600 und 700 Rechtsradikale – vorwiegend Jugendliche und junge Erwachsene – nutzten die Gelegenheit, sich medienwirksam bemerkbar zu machen. Während der Rede von Samuel Schmid kam es zu Buhrufen, Sprüchen und üblen Beschimpfungen. Schmid liess sich von solchen Störungen zwar nicht aus der Ruhe bringen, doch durch die zahlreichen Unterbrüche erhielt die auf Beschaulichkeit ausgerichtete Feier einen erbärmlichen Charakter. Der Anlass stand unter dem Motto «Bewegung schafft Begegnung» und war den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern im Sport gewidmet. 400 junge Sportlerinnen und Sportler waren als Ehrengäste auf dem Rütli. Insgesamt nahmen laut der Kantonspolizei Uri 2000 Menschen an der Rütli-Feier teil. So viele wie noch nie zuvor, wie die Organisatoren erklärten. Doch auch wenn somit offenbar die «gewöhnlichen» Anwesenden in der Mehrheit waren, bleibt dennoch nüchtern festzustellen, dass die etwa einstündige Bundesfeier durch die Rechtsradikalen vereinnahmt wurde.

Aktualität General Guisans

In seiner Rede vereinte der Bundespräsident traditionelle Gedankenstränge mit pragmatischen politischen Betrachtungen zur Gegenwart. Samuel Schmid erinnerte an den Rütli-Rapport. General Guisan habe im Juli 1940 die Spitze der Armee aufs Rütli gerufen, um sie zu Verbündeten für das sogenannte Reduit zu machen, eine Strategie, welche der Schweiz die Souveränität gesichert habe. Der Bundespräsident verwies auf die Frauen und Männer jeden Alters – und jeder Nationalität -, die auch heute noch für das Wohlergehen des Landes sorgen. Der Schweiz gehe es immer noch gut, stellte Samuel Schmid fest. Er verwies allerdings auch auf Probleme wie die Bundesfinanzen, das schwache Wirtschaftswachstum, die Arbeitslosigkeit, die Integration von Ausländern, aber auch die neue Armut, die «Working Poor».

Auf dem Rütli liegen, so Samuel Schmid, die Wurzeln der Schweiz; es sei ein «mystischer Ort». Für die Zukunft des Landes wünschte Schmid eine «pragmatische Politik des Machbaren». Diese sei nicht spektakulär, aber mehrheitsfähig; gemächlich, aber berechenbar. Die Zukunft sei immer ungewiss gewesen, doch eine einzelne Führungsgestalt habe dieses Land nie benötigt. Schmid erläuterte die Wichtigkeit der bilateralen Verträge und ging auch auf die Bedrohung durch den Terrorismus ein.

Klare Worte

Der Bundespräsident rief zudem in Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg dazu auf, jeder Form von Extremismus, Antisemitismus und Rassismus entgegenzutreten. Schmid: «Ich sage es hier auf dem Rütli bewusst, laut und deutlich: Diese dunklen Kapitel dürfen sich nie mehr wiederholen! Nie mehr!» Bei solchen Aussagen, aber auch im Zusammenhang mit der Ausländerpolitik waren die Störungen aus dem hinteren Teil des Publikums am stärksten. Abgesehen von wenigen, subtil gehaltenen Anspielungen und Seitenhieben ging Schmid kaum auf die Störenfriede ein.

Mit Blick auf die anwesenden Sportler und Sport-Leiter erklärte Schmid, dass die Schweiz überhaupt nur dank dem freiwilligen Engagement so gut funktioniere. Der 19-jährige Leichtathlet Philipp Dünki ging in seiner Rede auf den visionären und pionierhaften Charakter des Sports ein. Carmen Seiler – ebenfalls eine junge Leichtathletin – las den Bundesbrief vor.

Am Schluss versuchte sich Judith Stamm, Präsidentin der Rütlikommission, bei Samuel Schmid für die Störungen zu entschuldigen, doch wurde sie von den Rechtsextremen übertönt. Stamm erklärte, sie habe sich dafür eingesetzt, dass alle aufs Rütli kommen könnten, die sich an die Regeln halten. Letzteres sei aber nicht der Fall gewesen. Stamm dankte Samuel Schmid, dass er die Kondition gehabt habe, die Rede unter diesen Bedingungen zu halten. Der Bundespräsident verliess das Rütli kurz nach seiner Rede. Beim Singen der Nationalhymne kam die groteske Stimmung des Nachmittags nochmals voll zur Geltung.

Demonstrationen in Brunnen und Luzern

Auf dem Rütli kam es zu keinen gewalttätigen Ausschreitungen. Die Urner Polizei hielt sich eher im Hintergrund. An der Schiffsanlegestelle in Brunnen hatte die Schwyzer Kantonspolizei zuvor genaue Personenkontrollen durchgeführt und einige unerlaubte Gegenstände abgenommen. Anschliessend an die Rütli-Feier kam es in Brunnen zu einer unbewilligten Demonstration von mehreren hundert Rechtsextremen. Die Polizei hielt hielt sich bei diesem Marsch von der Schiffsanlegestelle zum Bahnhof ebenfalls zurück. In den vergangenen Wochen hatten die Behörden jeweils betont, jegliche Kundgebungen in Brunnen unterbinden zu wollen. Eine linke Demonstration des «Bündnisses für ein buntes Brunnen» wurde nicht genehmigt. Eine solche Gegendemonstration fand am Montagnachmittag dafür mit Bewilligung in Luzern statt. Laut Angaben der Polizei beteiligten sich daran rund 800 Personen. Ein Drittel der Teilnehmer sei vermummt gewesen. Die Demonstration startete beim Theaterplatz und endete nach einem Umzug durch die Stadt am Bahnhofplatz. Zu gewalttätigen Ausschreitungen sei es während der Kundgebung nicht gekommen, doch wurden rund 50 Farbschmierereien verübt. Im Bahnhof wurde ein Rechtsextremer bei einer Auseinandersetzung mit Linksextremen leicht verletzt.

Wehrli C.

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C. W. Den Rechtsextremen ist es erneut gelungen, sich auf dem Rütli in Szene zu setzen. Mit Methoden und Parolen übelster Art haben sie die Rede des Bundespräsidenten durchkreuzt und den Zuhörern, denen der Anlass und der Ort besonders viel bedeuten, den 1. August verdorben. Da fragt sich, ob Veranstalter und Ordnungshüter nicht zu gutmütig, ja naiv auf den Anstand von Leuten vertrauten, denen es gerade um den Bruch legitimer Tabus und aggressives Gehabe geht. Eine Rede, die nur dank Polizei ungestört bleibt, entspricht zwar auch nicht dem Ideal freien Diskurses, ist aber dem Diktat der akustisch-verbalen Gewalttäter vorzuziehen. Deren Aufmarsch – nur schon die gegenüber dem Vorjahr erheblich gewachsene Zahl der Demonstranten – dürfte nun allerdings für viele ein Warnsignal sein. Der Rechtsextremismus ist zwar aufs Ganze der politischen Landschaft gesehen marginal, aber nicht zu vernachlässigen. Zu bekämpfen ist er kaum mit Verschärfung des Rassismusverbots, sondern mit politischer Aufklärung und einem Klima menschlicher Achtung.