Der Nationalfeiertag steht landauf, landab im Zeichen des Wahlkampfs – mit Hauptbühne auf dem Rütli

Bund

Wahlschlager 1. August

Die SVP lässt nichts unversucht, das Volk von der Calmy-Rey-Show auf dem Rütli abzulenken. Dies zeigt: Der 1. August ist nicht nur eine Plattform, den Wahlkampf zu lancieren. Er ist selbst zum Wahlthema geworden.

Stefan Schmid

Der 1. August steht für Bratwürste, Lampions, Feuerwerk – und mehr oder weniger interessante Ansprachen von mehr oder weniger wichtigen Politikern. Normalerweise. Doch dieses Jahr – die Schweiz feiert ihren 716. Geburtstag – ist Wahljahr und somit alles ein bisschen anders.

Schon seit Monaten diskutiert das Land aufgeregt, ob die Bundesfeier auf dem Rütli stattfinden wird und wie – wie in der Vergangenheit – ein Aufmarsch von Rechtsextremen verhindert werden kann. Erst seit Juni ist klar, dass auf der von Mythen umrankten Wiese am Vierwaldstättersee eine Feier über die Bühne geht. Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey hat äusserst hartnäckig und PR-bewusst an ihrem Rütli-Auftritt festgehalten.

Verkehrte Welt

Mit patriotischem Eifer spielt die Genfer Sozialdemokratin erfolgreich auf der Klaviatur der SVP. Seit Wochen besetzt sie ausgerechnet jenes Terrain, das sonst mit Vorliebe Christoph Blocher beackert und macht damit den 1. August selbst zum Wahlschlager.

Der SVP indes, die sich gerne als einzig wahre patriotische Kraft positioniert, blieb nichts anderes übrig, als sich über Calmy-Rey und das Rütli lustig zu machen. Unzählig die Versuche, die Rütli-Feier, an der auch Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi (fdp, AG) eine Rede halten wird, als überflüssiges feministisches Kaffeekränzchen zu diskreditieren. Der SVP-Ärger gipfelte in der ungeschickten Bemerkung von Präsident Ueli Maurer, das Rütli sei nur eine Wiese mit Kuhfladen. Verkehrte Welt im Schweizerland.

Post von der SVP

Wenige Tage vor dem Nationalfeiertag ist die Nervosität weiter angestiegen. Unter dem Motto «1. August – die SVP kommt zu Ihnen» verkündete Parteichef Maurer am Donnerstag, sämtliche Haushalte der Schweiz auf den 1. August hin mit Unterschriftenbögen für die SVP-Initiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer zu beliefern. Es soll eine der grössten Sammelaktionen für eine Volksinitiative werden. Die Kosten des Massenversandes sind nicht bekannt, ebenso wenig der Sponsor.

Die Aktion kann durchaus auch als Versuch gelesen werden, die Bevölkerung von der Calmy-Rey-Show auf dem Rütli abzulenken und sich und ihre Anliegen am Nationalfeiertag zum Thema zu machen. Ein Versuch mit der Brechstange. Die Partei gesteht damit indirekt ein, wie prominent die Rütli-Bühne für die Bundespräsidentin und deren Partei ist. Ein starker Auftritt Calmy-Reys, der den SP-Wahlkampf beflügeln könnte – das will die SVP verhindern.

Vier Mal Blocher

Nebst der Sammelaktion setzt die SVP aber auch auf die Auftritte von Justizminister Christoph Blocher. Er ist schon seit jeher ein begehrter 1.-August-Redner und spricht dieses Jahr gleich vier Mal. Bereits heute Abend in Schwarzenburg und am Nationalfeiertag in Andermatt (UR), Hallau (SH) und im freiburgischen Gruyères. Von Blochers Reden erwartet die Partei viel Schub für den Wahlkampf.

Die Hoffnungen sind berechtigt, hat Blocher doch schon in den letzten Monaten kaum eine Gelegenheit ausgelassen, SVP-Themen – kraft seines Amtes – zu forcieren. Laut der «SonntagsZeitung» wird Blocher eine Attacke auf das Völkerrecht reiten und der Festkulisse darlegen, die Volksrechte würden immer öfter leichtfertig durch völkerrechtliche Bestimmungen ausgehebelt. In Blochers Departement will man die Aussagen nicht bestätigen. Dass die Volksrechte für Blocher einen immensen Stellenwert hätten, sei aber ein offenes Geheimnis, sagte eine Departementssprecherin auf Anfrage.

Merz per Internet

Hinter Calmy-Rey und Blocher feiern die übrigen Bundesräte einen vergleichsweise ruhigen Nationalfeiertag. Samuel Schmid tritt immerhin drei Mal vor die Mikrofone: In Zuchwil (SO), Leuzigen (BE) und Gansingen (AG). Ruhiger geht es bei FDP und CVP zu und her. Bundesrätin Doris Leuthard wird in Greifensee (ZH) und in der Schweizer Botschaft in Berlin, wo der Kanton Aargau Gast ist, sprechen. Von FDP-Magistrat Pascal Couchepin ist nicht bekannt, ob er eine Rede halten wird. Sein Departement teilt nur mit, dass der Innenminister an einem Brunch auf dem Bauernhof teilnimmt.

Finanzminister Hans-Rudolf Merz figuriert derweil an keiner Bundesfeier auf der Rednerliste. Er wird seine Gedanken zum Nationalfeiertag dafür ganz dem Zeitgeist entsprechend ins Internet stellen. Verkehrsminister Moritz Leuenberger schliesslich hält eine Rede in Palagnedra in der italienischsprachigen Schweiz.

Abgeriegeltes Rütli

2000 handverlesene Gäste haben ein Ticket erhalten, um am 1. August aufs Rütli zu fahren und der Bundespräsidentin zuzuhören. 1700 davon wurden über den Frauenbund Alliance F abgesetzt, die restlichen 300 durch die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft verteilt. Wer kein Ticket hat, kommt gar nicht aufs Schiff, und die Fusswege zum Rütli sind abgeriegelt. Mehrere hundert Polizisten beschützen die Festgemeinde. Dennoch haben sowohl rechte als auch linke Gruppen ihre Anhänger dazu aufgerufen, sich am 1. August in die Innerschweiz zu begeben, um «auch unter diesen widrigen Umständen» an der Rütlifeier teilzunehmen, wie die rechtsradikale Pnos im Internet schreibt.

Karl Egli von der Urner Kantonspolizei glaubt allerdings nicht, dass es den Rechtsradikalen gelingen wird, aufs Rütli zu kommen. «Sie müssten entweder mit Gummibooten über den See rudern, aus der Luft landen oder sich abseilen», sagte er. Letzteres empfehle er gar nicht. Denn es besteht akute Absturzgefahr. (da)

Schluss mit «Seldwyla»

Der Historiker und Professor der Universität Freiburg, Urs Altermatt, plädiert für eine nationale 1.-August-Feier auf dem Rütli. Das heutige «Seldwyla-Theater» um die berühmte Wiese am Vierwaldstättersee müsse ein Ende haben, sagte er in einem Interview der «Mittelland Zeitung».

Das Hin und Her um die diesjährige Bundesfeier auf dem Rütli sei ein «helvetisches Trauerspiel, allerdings mit vielen komödienhaften Elementen» gewesen, sagte der renommierte Kenner der Bundespolitik und insbesondere des Bundesrats.

Der Bundesrat müsse endlich anerkennen, dass das Rütli den Charakter einer nationalen Erinnerungsfeier angenommen habe. Er müsse deshalb in Zukunft die Organisation einer jährlichen schlichten Bundesfeier an diesem Ort übernehmen und auch die Redner einladen. «Vielleicht wird dann etwas viel geredet, damit wäre aber das heutige Chaos beendet», sagte er. Die diesjährige Finanzierung der Sicherheitskosten von 100000 bis 200000 Franken durch Sponsoren sei für die Schweiz ein lächerliches Vorgehen. (