Rassendiskriminierung liegt nicht vor

Tages-Anzeiger.

Bezirksgericht Bülach. SVP-Kantonsrat Claudio Schmid musste sich wegen eines unbedachten Tweets nach dem Anschlag von 2020 im deutschen Hanau vor der Justiz verantworten.

Noch während die Einzelrichterin gestern Morgen das Urteil verkündet, tippt der SVP-Kantonsrat Claudio Schmid in sein Handy: «+++ Eil +++ Das Bezirksgericht Bülach hat mich freigesprochen.» Mit diesem Tweet liegt er richtig.

Nicht so am 20. Februar 2020, als er kurz nach dem Aufstehen twitterte: «In #Hanau am ‹Bosporus› zu Frankfurt kam es offenbar zur grossen Bereicherung. Hat natürlich nichts mit der unkontrollierten Masseneinwanderung zu tun und auch nicht mit importierter Gewalt- und Bandenkriminalität.» Diese 214 Zeichen brachten Schmid vor das Bezirksgericht Bülach. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt den 50-Jährigen der Rassendiskriminierung.

Zum Kontext: Am 19. Februar 2020 waren in Hanau, einer Vorstadt von Frankfurt am Main, um 21 Uhr neun Personen mit Migrationshintergrund erschossen worden. Der Täter, ein 43-jähriger Rechtsextremer, erschoss später in seiner Wohnung sich selbst und seine Mutter. Das alles war am nächsten Morgen aber noch nicht bekannt. Verschiedene Medien pushten lediglich, dass es in Hanau ein Attentat mit mehreren Toten gegeben haben soll.

Tweet schnell wieder gelöscht

Diese Push-Nachrichten sah Schmid am Morgen und dachte sogleich an eine terroristisch motivierte Tat oder an eine Abrechnung unter Strassenbanden. So erzählt er es jedenfalls am Bezirksgericht. Schmid glaubte, der Täter habe einen Migrationshintergrund.

Mit seinem Tweet habe er eine Botschaft an die Medienschaffenden und linke Politiker senden wollen, sagt Schmid. Den Medienschaffenden, weil diese die Herkunft solcher Täter oft verschweigen würden, den Politikern, weil diese die Einwanderung stets als «Bereicherung» bezeichnen würden.

Schmid schien damals im Februar 2020 schnell bemerkt zu haben, wie komplett daneben er mit seinem Tweet lag. Zur rassistisch motivierten Tat eines Rechtsextremen passten seine Worte überhaupt nicht. Also löschte er den Tweet bereits nach rund einer halben Stunde.

Die Staatsanwaltschaft hingegen interpretiert Schmids Tweet komplett anders. Sie wirft dem Politiker vor, es als Bereicherung zu sehen, dass neun Menschen mit Migrationshintergrund getötet worden seien. Damit habe er sämtlichen Personen mit Migrationshintergrund – insbesondere türkischen Menschen, da Schmid den «Bosporus» erwähnte – die Existenzberechtigung abgesprochen.

«Unnötiges Verfahren»

Das Gericht kann dieser Argumentation der Staatsanwaltschaft nicht folgen. Die Einzelrichterin spricht Claudio Schmid vollumfänglich vom Vorwurf der Rassendiskriminierung frei. Die Verfahrenskosten werden auf die Staatskasse genommen, und Schmids Anwalt, der Thurgauer SVP-Kantonsrat Hermann Lei, wird mit fast 7500 Franken entschädigt.

Die Richterin glaubt Schmid, dass er morgens um 6.35 Uhr noch gar nichts über Opfer und Täter wusste und davon ausging, dass es sich beim Täter um einen Flüchtling gehandelt habe. Sie habe sich dann noch überlegt, ob diese Aussage unter den Rassendiskriminierung-Strafartikel falle. Doch sie sei zum Schluss gekommen, dass der entsprechende Straftatbestand den rechtlichen Status von Ausländerinnen und Ausländern nicht einschliesse.

Schmid selbst zeigt sich nach der Verhandlung erfreut über das Urteil. Offenbar habe jemand etwas gegen ihn und habe ein «vollkommen unnötiges Verfahren» angestrengt. Er könne nicht nachvollziehen, dass die Staatsanwaltschaft überhaupt Anklage erhoben habe: «So geht man nicht mit einem Kantonsrat um!», sagt Schmid.

Nach Twittersperre zurück

Er räumte aber ein, dass sein Tweet falsch gewesen sei – aber das mache ihn noch nicht strafbar. «Ich habe schon Tausende Tweets abgesetzt, und da war schon mancher Blödsinn dabei.»

In der Tat ist der SVP-Kantonsrat ein äusserst aktiver Twitterer. Seine Lieblingsthemen sind die Ausländerkriminalität, die Rolle der Medien, die Frage der Meinungsfreiheit und der Islam in Europa. Im Jahr 2016 wurde Schmid wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 150 Franken verurteilt. Er hatte über einen grünliberalen Politiker aus St. Gallen geschrieben, dass dieser vorbestraft sei, was sich als falsch herausstellte, wie die NZZ damals berichtete.

Vor etwas mehr als einem Jahr wurde Schmid vom Kurznachrichtendienst gesperrt, weil er mehrere Accounts führte und damit seine Reichweite vergrösserte. Dies verstösst gegen die Regeln von Twitter. Seit vergangenem September ist er nun wieder zurück, hat bloss noch einen Account und setzt pro Tag im Schnitt fünf bis sechs Tweets ab – bereits wieder gelöschte Tweets nicht mitgerechnet.