«Hier wohnen nicht einfach braune Tubel»

Zentralschweiz am Sonntag: Asyl · Der Aarburger Gemeindeammann wirft Bundesrätin Simonetta Sommaruga vor, Vorurteile nachzuplappern, ohne sich zu erkundigen. Nun wehrt er sich mit einem Brief.

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Am Mittwoch ist Hans-Ulrich Schär der Kragen geplatzt. «Frau Sommaruga plappert einfach nach, was die Medien schreiben und was ihre Partei sagt», empört sich der Gemeindeammann von Aarburg (Kanton Aargau). Die Aargauer Kleinstadt nahe Olten kommt nicht aus den Schlagzeilen, seitdem Einwohner mit Grillfesten gegen eine neue Asylunterkunft in ihrer Nachbarschaft protestieren. Und am Mittwoch setzte Justizministerin Simonetta Sommaruga dem die Krone auf. Sie hatte es als «beschämend» bezeichnet, «Grillpartys gegen Kriegsflüchtlinge» zu veranstalten. «Ich habe null Verständnis», so die SP-Bundesrätin.

Aarburg fürchtet um seinen Ruf

Null Verständnis hat auch Hans-Ulrich Schär – für diese Aussagen. «Wie schlecht ist es in unserem Land eigentlich um das Recht auf freie Meinungsäusserung bestellt?», ärgert er sich. Die Einwohner seiner Stadt würden ihre Sorgen zum Ausdruck bringen. «Dass eine Bundesrätin das unterdrücken will, ist anmassend.» Zumal Sommaruga nicht einmal in Aarburg gewesen sei und auch sonst den Kontakt nicht gesucht habe. «Sonst wüsste sie nämlich, dass hier nicht einfach braune Tubel wohnen», so Schär. «Aber nein, sie beschimpft uns einfach!»

Schär fürchtet um den Ruf seiner Stadt, die vielen mittlerweile als ausländerfeindlichster Ort der Schweiz gilt. Er hat daher beschlossen, der Bundesrätin einen geharnischten Brief zu schreiben. «Ich erwarte, dass Frau Sommaruga sich mit unseren Sorgen auseinandersetzt und aufhört, uns pauschal zu verurteilen», sagt er.

Und Sorgen hat die Stadt. Der Steuerfuss ist mit 124 Prozent so hoch wie nirgends sonst im Kanton. Die Sozialhilfequote liegt bei rekordverdächtigen 5,3 Prozent. Auf Rosen gebettet ist man also nicht. Und dennoch bringt die Gemeinde seit Jahren mehr Asylsuchende unter als laut kantonalem Verteilschlüssel nötig.

Menschen aus 70 verschiedenen Ländern leben in der 7300-Seelen-Gemeinde, der Ausländeranteil beträgt 43 Prozent. Für die Kosten der Asylunterkunft kommen zwar Bund und Kanton auf. Schär aber sagt: «Viele Asylbewerber bleiben nach einem positiven Entscheid – und wandern in die Sozialhilfe.» Derzeit lebten 120 Eritreer in Aarburg, über 100 bezögen Sozialhilfe. Unterdessen gebe er mehr für Sozialhilfe aus als für Bildung, so Schär. «Geht das so weiter, müssen wir beim Kanton unsere Bilanz deponieren.»

Verhärtete Fronten

Als der Kanton im Frühling hinter dem Rücken der Gemeinde einen Mietvertrag über eine grosse Immobilie abschloss und darin 90 weitere Asylbewerber unterbringen wollte, lief das Fass in Aarburg über. Seitdem wird grilliert, um den Bezug zu verhindern. Selbst der Pfarrer des «Städtli» ist dabei. Nach der Sommerpause geht es weiter, selbst wenn die ersten Flüchtlingsfamilien unterdessen eingezogen sind – problemlos, wie Schär sagt. Der Protest richte sich nämlich nicht gegen die Asylsuchenden, sondern gegen die rücksichtslose Politik des Kantons. Dieser bestreitet auch gar nicht, die Gemeindebehörden erst nach Unterzeichnung des Mietvertrags informiert zu haben. Wie der Protest zeige, sei es anders gar nicht möglich gewesen, sagte die zuständige grüne Regierungsrätin Susanne Hochuli vor einem Monat im «Blick». Und ihr Departement bestätigt auf Anfrage, dass der Kanton eben Asylsuchende unterbringen müsse und geeignete Angebote ungeachtet der Situation in den Gemeinden annehmen müsse.

«Freikauf ist zynischer als Protest»

Ganz so einfach sei es nicht, kontert Schär: «Reiche Gemeinden können sich von ihren Asylplätzen freikaufen!» Das bestreitet der Kanton zwar, doch in der Tat müssen Aargauer Gemeinden, die ihr Kontingent an Asylbewerbern nicht erfüllen, dem Kanton eine Ersatzabgabe von 10 Franken pro Person und Tag bezahlen. Was Gemeinden, die es sich leisten können, offenbar gern tun. «Statt uns zu beschimpfen, soll Frau Sommaruga lieber die Sankt-Florians-Politik anprangern», fordert Schär. «Die ist nämlich zynischer als unser Protest.»

Natürlich, gibt Schär zu, sei es eine unglückliche Steilvorlage, dass ausgerechnet gegrillt werde. Eine Mahnwache wäre wohl angemessener gewesen. Und dass die rechtsextreme Pnos die Aarburger Demonstranten unterstützt, während auf der Facebook-Seite der Grillprotestanten die Geburt eines Kindes in der Unterkunft von fremdenfeindlichen Das-Boot-ist-voll-Kommentaren begleitet wurde, wirft auch nicht das beste Licht auf die Aarburger. Doch Schär beteuert: «Wir sind keine braune Hochburg.» Schliesslich würde auch die SP-Ortspartei den Protest unterstützen – trotz massiven Druck aus den eigenen Reihen.